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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Von der hannöverschen Nordseeküste.



Die Winterfahrt über die Elbe von Hamburg nach Harburg gibt einem
deutschen Patrioten allerlei zu denken. Als Hamburg die französische Präfectur-
stadt des Departements der Elbmüuduug war, schlugen die praktischen Franzosen
sogleich eine Pfahlbrücke über die Insel Wilhelmsburg uach dem jenseitigen Elb-
ufer. Kaum waren sie vertrieben, so war es das Erste, was die wohlweisen
Regierungen beider eifersüchtigen Nachbarstaaten unternahmen, diese Brücke so ge¬
schwind als möglich wieder abzubrechen. Und bis jetzt dauert die unsichere, be¬
schwerliche, Winterpassage, daß mau oft Stunden lang auf der weder fest gefrornen,
noch für die Dampfer fahrbaren Elbe auf Eisboden herumtreiben muß, weil Ham¬
burg und Hannover sich nicht über den Ban einer Brücke einigen können.

Die hannöverschen Landestheile zwischen Unter-Weser und Unter-Elbe sind
kein schönes, aber ein tüchtiges Land^ sowohl der ebene, meist ergiebige Boden,
als die langsamen, kernhaften Menschen. Der flüchtige Reisende wird theilnahm-
los durch die flache Gegend eilen, ja, sich freuen, hat er dieselbe erst verlassen.
Aber wohlhabende, arbeitsame, strebsame Menschen leben hier, das Proletariat ist
kaum dem Namen nach bekannt, und überall erfreut sich das Auge an dem Anblick
gut gehaltener Bauernhöfe, deren Aeußeres die innere Gediegenheit verräth. Der
Bauernstand bildet hier noch deu Kern der Bevölkerung, an deu dann alles Ueb-
rige sich anschließen muß; zwar sind die Hänser, selbst der ersten Bauern ge¬
wöhnlich nur mit einem Strohdache versehen, und das Vieh hat oft seine Stallung
im gleichen Gebäude, aber Alles ist so fest gezimmert, so wohl gehalten, daß man
es mit herzlichem Behagen betrachtet. Vor Allem die Pferde, das Rindvieh.
Hier spannt der Bauer vier starke Rosse vor seinen Düngerwagen, gleich von
Farbe, gleich stattlich und fehlerlos im Bau; unter dem allgemeinen Namen
"Mecklenburger" sind sie in der ganzen Welt berühmt, denn selbst der Sultan
in Constantinopel hat sich diese Race für seine Staatskarosse kommen lassen. Auch
Geist und Gesinnung der ländlichen Bevölkerung sind an den Küsten der Nordsee
brav und kräftig. Zwar ist die Zunge nicht sehr gelenk, die Worte fließen nicht
so rasch, wie an den sonnigen Ufern des Rheins, dafür ist das, was gesagt
wird, anch gründlich, wohldurchdacht und zuverlässig. An Politik nimmt man
hier jetzt regen Antheil , und der Bauer liest regelmäßig seine Zeitung, gewöhn¬
lich die Weser- und Neue Bremer Zeitung, auch die "Zeitung für Norddeutsch¬
land" findet man hier sehr häufig, selteuer die offizielle "Hannöversche Zeitung."
Natürlich ist die Stimmung des Volkes durch einen starken Instinkt für Conser-


Gmizbvten. >- 1850. 18
Von der hannöverschen Nordseeküste.



Die Winterfahrt über die Elbe von Hamburg nach Harburg gibt einem
deutschen Patrioten allerlei zu denken. Als Hamburg die französische Präfectur-
stadt des Departements der Elbmüuduug war, schlugen die praktischen Franzosen
sogleich eine Pfahlbrücke über die Insel Wilhelmsburg uach dem jenseitigen Elb-
ufer. Kaum waren sie vertrieben, so war es das Erste, was die wohlweisen
Regierungen beider eifersüchtigen Nachbarstaaten unternahmen, diese Brücke so ge¬
schwind als möglich wieder abzubrechen. Und bis jetzt dauert die unsichere, be¬
schwerliche, Winterpassage, daß mau oft Stunden lang auf der weder fest gefrornen,
noch für die Dampfer fahrbaren Elbe auf Eisboden herumtreiben muß, weil Ham¬
burg und Hannover sich nicht über den Ban einer Brücke einigen können.

