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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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am Besten, sich mit den Romantikern überhaupt nicht weiter abzugeben. So steht
die Sache aber nicht. Der Geist, aus welchem die Mißgeburten der Schule her¬
vorgingen, ist noch in voller Kraft. Wir müssen ihn schonungslos bekämpfen, um
seiner Herr zu werden, und, da mit abstracten Lehrsätzen nicht viel gethan ist, an
seinen Trägern. Freilich ist solche Kritik nur dann fruchtbar, wenn sie mit der
Produktion Hand in Hand geht. Die Romantik, d. h. die Reaktion der willkürlichen
Phantasie gegen die Logik, wird dadurch aufgehoben, daß mau die Thätigkeit des
schaffenden Geistes auf einen unmittelbaren, bestimmten, bewußten Zweck leitet.
Die Wissenschaft, die Kunst, das Staatsleben hat die Hauptsache zu thun, aber
der Kritik bleibt die nicht minder ehrenvolle Aufgabe, thuen den Weg zu ebnen.

Die Romantik ist reich an Metamorphosen; hat man ihr die eine Maske ab¬
gerissen, so zeigt sie doch noch nicht ihr wahres Gesicht; eine Larve steckt hinter
der audern. Es läßt sich das in der Kunst, in der Wissenschaft und im Staats-
leben veranschaulichen. Ich erinnere hier mir an Einzelnes.

Zuerst die Kunst. Die Richtung auf den unmittelbaren Erfolg der Bühne
hat die dramatischen Dichter von der Formlosigkeit abgelenkt, welche seit Goethe
der mal-Font unserer exclusiver Literatur war. Gutzkow und Laube haben darin
ein großes Verdienst. Romantisch bleibt in ihnen die hinter dem Anschein outrirter
Genialität versteckte Unklarheit der sittlichen und psychischen Motive. Die Kritik
wird überall daran zu erinnern haben, daß um geistreich zu sein, man vor
allen Dingen gesunden Menschenverstand haben; daß, um mit der Welt in eine
fruchtbare Kollision zu gerathen, man ihr eine harte, spröde Selbstständigkeit,
einen energischen Charakter entgegenbringen muß. -- In der Malerei haben die
Franzosen mit ihren geschichtlichen Abbildungen, die Reisenden mit ihren natur-
historischen Studien, alle Welt mit ihrem Sinn für Portraits viel gethan, den
Erbfehler der romantischen Kunst, die Darstellung übersinnlicher d. h. unsinulicher
Begebenheiten und Ideen abzuwenden; doch macht sich in der forcirten Symbolik
der Münchner, und in der unplastischen Sentimentalität der Düsseldorfer noch
immer die alte Romantik geltend. Gegen diese hat die Kritik Protest einzulegen.

In der Wissenschaft sind in der Naturgeschichte, wie in der historischen Kritik
(wozu ich auch die theologische rechne), in den letzten Jahren so ungeheure Fort¬
schritte gemacht, daß die mystischen, allegorischen und sentimentalen Tiraden halb¬
gebildeter Philosophen nicht mehr viel sagen wollen. Die Objectivität - - die
Vergangenheit des Menschengeschlechts und die Natur -- wird durch gründliche
Forschungen dem Auge so nahe gerückt, daß der Nebelspuk gespenstischer Nacht¬
wandler Niemand mehr verwirrt. Hier überläßt die Kritik ihre Polemik billig
der Wissenschaft selbst, und die Philosophie wird sich verständigen müssen, nichts
anders zu sein, als der Inbegriff der rationell behandelten Wissenschaften.

Gefährlicher steht es mit den Zweigen der Wissenschaft aus, die sich unmit¬
telbar auf das Leben beziehn. In den sittlichen Begriffen herrscht noch immer
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am Besten, sich mit den Romantikern überhaupt nicht weiter abzugeben. So steht
die Sache aber nicht. Der Geist, aus welchem die Mißgeburten der Schule her¬
vorgingen, ist noch in voller Kraft. Wir müssen ihn schonungslos bekämpfen, um
seiner Herr zu werden, und, da mit abstracten Lehrsätzen nicht viel gethan ist, an
seinen Trägern. Freilich ist solche Kritik nur dann fruchtbar, wenn sie mit der
Produktion Hand in Hand geht. Die Romantik, d. h. die Reaktion der willkürlichen
Phantasie gegen die Logik, wird dadurch aufgehoben, daß mau die Thätigkeit des
schaffenden Geistes auf einen unmittelbaren, bestimmten, bewußten Zweck leitet.
Die Wissenschaft, die Kunst, das Staatsleben hat die Hauptsache zu thun, aber
der Kritik bleibt die nicht minder ehrenvolle Aufgabe, thuen den Weg zu ebnen.

Die Romantik ist reich an Metamorphosen; hat man ihr die eine Maske ab¬
gerissen, so zeigt sie doch noch nicht ihr wahres Gesicht; eine Larve steckt hinter
der audern. Es läßt sich das in der Kunst, in der Wissenschaft und im Staats-
leben veranschaulichen. Ich erinnere hier mir an Einzelnes.

