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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Frau und die Exercitien geben endlich seinem Gemüth die nöthige Consistenz, er
wird sanft und stille, -- seine Haare gehen ans, dafür bekommt er ein Bäuchlein
und gewinnt Muße, um alle Abende ein paar Stunden an einem Roman zu schrei¬
ben, der von unglücklicher Liebe handelt. Der Held erschießt sich regelmäßig, die
Heldin, die ihn heimlich geliebt hat, und die trotzdem gnädige Frau geworden ist,
von einem harten, mephistophelischen Vater gezwungen, und die nun aus einem
eleganten Modenjournal die Nachricht von seinem Tode erhält, verfällt in Krämpfe,
man zweifelt an ihrem Aufkommen. Der Name der Heldin lautet nie Sidonie,
fängt aber stets mit einem S. an: Seraphine, Suleika, Sophie u. s. w. -- Das
ist das zweite Genre, der empfindsame oder Herzensroman. --

Sehr böse sieht aber die Sache aus, wenn wir in die Sphären des eigent¬
lichen Genies übergehn. Hier ist Geld genug vorhanden, in's Theater zu gehn,
man trägt einen Bart K I" j"une ^Uein-tgue, quetscht ein Glas zwischen die
Augenmuskeln, lorgnettirt die Tänzerinnen, gibt sich das Ansehn, den Nilloi)'
M0U8SVUX vom Grünberger Champagner zu unterscheiden, macht Sonnette an das
unbekannte Ideal, die mit Heinischen Cynismen endigen, citirt Stellen aus dem
Faust und lächelt bitter, wenn man zufriedenen Menschen begegnet. Auf der Straße
und in der Loge ist es nöthig, einen schwarzen Carbonarv malerisch um die Schul¬
tern zu schlingen, in den Gesellschaften trägt man einen coursähigen Frack. Man
weiht nur verheiratheten Frauen seine Flamme, am liebsten einer Gräfin, und
spricht zuweilen mit finstern Seitenblicken von der Jugendzeit, wo man noch an
reine Liebe glaubte. Man hat Clavierspielen gelernt, ist aber viel zu vornehm,
um etwas anders, als einige Herzzerreißende Akkorde anzuschlagen; man hängt
Byrons Portrait über seinen eleganten Schreibtisch, und übt sich im Pistolenschie¬
ßen. Man spricht laugsam und flüsternd, tanzt nie und hat eine fatiguirte Miene.
Man ist ein Jahrlang Referendarius gewesen, hat dann den prosaischen Akten¬
staub abgestreift und lebt von seinen Renten. Man übersetzt Beethoven in Worte,
und würde die Blumen sprechen hören, wenn es nicht zu unbequem wäre, seine
Aufmerksamkeit anzuspannen. Mit Verachtung verzehrt man, aber reichlich, seine
Austern, jedes Glas, das man leert, ist ein Hohn gegen Gott nud die Mensch¬
heit. Man muß wenigstens einmal in Venedig gewesen sein und eine einsame
Gondelfahrt gemacht haben. Man raucht Havannah's und liest sehr viel französische
Romane; man sitzt gern auf einem Fauteuil und gähnt zuweilen mit Grazie und
Ausdruck. Man leidet an Kopfschmerz und betrachtet feder Erfolg, den ein An¬
derer davonträgt, als ein Attentat ans die eigne Berechtigung. Man ist Republi¬
kaner und betet den Adel an. Man deutet zuweilen auf Herzen hin, die man
gebrochen habe, und hat eine Sammlung verschiedenartiger Mordgewehre in
seiner Bibliothek, aber man ist nie auf der Mensur gewesen. -- Die Novellen
dieser Classe -- die socialen oder zerrissenen -- haben den Vorzug großer Kürze;
sie fangen mit "Und" an, haben entweder einen schrecklichen oder lächerlichen Ans-


Frau und die Exercitien geben endlich seinem Gemüth die nöthige Consistenz, er
wird sanft und stille, — seine Haare gehen ans, dafür bekommt er ein Bäuchlein
und gewinnt Muße, um alle Abende ein paar Stunden an einem Roman zu schrei¬
ben, der von unglücklicher Liebe handelt. Der Held erschießt sich regelmäßig, die
Heldin, die ihn heimlich geliebt hat, und die trotzdem gnädige Frau geworden ist,
von einem harten, mephistophelischen Vater gezwungen, und die nun aus einem
eleganten Modenjournal die Nachricht von seinem Tode erhält, verfällt in Krämpfe,
man zweifelt an ihrem Aufkommen. Der Name der Heldin lautet nie Sidonie,
fängt aber stets mit einem S. an: Seraphine, Suleika, Sophie u. s. w. — Das
ist das zweite Genre, der empfindsame oder Herzensroman. —

Sehr böse sieht aber die Sache aus, wenn wir in die Sphären des eigent¬
lichen Genies übergehn. Hier ist Geld genug vorhanden, in's Theater zu gehn,
man trägt einen Bart K I» j«une ^Uein-tgue, quetscht ein Glas zwischen die
Augenmuskeln, lorgnettirt die Tänzerinnen, gibt sich das Ansehn, den Nilloi)'
M0U8SVUX vom Grünberger Champagner zu unterscheiden, macht Sonnette an das
unbekannte Ideal, die mit Heinischen Cynismen endigen, citirt Stellen aus dem
Faust und lächelt bitter, wenn man zufriedenen Menschen begegnet. Auf der Straße
und in der Loge ist es nöthig, einen schwarzen Carbonarv malerisch um die Schul¬
tern zu schlingen, in den Gesellschaften trägt man einen coursähigen Frack. Man
weiht nur verheiratheten Frauen seine Flamme, am liebsten einer Gräfin, und
spricht zuweilen mit finstern Seitenblicken von der Jugendzeit, wo man noch an
reine Liebe glaubte. Man hat Clavierspielen gelernt, ist aber viel zu vornehm,
um etwas anders, als einige Herzzerreißende Akkorde anzuschlagen; man hängt
Byrons Portrait über seinen eleganten Schreibtisch, und übt sich im Pistolenschie¬
ßen. Man spricht laugsam und flüsternd, tanzt nie und hat eine fatiguirte Miene.
Man ist ein Jahrlang Referendarius gewesen, hat dann den prosaischen Akten¬
staub abgestreift und lebt von seinen Renten. Man übersetzt Beethoven in Worte,
und würde die Blumen sprechen hören, wenn es nicht zu unbequem wäre, seine
Aufmerksamkeit anzuspannen. Mit Verachtung verzehrt man, aber reichlich, seine
Austern, jedes Glas, das man leert, ist ein Hohn gegen Gott nud die Mensch¬
heit. Man muß wenigstens einmal in Venedig gewesen sein und eine einsame
Gondelfahrt gemacht haben. Man raucht Havannah's und liest sehr viel französische
Romane; man sitzt gern auf einem Fauteuil und gähnt zuweilen mit Grazie und
Ausdruck. Man leidet an Kopfschmerz und betrachtet feder Erfolg, den ein An¬
derer davonträgt, als ein Attentat ans die eigne Berechtigung. Man ist Republi¬
kaner und betet den Adel an. Man deutet zuweilen auf Herzen hin, die man
gebrochen habe, und hat eine Sammlung verschiedenartiger Mordgewehre in
seiner Bibliothek, aber man ist nie auf der Mensur gewesen. — Die Novellen
dieser Classe — die socialen oder zerrissenen — haben den Vorzug großer Kürze;
sie fangen mit „Und" an, haben entweder einen schrecklichen oder lächerlichen Ans-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/133>, abgerufen am 24.07.2024.