Die hannöverschen Landestheile zwischen Unter-Weser und Unter-Elbe sind
kein schönes, aber ein tüchtiges Land^ sowohl der ebene, meist ergiebige Boden,
als die langsamen, kernhaften Menschen. Der flüchtige Reisende wird theilnahm-
los durch die flache Gegend eilen, ja, sich freuen, hat er dieselbe erst verlassen.
Aber wohlhabende, arbeitsame, strebsame Menschen leben hier, das Proletariat ist
kaum dem Namen nach bekannt, und überall erfreut sich das Auge an dem Anblick
gut gehaltener Bauernhöfe, deren Aeußeres die innere Gediegenheit verräth. Der
Bauernstand bildet hier noch deu Kern der Bevölkerung, an deu dann alles Ueb-
rige sich anschließen muß; zwar sind die Hänser, selbst der ersten Bauern ge¬
wöhnlich nur mit einem Strohdache versehen, und das Vieh hat oft seine Stallung
im gleichen Gebäude, aber Alles ist so fest gezimmert, so wohl gehalten, daß man
es mit herzlichem Behagen betrachtet. Vor Allem die Pferde, das Rindvieh.
Hier spannt der Bauer vier starke Rosse vor seinen Düngerwagen, gleich von
Farbe, gleich stattlich und fehlerlos im Bau; unter dem allgemeinen Namen
„Mecklenburger" sind sie in der ganzen Welt berühmt, denn selbst der Sultan
in Constantinopel hat sich diese Race für seine Staatskarosse kommen lassen. Auch
Geist und Gesinnung der ländlichen Bevölkerung sind an den Küsten der Nordsee
brav und kräftig. Zwar ist die Zunge nicht sehr gelenk, die Worte fließen nicht
so rasch, wie an den sonnigen Ufern des Rheins, dafür ist das, was gesagt
wird, anch gründlich, wohldurchdacht und zuverlässig. An Politik nimmt man
hier jetzt regen Antheil , und der Bauer liest regelmäßig seine Zeitung, gewöhn¬
lich die Weser- und Neue Bremer Zeitung, auch die „Zeitung für Norddeutsch¬
land" findet man hier sehr häufig, selteuer die offizielle „Hannöversche Zeitung."
Natürlich ist die Stimmung des Volkes durch einen starken Instinkt für Conser-


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[0145] Von der hannöverschen Nordseeküste. Die Winterfahrt über die Elbe von Hamburg nach Harburg gibt einem deutschen Patrioten allerlei zu denken. Als Hamburg die französische Präfectur- stadt des Departements der Elbmüuduug war, schlugen die praktischen Franzosen sogleich eine Pfahlbrücke über die Insel Wilhelmsburg uach dem jenseitigen Elb- ufer. Kaum waren sie vertrieben, so war es das Erste, was die wohlweisen Regierungen beider eifersüchtigen Nachbarstaaten unternahmen, diese Brücke so ge¬ schwind als möglich wieder abzubrechen. Und bis jetzt dauert die unsichere, be¬ schwerliche, Winterpassage, daß mau oft Stunden lang auf der weder fest gefrornen, noch für die Dampfer fahrbaren Elbe auf Eisboden herumtreiben muß, weil Ham¬ burg und Hannover sich nicht über den Ban einer Brücke einigen können. Die hannöverschen Landestheile zwischen Unter-Weser und Unter-Elbe sind kein schönes, aber ein tüchtiges Land^ sowohl der ebene, meist ergiebige Boden, als die langsamen, kernhaften Menschen. Der flüchtige Reisende wird theilnahm- los durch die flache Gegend eilen, ja, sich freuen, hat er dieselbe erst verlassen. Aber wohlhabende, arbeitsame, strebsame Menschen leben hier, das Proletariat ist kaum dem Namen nach bekannt, und überall erfreut sich das Auge an dem Anblick gut gehaltener Bauernhöfe, deren Aeußeres die innere Gediegenheit verräth. Der Bauernstand bildet hier noch deu Kern der Bevölkerung, an deu dann alles Ueb- rige sich anschließen muß; zwar sind die Hänser, selbst der ersten Bauern ge¬ wöhnlich nur mit einem Strohdache versehen, und das Vieh hat oft seine Stallung im gleichen Gebäude, aber Alles ist so fest gezimmert, so wohl gehalten, daß man es mit herzlichem Behagen betrachtet. Vor Allem die Pferde, das Rindvieh. Hier spannt der Bauer vier starke Rosse vor seinen Düngerwagen, gleich von Farbe, gleich stattlich und fehlerlos im Bau; unter dem allgemeinen Namen „Mecklenburger" sind sie in der ganzen Welt berühmt, denn selbst der Sultan in Constantinopel hat sich diese Race für seine Staatskarosse kommen lassen. Auch Geist und Gesinnung der ländlichen Bevölkerung sind an den Küsten der Nordsee brav und kräftig. Zwar ist die Zunge nicht sehr gelenk, die Worte fließen nicht so rasch, wie an den sonnigen Ufern des Rheins, dafür ist das, was gesagt wird, anch gründlich, wohldurchdacht und zuverlässig. An Politik nimmt man hier jetzt regen Antheil , und der Bauer liest regelmäßig seine Zeitung, gewöhn¬ lich die Weser- und Neue Bremer Zeitung, auch die „Zeitung für Norddeutsch¬ land" findet man hier sehr häufig, selteuer die offizielle „Hannöversche Zeitung." Natürlich ist die Stimmung des Volkes durch einen starken Instinkt für Conser- Gmizbvten. >- 1850. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/145>, abgerufen am 04.07.2024.