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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Bilder aus Galizien.



1. Bauern und Ed e l l e n t e.

Es sind jetzt sechs Jahr her, da zog ich von Tarnow aus dnrch das Thal
der Wislvka, zwischen üppigem Wiesengrün, Vaumgruppeu und Hügeln in das
Land hinein, meinen Wagen halte ich bei Wollt Pvdgorze ans der Straße zurück
gelassen. Ich kam in ein Dorf, dessen Banart und Anstrich sich vor den Nack-
bardörftrn vortheilhaft auszeichnete. Die Gebäude waren mit Stroh gedeckt, aber
von gestampftem Lehm und Bindwerk zusammengesetzt, ziemlich groß und geräumig.
Kammern waren angebaut zum Schlafen und zur Aufbewahrung von Gerathen,
die Wohnstuben und die Schwein- und Kuhstalle waren nicht in der gewöhnlichen
innigen Verbindung. Das Herrenhaus, der "Palast," war zwar wenig besser als
eine Banernwvhnnng, aber die Pferdeställe, das Gesindehaus und die Scheuern,
welche dasselbe umgaben, bildeten einen stattlichen WirthschaftShvf, in dem eine,
für Galizien ungewöhnliche Ordnung herrschte, ein neuer Speicher siel dnrch sein
hübsches Aeußere ans. Den Edelmann, einen alten Herrn, sah ich mehrere Male
baarhäuptig und mit kräftigen Schritten trotz seiner Krücke zwischen Palast und
dem Pferdepferch hin und hergchn, welcher sich dicht beim Dorf auf einer üppigen
Wiese am Rand eines Bächleins befand.

, Das Dorf hieß Siedlisko, der Edelmann war der 80jährige Herr v. Bognsz,
welcher übrigens in der Umgegend Boguszewski genannt wurde, und welcher ein
Jahr darauf, mit fast seiner ganzen Familie, von den Bauern geschlachtet ward.
Das jammervolle Schicksal der Familie ging damals dnrch alle dentschen Zeitungen
und erregte einen Schrei der Entrüstung und ein Gefühl des Schauders, woran
sich Ihre Leser noch erinnern werden. Damals, als ich das Dorf besuchte, dachte
noch Niemand von Allen, mit denen ich dort sprach, an tels Verhängnis!, und ein
Zufall war es, daß die Interessen eines Freundes mich veranlaßten, Erkundi¬
gungen über die Verhältnisse des Edelmannes einzuziehen und das Dorf mit Auf-
merksamkeit zu betrachten.

Das Dorf war ohne Frage zu den besten polnischen Dörfern zu rechnen.
Allenthalben, selbst in den Banerhüttcn, erblickte man eine gewisse Wohlhäbigkeit, die
auf dem flachen Laude in Galizien in der That uoch sehr selten zu gewahren ist.
Auffallend war die Accnratesse in der Feldwirthschaft, deren Grenze auf der einen
Seite bis fast in den Ort hereintrat; und hätte mau nicht einige zerstreut im
Felde stehende wilde Obstbäume und die allerdings sehr schlechte uraltpolnische
Weise des Pflügens vom Rücken (/akoni) gesehen, man würde diese Felder kaum
für polnische haben halten können.


Bilder aus Galizien.



1. Bauern und Ed e l l e n t e.

Es sind jetzt sechs Jahr her, da zog ich von Tarnow aus dnrch das Thal
der Wislvka, zwischen üppigem Wiesengrün, Vaumgruppeu und Hügeln in das
Land hinein, meinen Wagen halte ich bei Wollt Pvdgorze ans der Straße zurück
gelassen. Ich kam in ein Dorf, dessen Banart und Anstrich sich vor den Nack-
bardörftrn vortheilhaft auszeichnete. Die Gebäude waren mit Stroh gedeckt, aber
von gestampftem Lehm und Bindwerk zusammengesetzt, ziemlich groß und geräumig.
Kammern waren angebaut zum Schlafen und zur Aufbewahrung von Gerathen,
die Wohnstuben und die Schwein- und Kuhstalle waren nicht in der gewöhnlichen
innigen Verbindung. Das Herrenhaus, der „Palast," war zwar wenig besser als
eine Banernwvhnnng, aber die Pferdeställe, das Gesindehaus und die Scheuern,
welche dasselbe umgaben, bildeten einen stattlichen WirthschaftShvf, in dem eine,
für Galizien ungewöhnliche Ordnung herrschte, ein neuer Speicher siel dnrch sein
hübsches Aeußere ans. Den Edelmann, einen alten Herrn, sah ich mehrere Male
baarhäuptig und mit kräftigen Schritten trotz seiner Krücke zwischen Palast und
dem Pferdepferch hin und hergchn, welcher sich dicht beim Dorf auf einer üppigen
Wiese am Rand eines Bächleins befand.

