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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Ich habe dieser Tage irgendwo gelesen, daß das Ministerium Schwarzenberg,
das bis jetzt nur Constitutionen machte, nun auch Geschichte machen will, und
gesonnen sei, eine Geschichte der ungarischen Revolution schreiben zu lassen. Die
oftgenannte Brochure liefert ein gutes Stück Material zu einer solchen Geschichte,
eine Charakteristik Kossuth's und ein Bild von den Rebellen, wie es selbst Herr
von Hurter nicht vortheilhafter entwerfen kann.

Was übrigens die Unabhängigkeitserklärung selbst betrifft, so können wir
hente, trotz des dichten Schleiers, der noch über der Entstehung dieses großen
Aktes liegt, mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß Kossuth keinesfalls der un¬
garischen Sache dadurch geschadet habe. Denn Rußland, welches Oestreich
um jeden Preis protegiren mußte, um sich anstatt einer starken Nachbarschaft einen
an tausend Wunden blutenden Vasallen zu sichern, hätte ohne den 14. April einen
Vorwand gefunden, in Ungarn zu interveniren, und wirklich war das Rundschrei¬
ben, welches vor den Kabinetten diese Intervention erklären sollte, vor dem 14.
April ausgestellt, und die sogenannten constitutionellen Mächte hätten zu Gunsten
eines Volkes, das sich bereits von seinem Fürsten losgesagt hatte, noch leichter
interveniren können, als für eine Emente von Unterthanen, die ihrem Souverain
etwas abzwingen will. -- Daß aber diese Erklärung, selbst nachdem die Revolu¬
tion unterdrückt ist, dem Volke ein stolzer Trost ist, wird Jeder eingestehen, der
das ungarische Volk nicht ans Büchern, sonder" ans seinem Treiben kennt und
die Veränderungen beobachtet hat, die seit dem 14. April mit ihm vorgegangen
sind. -- Die Revolution hat die Kraft, die Unabhängigkeitserklärung den Stolz
der Nation geweckt; die Kraft wurde durch Verrath und Uebermacht gebrochen,
ober der Stolz erhebt sich im Unglück, wie die Palme unter der Last, und die¬
ser Stolz wird nie ein freiwilliges Anschließen an Oestreich zugeben. Haynan hat
in seiner Weise sehr klug gehandelt, der beleidigten Majestät so viele Opfer zu
bringen; denn Liebkosungen hätten so wenig das ungarische Volk östreichisch ge¬
macht, als die. Galgen von Arad und die Fnsilladen von Pesth. Weshalb also
sollte er nicht thun, was um so Vieles bequemer war und ihm natürlicher stand?
Er hat unschädlich gemacht, die dem Haß des Volkes Ausdruck geben konnten,




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Ich habe dieser Tage irgendwo gelesen, daß das Ministerium Schwarzenberg,
das bis jetzt nur Constitutionen machte, nun auch Geschichte machen will, und
gesonnen sei, eine Geschichte der ungarischen Revolution schreiben zu lassen. Die
oftgenannte Brochure liefert ein gutes Stück Material zu einer solchen Geschichte,
eine Charakteristik Kossuth's und ein Bild von den Rebellen, wie es selbst Herr
von Hurter nicht vortheilhafter entwerfen kann.

