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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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grüßt sie dann durch's Fenster mit holdem Erröthen, notirt sorgfältig diesen Blick¬
wechsel im Tagebuch, das man regelmäßig weiter führt, wenn gerade kein Brief
zu expediren ist -- woraus beiläufig das tiefere Gefühl zu erklären ist, mit dem
man auf die Frage: Wie viel macht das Porto? antwortet: drei Neugroschen sie¬
ben Pfennige, denn eben hatte man geschrieben: "Ich wagte es, im Cotillon leise
ihre Hand zu drücken, und in diesem Augenblick traf ein elektrischer Funke aus
ihren schmachtenden Augen mein Herz." Und da diese empirischen Facta nicht
ausreichen, ein nicht unbedeutendes Volumen in blauem, gepreßtem Papier auszu¬
füllen, das currente Geschäft -- die Brief-Expedition -- die Gedanken nicht völlig
ausfüllt, da man eine sehr bestimmte Carriere vor sich hat, die ehrgeizige Pläne
anderer Art uicht wohl aufkommen läßt, und die selbst das Schaffen und Sorgen
für einen weiteren Erwerb ausschließt, so beschäftigt man sich denn damit, die
Geliebte weiter auszumalen, wie sie aus ihrem Kochbuch die Kunst lernt, einen
Liebestrauk zu bereiten, wie sie nicht allein Strümpfe strickt, sondern auch Netze,
die Herzen zu fangen n. s. w., bis man sich endlich nach langem Zagen -- eben
ist der Brief mit der fixen Anstellung eingetroffen -- entschließt, seine Erklärung
zu macheu.

Natürlich findet es sich nun, daß der liebenswürdige junge Blondin gleich¬
falls schon lauge das süße Geheimniß, die stille Sehnsucht des Herzens gewesen
ist, es wird Hochzeit gemacht, dann kommen noch ein paar fulminante Eifersuchts¬
scenen in'ö Tagebuch, weiter weiß man nichts hineinzuschreiben, und so schreibt
man es denn von Vorne, nur macht man aus der Jule eine Jelde, aus der Luise
eine Marie, ans dem Postsecretär einen Nechnungsrath, und liest die rührende
Geschichte erst seiner Fran vor, dann läßt mau sie im Kreiswocheublatt abdrucken,
und so kommt sie in die Leihbibliotheken. Dann geht's wieder von Vorne an,
Jelde wird eine Lotte, der Nechnungsrath ein Leutnant von der Artillerie; noch
höher, die Putzmacherin eine Gräfin, der Leutnant ein Baron, und so ist eS
gar nicht unmöglich, daß man sich zuletzt bis zur historischen Novelle versteigt. ---
Das ist das erste Genre, der gemeine norddeutsche Wald- und Sumpf-Roman,
oder die Geschichte von den Beamten dritter Classe. Oder nehmen wir einen ar¬
men Theologen; das hat seinen Ovid gelesen, es hat ans der Schule Hexameter
gemacht, es überläßt sich in dem katechetischen Seminar, wennauch mit Zittern und
Bangen, einer memorirten Begeisterung, in der Glaube, Liebe und Hoffnung eine
große Rolle spielen; es hat von Hause nichts mitbekommen, als einen alten Ein-
segnnngsfrack, ein paar Schinken und die Hansbibel, es muß um, während die
Kommilitonen gegenüber in der Schenke mit bacchantischem Gebrüll Bier trinken,
zu Hause sitzen, und sein trocken Brot mit seinen Thränen befeuchten, bis es
einem reichen jüdischen Banquier als Hofmeister empfohlen wird. Der Banquier
ist natürlich Lichtfreund und gibt Soireen; bei besonders wichtigen Familienfesten
muß der Candidat in seinem Einsegnungsfrack herunter. Heiliger Gott! dieser Glanz!


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grüßt sie dann durch's Fenster mit holdem Erröthen, notirt sorgfältig diesen Blick¬
wechsel im Tagebuch, das man regelmäßig weiter führt, wenn gerade kein Brief
zu expediren ist — woraus beiläufig das tiefere Gefühl zu erklären ist, mit dem
man auf die Frage: Wie viel macht das Porto? antwortet: drei Neugroschen sie¬
ben Pfennige, denn eben hatte man geschrieben: „Ich wagte es, im Cotillon leise
ihre Hand zu drücken, und in diesem Augenblick traf ein elektrischer Funke aus
ihren schmachtenden Augen mein Herz." Und da diese empirischen Facta nicht
ausreichen, ein nicht unbedeutendes Volumen in blauem, gepreßtem Papier auszu¬
füllen, das currente Geschäft — die Brief-Expedition — die Gedanken nicht völlig
ausfüllt, da man eine sehr bestimmte Carriere vor sich hat, die ehrgeizige Pläne
anderer Art uicht wohl aufkommen läßt, und die selbst das Schaffen und Sorgen
für einen weiteren Erwerb ausschließt, so beschäftigt man sich denn damit, die
Geliebte weiter auszumalen, wie sie aus ihrem Kochbuch die Kunst lernt, einen
Liebestrauk zu bereiten, wie sie nicht allein Strümpfe strickt, sondern auch Netze,
die Herzen zu fangen n. s. w., bis man sich endlich nach langem Zagen — eben
ist der Brief mit der fixen Anstellung eingetroffen — entschließt, seine Erklärung
zu macheu.

Natürlich findet es sich nun, daß der liebenswürdige junge Blondin gleich¬
falls schon lauge das süße Geheimniß, die stille Sehnsucht des Herzens gewesen
ist, es wird Hochzeit gemacht, dann kommen noch ein paar fulminante Eifersuchts¬
scenen in'ö Tagebuch, weiter weiß man nichts hineinzuschreiben, und so schreibt
man es denn von Vorne, nur macht man aus der Jule eine Jelde, aus der Luise
eine Marie, ans dem Postsecretär einen Nechnungsrath, und liest die rührende
Geschichte erst seiner Fran vor, dann läßt mau sie im Kreiswocheublatt abdrucken,
und so kommt sie in die Leihbibliotheken. Dann geht's wieder von Vorne an,
Jelde wird eine Lotte, der Nechnungsrath ein Leutnant von der Artillerie; noch
höher, die Putzmacherin eine Gräfin, der Leutnant ein Baron, und so ist eS
gar nicht unmöglich, daß man sich zuletzt bis zur historischen Novelle versteigt. —-
Das ist das erste Genre, der gemeine norddeutsche Wald- und Sumpf-Roman,
oder die Geschichte von den Beamten dritter Classe. Oder nehmen wir einen ar¬
men Theologen; das hat seinen Ovid gelesen, es hat ans der Schule Hexameter
gemacht, es überläßt sich in dem katechetischen Seminar, wennauch mit Zittern und
Bangen, einer memorirten Begeisterung, in der Glaube, Liebe und Hoffnung eine
große Rolle spielen; es hat von Hause nichts mitbekommen, als einen alten Ein-
segnnngsfrack, ein paar Schinken und die Hansbibel, es muß um, während die
Kommilitonen gegenüber in der Schenke mit bacchantischem Gebrüll Bier trinken,
zu Hause sitzen, und sein trocken Brot mit seinen Thränen befeuchten, bis es
einem reichen jüdischen Banquier als Hofmeister empfohlen wird. Der Banquier
ist natürlich Lichtfreund und gibt Soireen; bei besonders wichtigen Familienfesten
muß der Candidat in seinem Einsegnungsfrack herunter. Heiliger Gott! dieser Glanz!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/131>, abgerufen am 24.07.2024.