, Das Dorf hieß Siedlisko, der Edelmann war der 80jährige Herr v. Bognsz,
welcher übrigens in der Umgegend Boguszewski genannt wurde, und welcher ein
Jahr darauf, mit fast seiner ganzen Familie, von den Bauern geschlachtet ward.
Das jammervolle Schicksal der Familie ging damals dnrch alle dentschen Zeitungen
und erregte einen Schrei der Entrüstung und ein Gefühl des Schauders, woran
sich Ihre Leser noch erinnern werden. Damals, als ich das Dorf besuchte, dachte
noch Niemand von Allen, mit denen ich dort sprach, an tels Verhängnis!, und ein
Zufall war es, daß die Interessen eines Freundes mich veranlaßten, Erkundi¬
gungen über die Verhältnisse des Edelmannes einzuziehen und das Dorf mit Auf-
merksamkeit zu betrachten.

Das Dorf war ohne Frage zu den besten polnischen Dörfern zu rechnen.
Allenthalben, selbst in den Banerhüttcn, erblickte man eine gewisse Wohlhäbigkeit, die
auf dem flachen Laude in Galizien in der That uoch sehr selten zu gewahren ist.
Auffallend war die Accnratesse in der Feldwirthschaft, deren Grenze auf der einen
Seite bis fast in den Ort hereintrat; und hätte mau nicht einige zerstreut im
Felde stehende wilde Obstbäume und die allerdings sehr schlechte uraltpolnische
Weise des Pflügens vom Rücken (/akoni) gesehen, man würde diese Felder kaum
für polnische haben halten können.


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[0156] Bilder aus Galizien. 1. Bauern und Ed e l l e n t e. Es sind jetzt sechs Jahr her, da zog ich von Tarnow aus dnrch das Thal der Wislvka, zwischen üppigem Wiesengrün, Vaumgruppeu und Hügeln in das Land hinein, meinen Wagen halte ich bei Wollt Pvdgorze ans der Straße zurück gelassen. Ich kam in ein Dorf, dessen Banart und Anstrich sich vor den Nack- bardörftrn vortheilhaft auszeichnete. Die Gebäude waren mit Stroh gedeckt, aber von gestampftem Lehm und Bindwerk zusammengesetzt, ziemlich groß und geräumig. Kammern waren angebaut zum Schlafen und zur Aufbewahrung von Gerathen, die Wohnstuben und die Schwein- und Kuhstalle waren nicht in der gewöhnlichen innigen Verbindung. Das Herrenhaus, der „Palast," war zwar wenig besser als eine Banernwvhnnng, aber die Pferdeställe, das Gesindehaus und die Scheuern, welche dasselbe umgaben, bildeten einen stattlichen WirthschaftShvf, in dem eine, für Galizien ungewöhnliche Ordnung herrschte, ein neuer Speicher siel dnrch sein hübsches Aeußere ans. Den Edelmann, einen alten Herrn, sah ich mehrere Male baarhäuptig und mit kräftigen Schritten trotz seiner Krücke zwischen Palast und dem Pferdepferch hin und hergchn, welcher sich dicht beim Dorf auf einer üppigen Wiese am Rand eines Bächleins befand. , Das Dorf hieß Siedlisko, der Edelmann war der 80jährige Herr v. Bognsz, welcher übrigens in der Umgegend Boguszewski genannt wurde, und welcher ein Jahr darauf, mit fast seiner ganzen Familie, von den Bauern geschlachtet ward. Das jammervolle Schicksal der Familie ging damals dnrch alle dentschen Zeitungen und erregte einen Schrei der Entrüstung und ein Gefühl des Schauders, woran sich Ihre Leser noch erinnern werden. Damals, als ich das Dorf besuchte, dachte noch Niemand von Allen, mit denen ich dort sprach, an tels Verhängnis!, und ein Zufall war es, daß die Interessen eines Freundes mich veranlaßten, Erkundi¬ gungen über die Verhältnisse des Edelmannes einzuziehen und das Dorf mit Auf- merksamkeit zu betrachten. Das Dorf war ohne Frage zu den besten polnischen Dörfern zu rechnen. Allenthalben, selbst in den Banerhüttcn, erblickte man eine gewisse Wohlhäbigkeit, die auf dem flachen Laude in Galizien in der That uoch sehr selten zu gewahren ist. Auffallend war die Accnratesse in der Feldwirthschaft, deren Grenze auf der einen Seite bis fast in den Ort hereintrat; und hätte mau nicht einige zerstreut im Felde stehende wilde Obstbäume und die allerdings sehr schlechte uraltpolnische Weise des Pflügens vom Rücken (/akoni) gesehen, man würde diese Felder kaum für polnische haben halten können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/156>, abgerufen am 24.07.2024.