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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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diese Pracht! diese Lichter! diese Cravatten! diese lackirten Stiefel! diese Hand¬
schuhe! der arme Theolog, dessen Eiusegunngssrack stark nach schlechtem Tabak
riecht, mochte sich in die Tiefen der Erde verbergen, er gäbe in diesem Augenblick,
gern alle seine Träume von eiuer fetten Pfarre, seine Wissenschaft, sein Leben
ja seinen Glaube" für eine Flasche ouu <lo eolvz-ne! Und nun das Schlimmste!
Der Banquier hat eine Tochter! aber ni"e Tochter! fu' rauscht einher in seidenen
Gewändern, sie trägt ein Schnupftuch mit spilen in ihren weichen Handschuhen,
ihr schwarzes Haar wird gehoben durch eine rothe Camelie; zuweilen, wenn sie
sich mit graciöser Nachlässigkeit auf ihren Stuhl zurücklehnt, und ein Sträußchen
an ihre in den reinsten orientalischen Formen ausgebildete Nase führt, halb um¬
gewendet zu einem Assessor, der ihr lächelnd Artigkeiten soge -- lächelnd, denn
er hat weiße Zähne, wenn auch eiuen unbillig großen Mund -- streckt sie den
einen Fuß ein wenig ans der langen Robe hervor, um zu zeigen, daß er klein
ist. Der unglückselige Hofmeister kann dieses mörderische Füßchen nicht mehr ans
den Gedanken bringen, es verfolgt ihn wie ein altes Weib. Und diese Feinheit,
dieses unaussprechlich Seelische, womit sie auf die Bemerkung: "es ist sehr heiß
hier!" "Sehr!" erwiedert. Nicht was man sagt, ist der Prüfstein der Aristokra¬
tie, sondern wie man es sagt. -- Seit diesem Abende geht unser Freund wie ein
Träumender umher; er übersieht die Fehler in den Exercitien seiner Jungen, er
kauft sich Seife, er liest den Werther. Die Jungen kommen bald hinter die Un¬
aufmerksamkeit ihres Erziehers, sie bestreichen den Tisch, worauf das umgekehrte
Buch gelegt wird, mit Dinte, sie stecken Zöpfe an den Eiusegunngssrack, sie
kleben endlich Pech auf deu pädagogische"! Stuhl. Ans seinen Träumen aufgeweckt,
verliert er in einem Augenblick gestörter erotischer Illusionen die Fassung, und
streicht die Banquiersöhne. Heulend eilen sie zur Mutter, und diese kommt in
ihrer Indignation auf den Argwohn, der Lehrer habe sich dem Brantwein ergebe".
Man zahlt ihm mit 20 Thlr. Preußisch das laufende Vierteljahr voll, und setzt
ihn vor die Thüre, Still und wild schleicht er durch die Gassen, eines schönen
Abends hört er den Portier des Hauses, das noch immer das magische Centrum
seiner Wanderungen ist, von der Verlobung Sidoniens mit einem Gardeleutnant
sprechen, festgewurzelt steht er anf den: Pflaster, ein Cvrpsbursch rennt ihn an,
in seiner Verzweiflung stürzt er ihm einen dummen Jungen, und die Regel¬
mäßigkeit seiner Nase wirb durch einen halbflachen Hieb auf immer entstellt.
Natürlich fällt er durch's Examen, vo" Hause erfolge" die nöthigen Flüche, er
sitzt einige Tage i" dumpfer Verstörung in seinem Kämmerlein, ohne drauf zu
achten, daß der Ofen raucht, endlich überträgt ihm ein mitleidiger Rector die
lateinischen Stunden in einer städtischen Realschule, er bringt es endlich zum Or¬
dinarius der letzten Classe, und heirathet die Tochter seines Wirths, eines Flei¬
schers, eine große, dürre, knochige Figur in ziemlichen Jahren und einem Anflug
von Schnurrbart. Die ewigen Unruhen seiner Schulstunden, das Keifen seiner


diese Pracht! diese Lichter! diese Cravatten! diese lackirten Stiefel! diese Hand¬
schuhe! der arme Theolog, dessen Eiusegunngssrack stark nach schlechtem Tabak
riecht, mochte sich in die Tiefen der Erde verbergen, er gäbe in diesem Augenblick,
gern alle seine Träume von eiuer fetten Pfarre, seine Wissenschaft, sein Leben
ja seinen Glaube» für eine Flasche ouu <lo eolvz-ne! Und nun das Schlimmste!