Zuerst die Kunst. Die Richtung auf den unmittelbaren Erfolg der Bühne
hat die dramatischen Dichter von der Formlosigkeit abgelenkt, welche seit Goethe
der mal-Font unserer exclusiver Literatur war. Gutzkow und Laube haben darin
ein großes Verdienst. Romantisch bleibt in ihnen die hinter dem Anschein outrirter
Genialität versteckte Unklarheit der sittlichen und psychischen Motive. Die Kritik
wird überall daran zu erinnern haben, daß um geistreich zu sein, man vor
allen Dingen gesunden Menschenverstand haben; daß, um mit der Welt in eine
fruchtbare Kollision zu gerathen, man ihr eine harte, spröde Selbstständigkeit,
einen energischen Charakter entgegenbringen muß. — In der Malerei haben die
Franzosen mit ihren geschichtlichen Abbildungen, die Reisenden mit ihren natur-
historischen Studien, alle Welt mit ihrem Sinn für Portraits viel gethan, den
Erbfehler der romantischen Kunst, die Darstellung übersinnlicher d. h. unsinulicher
Begebenheiten und Ideen abzuwenden; doch macht sich in der forcirten Symbolik
der Münchner, und in der unplastischen Sentimentalität der Düsseldorfer noch
immer die alte Romantik geltend. Gegen diese hat die Kritik Protest einzulegen.

In der Wissenschaft sind in der Naturgeschichte, wie in der historischen Kritik
(wozu ich auch die theologische rechne), in den letzten Jahren so ungeheure Fort¬
schritte gemacht, daß die mystischen, allegorischen und sentimentalen Tiraden halb¬
gebildeter Philosophen nicht mehr viel sagen wollen. Die Objectivität - - die
Vergangenheit des Menschengeschlechts und die Natur — wird durch gründliche
Forschungen dem Auge so nahe gerückt, daß der Nebelspuk gespenstischer Nacht¬
wandler Niemand mehr verwirrt. Hier überläßt die Kritik ihre Polemik billig
der Wissenschaft selbst, und die Philosophie wird sich verständigen müssen, nichts
anders zu sein, als der Inbegriff der rationell behandelten Wissenschaften.

Gefährlicher steht es mit den Zweigen der Wissenschaft aus, die sich unmit¬
telbar auf das Leben beziehn. In den sittlichen Begriffen herrscht noch immer
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[0139] am Besten, sich mit den Romantikern überhaupt nicht weiter abzugeben. So steht die Sache aber nicht. Der Geist, aus welchem die Mißgeburten der Schule her¬ vorgingen, ist noch in voller Kraft. Wir müssen ihn schonungslos bekämpfen, um seiner Herr zu werden, und, da mit abstracten Lehrsätzen nicht viel gethan ist, an seinen Trägern. Freilich ist solche Kritik nur dann fruchtbar, wenn sie mit der Produktion Hand in Hand geht. Die Romantik, d. h. die Reaktion der willkürlichen Phantasie gegen die Logik, wird dadurch aufgehoben, daß mau die Thätigkeit des schaffenden Geistes auf einen unmittelbaren, bestimmten, bewußten Zweck leitet. Die Wissenschaft, die Kunst, das Staatsleben hat die Hauptsache zu thun, aber der Kritik bleibt die nicht minder ehrenvolle Aufgabe, thuen den Weg zu ebnen. Die Romantik ist reich an Metamorphosen; hat man ihr die eine Maske ab¬ gerissen, so zeigt sie doch noch nicht ihr wahres Gesicht; eine Larve steckt hinter der audern. Es läßt sich das in der Kunst, in der Wissenschaft und im Staats- leben veranschaulichen. Ich erinnere hier mir an Einzelnes. Zuerst die Kunst. Die Richtung auf den unmittelbaren Erfolg der Bühne hat die dramatischen Dichter von der Formlosigkeit abgelenkt, welche seit Goethe der mal-Font unserer exclusiver Literatur war. Gutzkow und Laube haben darin ein großes Verdienst. Romantisch bleibt in ihnen die hinter dem Anschein outrirter Genialität versteckte Unklarheit der sittlichen und psychischen Motive. Die Kritik wird überall daran zu erinnern haben, daß um geistreich zu sein, man vor allen Dingen gesunden Menschenverstand haben; daß, um mit der Welt in eine fruchtbare Kollision zu gerathen, man ihr eine harte, spröde Selbstständigkeit, einen energischen Charakter entgegenbringen muß. — In der Malerei haben die Franzosen mit ihren geschichtlichen Abbildungen, die Reisenden mit ihren natur- historischen Studien, alle Welt mit ihrem Sinn für Portraits viel gethan, den Erbfehler der romantischen Kunst, die Darstellung übersinnlicher d. h. unsinulicher Begebenheiten und Ideen abzuwenden; doch macht sich in der forcirten Symbolik der Münchner, und in der unplastischen Sentimentalität der Düsseldorfer noch immer die alte Romantik geltend. Gegen diese hat die Kritik Protest einzulegen. In der Wissenschaft sind in der Naturgeschichte, wie in der historischen Kritik (wozu ich auch die theologische rechne), in den letzten Jahren so ungeheure Fort¬ schritte gemacht, daß die mystischen, allegorischen und sentimentalen Tiraden halb¬ gebildeter Philosophen nicht mehr viel sagen wollen. Die Objectivität - - die Vergangenheit des Menschengeschlechts und die Natur — wird durch gründliche Forschungen dem Auge so nahe gerückt, daß der Nebelspuk gespenstischer Nacht¬ wandler Niemand mehr verwirrt. Hier überläßt die Kritik ihre Polemik billig der Wissenschaft selbst, und die Philosophie wird sich verständigen müssen, nichts anders zu sein, als der Inbegriff der rationell behandelten Wissenschaften. Gefährlicher steht es mit den Zweigen der Wissenschaft aus, die sich unmit¬ telbar auf das Leben beziehn. In den sittlichen Begriffen herrscht noch immer '' 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/139>, abgerufen am 04.07.2024.