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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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ren; allein gegen diese Behauptung sprechen folgende Umstände: erstens hätte
Kossuth schwerlich mit einem Feldherrn, der in einer solchen Frage von ihm di-
vergirte, regieren, viel weniger aber diesen Feldherrn zu seinem Minister machen
können; zweitens sanktionirte Görgey selbst diesen Akt durch seinen Eintritt in
das Ministerium Szemere, das die-unabhängige, untheilbare demokratische Repu¬
blik wenigstens auf seine Fahne geschrieben hatte, und drittens erließ später das
Gesammtministerium, also auch Görgey, zur Beseitigung aller Mißverständnisse
im "Közlöny" eine Erklärung: "daß jeues Gerücht, das Heer kämpfe gegen Franz
Joseph für den seines Thrones beraubten Ferdinand, ein lügenhaftes sei, erdichtet
von den Feinden des Vaterlandes, um eine Begriffsverwirrung und dadurch wo
möglich eine Spaltung in dem ungarischen Volke hervorzubringen" u. s. w.

Auch war in der damaligen Tagespresse, die sich von der früheren Pietäts¬
politik änßerst energisch emancipirt hatte, keine Spur von Mißbilligung dieses
großen Aktes zu finden; und doch waren einige Blätter die treuen Schildträger
Görgey's: es läßt sich also ein öffentliches Auftreten Görgcy's gegen den
14. April nicht wohl annehmen, und wir stoßen hier auf dasselbe Dunkel in dem
Betragen dieses räthselhaften Mannes, wie später in seinem Verhältniß zur Kvs-
suih'scheu, östreichischen und russischen Regierung.

Aus den angeführten Thatsachen und angedeuteten theils offenen, theils aber
noch unerklärbarer Verhältnissen wird der unbefangene Leser leicht ersehen können,
was wir von einem Werke über.die ungarische Revolution, das
von Kossuth oder den übrigen größeren Factoren dieser Revolu¬
tion in die Welt geschickt wird, erwarten, ja fordern dürfen; und
dieses ist: Aufklärung über das Verhalten Görgey's zu der Unabhängigkeitserklä¬
rung, sein Verhältniß zur ungarischen Regierung nach der Einnahme von Ofen,
und zu den übrigen Generälen vor und während der Entwaffnung zu Vililgvs.
Und hiermit ist das Urtheil über die Wigand'sche Brochure ziemlich festgestellt.
Ein Werk, das uns über genannte Punkte im Dunkeln läßt, oder mit Alltags-
mnthmaßnngen und einigen Jammertiraden abspeis't, kann unmöglich der Feder
Kossuth's entflossen sein. Kossuth ist vor allem ein ehrlicher Mann und wird uns
nicht Sand in Mund und Augen werfen, während wir nach Lust schnappen, aber
Kossuth ist auch ein klarer und verständlicher Schriftsteller und wird uns nicht in
ein Labyrinth stoßen, während wir im Dunkeln herumtappen. Der Verfasser jener
Brochure aber, der vielleicht ein müßiger Zuschauer, aber keinesfalls ein Factor
der großen Bewegung gewesen sein kann, hat der ungarischen Sache mit seinem
Machwerk sehr geschadet; denn, was soll das deutsche Volk von der ungarischen
Nation denken, wenn der Mann, der noch hente der Stolz dieses Volkes ist, bei
dessen Namen sich das unter dem Henkerbeil liegende Haupt noch mit einem freu¬
digen Lächeln überzieht, so wäre, wie er in dieser Brochure erscheint; nicht grö¬
ßer, nicht weiser, nicht stärker!


ren; allein gegen diese Behauptung sprechen folgende Umstände: erstens hätte
Kossuth schwerlich mit einem Feldherrn, der in einer solchen Frage von ihm di-
vergirte, regieren, viel weniger aber diesen Feldherrn zu seinem Minister machen
können; zweitens sanktionirte Görgey selbst diesen Akt durch seinen Eintritt in
das Ministerium Szemere, das die-unabhängige, untheilbare demokratische Repu¬
blik wenigstens auf seine Fahne geschrieben hatte, und drittens erließ später das
Gesammtministerium, also auch Görgey, zur Beseitigung aller Mißverständnisse
im „Közlöny" eine Erklärung: „daß jeues Gerücht, das Heer kämpfe gegen Franz
Joseph für den seines Thrones beraubten Ferdinand, ein lügenhaftes sei, erdichtet
von den Feinden des Vaterlandes, um eine Begriffsverwirrung und dadurch wo
möglich eine Spaltung in dem ungarischen Volke hervorzubringen" u. s. w.

Auch war in der damaligen Tagespresse, die sich von der früheren Pietäts¬
politik änßerst energisch emancipirt hatte, keine Spur von Mißbilligung dieses
großen Aktes zu finden; und doch waren einige Blätter die treuen Schildträger
Görgey's: es läßt sich also ein öffentliches Auftreten Görgcy's gegen den
14. April nicht wohl annehmen, und wir stoßen hier auf dasselbe Dunkel in dem
Betragen dieses räthselhaften Mannes, wie später in seinem Verhältniß zur Kvs-
suih'scheu, östreichischen und russischen Regierung.