Der Banquier hat eine Tochter! aber ni"e Tochter! fu' rauscht einher in seidenen
Gewändern, sie trägt ein Schnupftuch mit spilen in ihren weichen Handschuhen,
ihr schwarzes Haar wird gehoben durch eine rothe Camelie; zuweilen, wenn sie
sich mit graciöser Nachlässigkeit auf ihren Stuhl zurücklehnt, und ein Sträußchen
an ihre in den reinsten orientalischen Formen ausgebildete Nase führt, halb um¬
gewendet zu einem Assessor, der ihr lächelnd Artigkeiten soge — lächelnd, denn
er hat weiße Zähne, wenn auch eiuen unbillig großen Mund — streckt sie den
einen Fuß ein wenig ans der langen Robe hervor, um zu zeigen, daß er klein
ist. Der unglückselige Hofmeister kann dieses mörderische Füßchen nicht mehr ans
den Gedanken bringen, es verfolgt ihn wie ein altes Weib. Und diese Feinheit,
dieses unaussprechlich Seelische, womit sie auf die Bemerkung: „es ist sehr heiß
hier!" „Sehr!" erwiedert. Nicht was man sagt, ist der Prüfstein der Aristokra¬
tie, sondern wie man es sagt. — Seit diesem Abende geht unser Freund wie ein
Träumender umher; er übersieht die Fehler in den Exercitien seiner Jungen, er
kauft sich Seife, er liest den Werther. Die Jungen kommen bald hinter die Un¬
aufmerksamkeit ihres Erziehers, sie bestreichen den Tisch, worauf das umgekehrte
Buch gelegt wird, mit Dinte, sie stecken Zöpfe an den Eiusegunngssrack, sie
kleben endlich Pech auf deu pädagogische»! Stuhl. Ans seinen Träumen aufgeweckt,
verliert er in einem Augenblick gestörter erotischer Illusionen die Fassung, und
streicht die Banquiersöhne. Heulend eilen sie zur Mutter, und diese kommt in
ihrer Indignation auf den Argwohn, der Lehrer habe sich dem Brantwein ergebe».
Man zahlt ihm mit 20 Thlr. Preußisch das laufende Vierteljahr voll, und setzt
ihn vor die Thüre, Still und wild schleicht er durch die Gassen, eines schönen
Abends hört er den Portier des Hauses, das noch immer das magische Centrum
seiner Wanderungen ist, von der Verlobung Sidoniens mit einem Gardeleutnant
sprechen, festgewurzelt steht er anf den: Pflaster, ein Cvrpsbursch rennt ihn an,
in seiner Verzweiflung stürzt er ihm einen dummen Jungen, und die Regel¬
mäßigkeit seiner Nase wirb durch einen halbflachen Hieb auf immer entstellt.
Natürlich fällt er durch's Examen, vo» Hause erfolge» die nöthigen Flüche, er
sitzt einige Tage i» dumpfer Verstörung in seinem Kämmerlein, ohne drauf zu
achten, daß der Ofen raucht, endlich überträgt ihm ein mitleidiger Rector die
lateinischen Stunden in einer städtischen Realschule, er bringt es endlich zum Or¬
dinarius der letzten Classe, und heirathet die Tochter seines Wirths, eines Flei¬
schers, eine große, dürre, knochige Figur in ziemlichen Jahren und einem Anflug
von Schnurrbart. Die ewigen Unruhen seiner Schulstunden, das Keifen seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/132>, abgerufen am 24.07.2024.