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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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sehr bedrohliche Aehnlichkeit hat. Daß aber unser Publikum so sehr von dem
Vorlesen erbaut wurde, hat noch einen bessern Grund. Es war erfreut und
dankbar über diese anschauliche und höchst populäre Darstellung eines interessanten
Abschnittes der Geschichte und wurde erschüttert und fortgerissen durch die mäch¬
tige Stimme des Vorlesers. Alles Gute, was wir an dem Stück nicht rühmen
konnten, wollen wir von dem Organe des Vorlesers sagen. Solche Kraft der
Lungen und solche Ausdauer! Drei Stunden lang dröhnen die Flüche verzweifel¬
ter Candidaten der Guillotine aus seiner Brust, und im letzten Akt noch eben so
voll als im ersten. Das ist in der That ein seltenes Talent. -- Wenn sich aber
die Kritiker von Profession diesem Stück gegenüber zu warmem Lobe haben ver¬
führen lassen, so gibt es dafür gar keine Entschuldigung. Denn das nichtsnutzige
des Stückes ist für ein geübtes Urtheil leicht zu erkennen, und es ist dabei weder
Täuschung uoch Verschiedenheit der Ansichten möglich. Es lohnt sich übrigens der
Mühe, die Fähigkeiten und Kenntnisse der kritischen Wortführer in Berlin, der
Rötscher, Klein und wie sie sonst heißen, wieder einer Kritik zu unterwerfen, denn
ihre Unwissenheit sowohl, als ihre Gewissenlosigkeit ist größer, als in unseren
Tagen billig ist, obgleich der eine vou den Genannten ästhetische Bücher, der an¬
dere Theaterstücke geschrieben hat; Beiden sind die Gesetze des dramatischen Lebens
fremd geblieben und ihr Urtheil ist auch in Sachen, welche auf der Hand liegen,
unzuverlässig und bestechlich, wie es bei Dilettanten zu sein pflegt.

Wenn das Drama Robespierre gedruckt ist, werden die obigen Bemerkungen
über das Stück auch denen, welche jetzt schöne Hoffnungen darauf setzen, nicht un¬
gerecht erscheinen. Da man die Gesetze der Kunst in ihrer innern Nothwendigkeit
fast aus allen Gebilden, aus guten, wie aus schlechte", construiren kann, so wollen
wir dasselbe Drama alsdann bei einem längeren Aufsatz über die Technik des
Schauspiels zu Grunde legen. Bis dahin mögen unsere Leser den Grenzboten
glauben, daß das Stück kein Gewinn für die Kunst ist; jedes Stück von Gutzkow
übertrifft dasselbe an Reichthum der Anschauungen in den Situationen, und jedes
Stück der Birch an zweckmäßiger Zubereitung der Scenen.

Dagegen liegt ein anderes Stück im Manuscript vor uns: Eine Wald¬
tragödie von Otto Ludwig, welches Beweis einer so glücklichen Dichter¬
kraft ist, daß sich daraus für die Zukunft vieles Gute hoffen läßt. Hier ist endlich
einmal ein Deutscher, welcher Bewegungen der Seele, die größten Leidenschaften
reich und wirksam darzustellen weiß. Das nächste Heft soll eine kurze Kritik des
Dramas und des Dichtertalentes bringen, so weit es uns erkennbar ist.




sehr bedrohliche Aehnlichkeit hat. Daß aber unser Publikum so sehr von dem
Vorlesen erbaut wurde, hat noch einen bessern Grund. Es war erfreut und
dankbar über diese anschauliche und höchst populäre Darstellung eines interessanten
Abschnittes der Geschichte und wurde erschüttert und fortgerissen durch die mäch¬
tige Stimme des Vorlesers. Alles Gute, was wir an dem Stück nicht rühmen
konnten, wollen wir von dem Organe des Vorlesers sagen. Solche Kraft der
Lungen und solche Ausdauer! Drei Stunden lang dröhnen die Flüche verzweifel¬
ter Candidaten der Guillotine aus seiner Brust, und im letzten Akt noch eben so
voll als im ersten. Das ist in der That ein seltenes Talent. — Wenn sich aber
die Kritiker von Profession diesem Stück gegenüber zu warmem Lobe haben ver¬
führen lassen, so gibt es dafür gar keine Entschuldigung. Denn das nichtsnutzige
des Stückes ist für ein geübtes Urtheil leicht zu erkennen, und es ist dabei weder
Täuschung uoch Verschiedenheit der Ansichten möglich. Es lohnt sich übrigens der
Mühe, die Fähigkeiten und Kenntnisse der kritischen Wortführer in Berlin, der
Rötscher, Klein und wie sie sonst heißen, wieder einer Kritik zu unterwerfen, denn
ihre Unwissenheit sowohl, als ihre Gewissenlosigkeit ist größer, als in unseren
Tagen billig ist, obgleich der eine vou den Genannten ästhetische Bücher, der an¬
dere Theaterstücke geschrieben hat; Beiden sind die Gesetze des dramatischen Lebens
fremd geblieben und ihr Urtheil ist auch in Sachen, welche auf der Hand liegen,
unzuverlässig und bestechlich, wie es bei Dilettanten zu sein pflegt.

Wenn das Drama Robespierre gedruckt ist, werden die obigen Bemerkungen
über das Stück auch denen, welche jetzt schöne Hoffnungen darauf setzen, nicht un¬
gerecht erscheinen. Da man die Gesetze der Kunst in ihrer innern Nothwendigkeit
fast aus allen Gebilden, aus guten, wie aus schlechte», construiren kann, so wollen
wir dasselbe Drama alsdann bei einem längeren Aufsatz über die Technik des
Schauspiels zu Grunde legen. Bis dahin mögen unsere Leser den Grenzboten
glauben, daß das Stück kein Gewinn für die Kunst ist; jedes Stück von Gutzkow
übertrifft dasselbe an Reichthum der Anschauungen in den Situationen, und jedes
Stück der Birch an zweckmäßiger Zubereitung der Scenen.

Dagegen liegt ein anderes Stück im Manuscript vor uns: Eine Wald¬
tragödie von Otto Ludwig, welches Beweis einer so glücklichen Dichter¬
kraft ist, daß sich daraus für die Zukunft vieles Gute hoffen läßt. Hier ist endlich
einmal ein Deutscher, welcher Bewegungen der Seele, die größten Leidenschaften
reich und wirksam darzustellen weiß. Das nächste Heft soll eine kurze Kritik des
Dramas und des Dichtertalentes bringen, so weit es uns erkennbar ist.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/144>, abgerufen am 04.07.2024.