Aus den angeführten Thatsachen und angedeuteten theils offenen, theils aber
noch unerklärbarer Verhältnissen wird der unbefangene Leser leicht ersehen können,
was wir von einem Werke über.die ungarische Revolution, das
von Kossuth oder den übrigen größeren Factoren dieser Revolu¬
tion in die Welt geschickt wird, erwarten, ja fordern dürfen; und
dieses ist: Aufklärung über das Verhalten Görgey's zu der Unabhängigkeitserklä¬
rung, sein Verhältniß zur ungarischen Regierung nach der Einnahme von Ofen,
und zu den übrigen Generälen vor und während der Entwaffnung zu Vililgvs.
Und hiermit ist das Urtheil über die Wigand'sche Brochure ziemlich festgestellt.
Ein Werk, das uns über genannte Punkte im Dunkeln läßt, oder mit Alltags-
mnthmaßnngen und einigen Jammertiraden abspeis't, kann unmöglich der Feder
Kossuth's entflossen sein. Kossuth ist vor allem ein ehrlicher Mann und wird uns
nicht Sand in Mund und Augen werfen, während wir nach Lust schnappen, aber
Kossuth ist auch ein klarer und verständlicher Schriftsteller und wird uns nicht in
ein Labyrinth stoßen, während wir im Dunkeln herumtappen. Der Verfasser jener
Brochure aber, der vielleicht ein müßiger Zuschauer, aber keinesfalls ein Factor
der großen Bewegung gewesen sein kann, hat der ungarischen Sache mit seinem
Machwerk sehr geschadet; denn, was soll das deutsche Volk von der ungarischen
Nation denken, wenn der Mann, der noch hente der Stolz dieses Volkes ist, bei
dessen Namen sich das unter dem Henkerbeil liegende Haupt noch mit einem freu¬
digen Lächeln überzieht, so wäre, wie er in dieser Brochure erscheint; nicht grö¬
ßer, nicht weiser, nicht stärker!


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[0154] ren; allein gegen diese Behauptung sprechen folgende Umstände: erstens hätte Kossuth schwerlich mit einem Feldherrn, der in einer solchen Frage von ihm di- vergirte, regieren, viel weniger aber diesen Feldherrn zu seinem Minister machen können; zweitens sanktionirte Görgey selbst diesen Akt durch seinen Eintritt in das Ministerium Szemere, das die-unabhängige, untheilbare demokratische Repu¬ blik wenigstens auf seine Fahne geschrieben hatte, und drittens erließ später das Gesammtministerium, also auch Görgey, zur Beseitigung aller Mißverständnisse im „Közlöny" eine Erklärung: „daß jeues Gerücht, das Heer kämpfe gegen Franz Joseph für den seines Thrones beraubten Ferdinand, ein lügenhaftes sei, erdichtet von den Feinden des Vaterlandes, um eine Begriffsverwirrung und dadurch wo möglich eine Spaltung in dem ungarischen Volke hervorzubringen" u. s. w. Auch war in der damaligen Tagespresse, die sich von der früheren Pietäts¬ politik änßerst energisch emancipirt hatte, keine Spur von Mißbilligung dieses großen Aktes zu finden; und doch waren einige Blätter die treuen Schildträger Görgey's: es läßt sich also ein öffentliches Auftreten Görgcy's gegen den 14. April nicht wohl annehmen, und wir stoßen hier auf dasselbe Dunkel in dem Betragen dieses räthselhaften Mannes, wie später in seinem Verhältniß zur Kvs- suih'scheu, östreichischen und russischen Regierung. Aus den angeführten Thatsachen und angedeuteten theils offenen, theils aber noch unerklärbarer Verhältnissen wird der unbefangene Leser leicht ersehen können, was wir von einem Werke über.die ungarische Revolution, das von Kossuth oder den übrigen größeren Factoren dieser Revolu¬ tion in die Welt geschickt wird, erwarten, ja fordern dürfen; und dieses ist: Aufklärung über das Verhalten Görgey's zu der Unabhängigkeitserklä¬ rung, sein Verhältniß zur ungarischen Regierung nach der Einnahme von Ofen, und zu den übrigen Generälen vor und während der Entwaffnung zu Vililgvs. Und hiermit ist das Urtheil über die Wigand'sche Brochure ziemlich festgestellt. Ein Werk, das uns über genannte Punkte im Dunkeln läßt, oder mit Alltags- mnthmaßnngen und einigen Jammertiraden abspeis't, kann unmöglich der Feder Kossuth's entflossen sein. Kossuth ist vor allem ein ehrlicher Mann und wird uns nicht Sand in Mund und Augen werfen, während wir nach Lust schnappen, aber Kossuth ist auch ein klarer und verständlicher Schriftsteller und wird uns nicht in ein Labyrinth stoßen, während wir im Dunkeln herumtappen. Der Verfasser jener Brochure aber, der vielleicht ein müßiger Zuschauer, aber keinesfalls ein Factor der großen Bewegung gewesen sein kann, hat der ungarischen Sache mit seinem Machwerk sehr geschadet; denn, was soll das deutsche Volk von der ungarischen Nation denken, wenn der Mann, der noch hente der Stolz dieses Volkes ist, bei dessen Namen sich das unter dem Henkerbeil liegende Haupt noch mit einem freu¬ digen Lächeln überzieht, so wäre, wie er in dieser Brochure erscheint; nicht grö¬ ßer, nicht weiser, nicht stärker!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/154>, abgerufen am 24.07.2024.