Was übrigens die Unabhängigkeitserklärung selbst betrifft, so können wir
hente, trotz des dichten Schleiers, der noch über der Entstehung dieses großen
Aktes liegt, mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß Kossuth keinesfalls der un¬
garischen Sache dadurch geschadet habe. Denn Rußland, welches Oestreich
um jeden Preis protegiren mußte, um sich anstatt einer starken Nachbarschaft einen
an tausend Wunden blutenden Vasallen zu sichern, hätte ohne den 14. April einen
Vorwand gefunden, in Ungarn zu interveniren, und wirklich war das Rundschrei¬
ben, welches vor den Kabinetten diese Intervention erklären sollte, vor dem 14.
April ausgestellt, und die sogenannten constitutionellen Mächte hätten zu Gunsten
eines Volkes, das sich bereits von seinem Fürsten losgesagt hatte, noch leichter
interveniren können, als für eine Emente von Unterthanen, die ihrem Souverain
etwas abzwingen will. — Daß aber diese Erklärung, selbst nachdem die Revolu¬
tion unterdrückt ist, dem Volke ein stolzer Trost ist, wird Jeder eingestehen, der
das ungarische Volk nicht ans Büchern, sonder» ans seinem Treiben kennt und
die Veränderungen beobachtet hat, die seit dem 14. April mit ihm vorgegangen
sind. — Die Revolution hat die Kraft, die Unabhängigkeitserklärung den Stolz
der Nation geweckt; die Kraft wurde durch Verrath und Uebermacht gebrochen,
ober der Stolz erhebt sich im Unglück, wie die Palme unter der Last, und die¬
ser Stolz wird nie ein freiwilliges Anschließen an Oestreich zugeben. Haynan hat
in seiner Weise sehr klug gehandelt, der beleidigten Majestät so viele Opfer zu
bringen; denn Liebkosungen hätten so wenig das ungarische Volk östreichisch ge¬
macht, als die. Galgen von Arad und die Fnsilladen von Pesth. Weshalb also
sollte er nicht thun, was um so Vieles bequemer war und ihm natürlicher stand?
Er hat unschädlich gemacht, die dem Haß des Volkes Ausdruck geben konnten,




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[0155] Ich habe dieser Tage irgendwo gelesen, daß das Ministerium Schwarzenberg, das bis jetzt nur Constitutionen machte, nun auch Geschichte machen will, und gesonnen sei, eine Geschichte der ungarischen Revolution schreiben zu lassen. Die oftgenannte Brochure liefert ein gutes Stück Material zu einer solchen Geschichte, eine Charakteristik Kossuth's und ein Bild von den Rebellen, wie es selbst Herr von Hurter nicht vortheilhafter entwerfen kann. Was übrigens die Unabhängigkeitserklärung selbst betrifft, so können wir hente, trotz des dichten Schleiers, der noch über der Entstehung dieses großen Aktes liegt, mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß Kossuth keinesfalls der un¬ garischen Sache dadurch geschadet habe. Denn Rußland, welches Oestreich um jeden Preis protegiren mußte, um sich anstatt einer starken Nachbarschaft einen an tausend Wunden blutenden Vasallen zu sichern, hätte ohne den 14. April einen Vorwand gefunden, in Ungarn zu interveniren, und wirklich war das Rundschrei¬ ben, welches vor den Kabinetten diese Intervention erklären sollte, vor dem 14. April ausgestellt, und die sogenannten constitutionellen Mächte hätten zu Gunsten eines Volkes, das sich bereits von seinem Fürsten losgesagt hatte, noch leichter interveniren können, als für eine Emente von Unterthanen, die ihrem Souverain etwas abzwingen will. — Daß aber diese Erklärung, selbst nachdem die Revolu¬ tion unterdrückt ist, dem Volke ein stolzer Trost ist, wird Jeder eingestehen, der das ungarische Volk nicht ans Büchern, sonder» ans seinem Treiben kennt und die Veränderungen beobachtet hat, die seit dem 14. April mit ihm vorgegangen sind. — Die Revolution hat die Kraft, die Unabhängigkeitserklärung den Stolz der Nation geweckt; die Kraft wurde durch Verrath und Uebermacht gebrochen, ober der Stolz erhebt sich im Unglück, wie die Palme unter der Last, und die¬ ser Stolz wird nie ein freiwilliges Anschließen an Oestreich zugeben. Haynan hat in seiner Weise sehr klug gehandelt, der beleidigten Majestät so viele Opfer zu bringen; denn Liebkosungen hätten so wenig das ungarische Volk östreichisch ge¬ macht, als die. Galgen von Arad und die Fnsilladen von Pesth. Weshalb also sollte er nicht thun, was um so Vieles bequemer war und ihm natürlicher stand? Er hat unschädlich gemacht, die dem Haß des Volkes Ausdruck geben konnten, 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/155>, abgerufen am 24.07.2024.