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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Ein Oekonomiebeamter der Bogusz, Dobrowvlski, begleitete mich. Er schlug
einen Waldweg ein, der, nachdem wir einige freundliche, gut angebaute Thal¬
flachen durchschnitten hatten, zu dem Orte Nzemin führte, welcher ebenfalls der
Familie BoguSz angehörte. Auch dieser Ort verrieth eine gewisse Wohlhabenheit
der Bewohner und zeigte in allen Anlagen, ja selbst in den Umgrenzungen der
Weideflächen mehr Accuratesse und Zweckmäßigkeit, als man sonst in Galiziens
Dörfern zu finden gewöhnt ist. Die Bauern zogen mit ihrem Ochsengespann auf
die Saatäcker so fröhlich und singend , daß man nicht annehmen konnte, sie seien
mit ihrem Loose unzufrieden. Wie uns unser Begleiter mittheilte, hatte Jeder
von ihnen siebzehn große Morgen Land, Hütte und mir vollständigem Inventarium
versehene Wirthschaft zwar nicht als Eigenthum, jedoch als erbliches Lehen,
woraus die Robot zu entfertigen sei. Bei einer solchen Bodenfläche durften sich
die Bauern hier in der That reich dünken, denn in den meisten galizischen Dör¬
fern sind einer Bauerwirthschaft uur zwölf Morgen Land zugetheilt.

Fast dieselbe Reise machte ich von Tarnow aus einige Monate nach dem
Bauernaufstände. Ueber dem ganzen Lande schwebte damals ein finsteres Grau-
sen, die Blutlachen waren kaum vertrocknet, und an den Herzen der Ueberleben¬
den nagte der Wurm der Rache oder der Neue. Die deutschen Beamten, ein
schwachköpfiges, engherziges Geschlecht, ohne moralische Kraft, ohne Muth, In-
triguanten aus Schwäche, hatten sich von den Bauern plötzlich zurückgezogen, er¬
schreckt, nicht sowohl durch die viehischen Unthaten ihrer Schützlinge, als dnrch
den bösen Leumund, in welchen sie selbst bei dem gebildeten Europa gekommen
waren. Die Bauern schlössen aus der Kälte oder der drohenden Stellung, welche
die Beamten jetzt gegen sie einnahmen, daß die Regierung ihr Benehmen nicht
gut heiße nud die Versprechungen, welche ihnen unter der Hand gemacht worden
waren, nicht erfüllen werde. Ihr Triumph war längst vorüber, ihre Freude über
die Erlösung von Robot und Lasten war in den meisten Orten dem Schrecken
gewichen über die schlimmen Folgen, welche die plötzliche Lösung des patriarchali¬
schen Hörigkeitsverhältnisses in vielen Stücken für sie selbst hatte. Und schon
damals begann jener wunderliche Zustand des Landvolkes, welcher bis zum heuti¬
gen Tage fortdauert und die Zukunft des östlichen Galiziens noch immer mit
drohenden Wetterwolken umgibt. Mährend des Aufstandes hatten die Bauern
geglaubt, daß der ganze Adel mit einem Male für ewige Zeiten verschwinden
werde, die Ermordeten hatten aber ihre Erben gefunden und der Adel war noch
immer Herr des Landes, ja auch des Bauernstandes. Die Kälte der Regierung
war den unglücklichen Leuten ein äußerer Beweis, daß ihre That keine rechtliche
und triumphwürdige gewesen sei, und deshalb krochen sie jetzt in vielen Gegenden
mit so hündischer Demuth vor den Füßen ihrer Herren, wie nie zuvor; mau sah
es den Leuten an, sie würden mit Freuden zehn Jahre Fegefeuer übernommen
haben, wenn sie dadurch ihrer Gewissenslast ledig geworden wären.


Ein Oekonomiebeamter der Bogusz, Dobrowvlski, begleitete mich. Er schlug
einen Waldweg ein, der, nachdem wir einige freundliche, gut angebaute Thal¬
flachen durchschnitten hatten, zu dem Orte Nzemin führte, welcher ebenfalls der
Familie BoguSz angehörte. Auch dieser Ort verrieth eine gewisse Wohlhabenheit
der Bewohner und zeigte in allen Anlagen, ja selbst in den Umgrenzungen der
Weideflächen mehr Accuratesse und Zweckmäßigkeit, als man sonst in Galiziens
Dörfern zu finden gewöhnt ist. Die Bauern zogen mit ihrem Ochsengespann auf
die Saatäcker so fröhlich und singend , daß man nicht annehmen konnte, sie seien
mit ihrem Loose unzufrieden. Wie uns unser Begleiter mittheilte, hatte Jeder
von ihnen siebzehn große Morgen Land, Hütte und mir vollständigem Inventarium
versehene Wirthschaft zwar nicht als Eigenthum, jedoch als erbliches Lehen,
woraus die Robot zu entfertigen sei. Bei einer solchen Bodenfläche durften sich
die Bauern hier in der That reich dünken, denn in den meisten galizischen Dör¬
fern sind einer Bauerwirthschaft uur zwölf Morgen Land zugetheilt.

Fast dieselbe Reise machte ich von Tarnow aus einige Monate nach dem
Bauernaufstände. Ueber dem ganzen Lande schwebte damals ein finsteres Grau-
sen, die Blutlachen waren kaum vertrocknet, und an den Herzen der Ueberleben¬
den nagte der Wurm der Rache oder der Neue. Die deutschen Beamten, ein
schwachköpfiges, engherziges Geschlecht, ohne moralische Kraft, ohne Muth, In-
triguanten aus Schwäche, hatten sich von den Bauern plötzlich zurückgezogen, er¬
schreckt, nicht sowohl durch die viehischen Unthaten ihrer Schützlinge, als dnrch
den bösen Leumund, in welchen sie selbst bei dem gebildeten Europa gekommen
waren. Die Bauern schlössen aus der Kälte oder der drohenden Stellung, welche
die Beamten jetzt gegen sie einnahmen, daß die Regierung ihr Benehmen nicht
gut heiße nud die Versprechungen, welche ihnen unter der Hand gemacht worden
waren, nicht erfüllen werde. Ihr Triumph war längst vorüber, ihre Freude über
die Erlösung von Robot und Lasten war in den meisten Orten dem Schrecken
gewichen über die schlimmen Folgen, welche die plötzliche Lösung des patriarchali¬
schen Hörigkeitsverhältnisses in vielen Stücken für sie selbst hatte. Und schon
damals begann jener wunderliche Zustand des Landvolkes, welcher bis zum heuti¬
gen Tage fortdauert und die Zukunft des östlichen Galiziens noch immer mit
drohenden Wetterwolken umgibt. Mährend des Aufstandes hatten die Bauern
geglaubt, daß der ganze Adel mit einem Male für ewige Zeiten verschwinden
werde, die Ermordeten hatten aber ihre Erben gefunden und der Adel war noch
immer Herr des Landes, ja auch des Bauernstandes. Die Kälte der Regierung
war den unglücklichen Leuten ein äußerer Beweis, daß ihre That keine rechtliche
und triumphwürdige gewesen sei, und deshalb krochen sie jetzt in vielen Gegenden
mit so hündischer Demuth vor den Füßen ihrer Herren, wie nie zuvor; mau sah
es den Leuten an, sie würden mit Freuden zehn Jahre Fegefeuer übernommen
haben, wenn sie dadurch ihrer Gewissenslast ledig geworden wären.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/159>, abgerufen am 04.07.2024.