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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Als die Stunde des Aufbruchs kam, begleitete er mich, wir gingen hinaus in die
schwärmende Nacht. Für große einzige Momente gibt es keine Worte der Erinnerung,
sie bleibe" uns in der Seele ausgeprägt, Bild und Ton zu gleicher Zeit, es weht in
ihnen bis in unsere alten Tage die balsamische Luft, der warme Hauch der Gegenwär-
tigkeit, so soll es mit jenem Abende sein, der eines Trcnnuugsjahrcs aufgehäufte Schätze
an Wärme und Innigkeit aufnahm. In das stürmende Meer der Politik senkte des
Dichters weiche Seele ihre süßen Klänge und schwebte, ein seliger Geist, Friede und
Segen verkündend, über den Fluthen; mir schien es bald, aus ihm die hehren Harmo¬
nien seines Otto des Schätzen zu hören, und dann wieder die klangvollsten Verse sei¬
nes ergreifenden Trauerspiels, dem Lothar von Lotharingen, dann wehte in den lauen
Abcndlüften über dem schweigenden und träumenden Bonn seiner Gedichte ernste Weihe,
und des Domes Kuppe schaute andächtig nach seiner Schönheiten Meister, der in seiner
Geschichte der bildenden Künste den Laien und Gelehrten so sanft das Kuustgewand
mit seinen ernsten Mysterien gelüftet. Noch irrten die Geister aus seinen Novellen über
des Rheines Fluthen, die huldigend ein frommes Lied zu seinen Füßen aushauchten,
und in dem Gruß der Begegnenden, der so vertrauend "Guten Abend, Herr Professor"
klang, schien es mir die Seelen durchzufühlen, zu deren Leid und Bedürfnissen sich hcr-
abncigend, Kinkel's "Handwerk errette Dich!" so vvrsvrgend Aller Noth und Mängel
bedacht. Da schlug es Mitternacht, und siehe da, es stiegen die Geister ans dem
Schatten, denen seine beredten Kanzelreden einst das rein Menschliche, nachfühlend von
höherer Macht beseelt, den Gott, der über den Zeiten waltet, in die Brust gelegt.
Ich hatte seine Reden vor Kurzem gelesen und in Allem die Harmonie seines Wesens
in ihrer ganzen Reine ausgeprägt gefunden, den Geist mit den Worten der Gottes-
lehre hat er sich angeeignet, Liebe und höchste Aufopferungsfähigkeit haben ja sein Leben
durchglüht und erfüllt, ferne von ihm ist die Verfolgungssucht seiner frommen Ver¬
leumder, wahrlich vom Pharisäertum kennt er kaum den Namen. Ich hielt vor des
Gasthauses Thüre und blickte ihm noch lange nach, wie er so beim Sternenschimmcr
hoch und einsam hinwallte, und schrieb in meine Stube zurückgekommen die beifolgen¬
den Zeilen nieder, die ich aus meinem Tagebuch aufschreibe, weil sie unmittelbar unter
dem Eindruck seiner hervorragenden Persönlichkeit geschrieben. "Gott, welche ist die
Zukunft, die des hohen Freundes Haupt umschwebt? Wie blickt das Herz so bang,
wenn es die besondern Wege des genialen Mannes in treuer Freundschaft erwägt, wird
es der Lorbeer oder die Dornenkrone sein, die dieses früh ergraute Haupt schmücken
wird? Alles wird er würdig tragen, doch uns, die wir ihn lieben und verehren, bangt
für ihn; höre ich seine Worte, so voller Harmonie und prophetischen Geistes, da glaube
ich, glaube allem Guten und Großen, doch blicke ich in die Wcltstürme, die ihn n">-
brausen, da scheint es mir, als müsse Blitz oder Sternenglorie sein Haupt treffen."




Verlag von F. L. Hcrbig. -- Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Druck von Friedrich Andrä.

Als die Stunde des Aufbruchs kam, begleitete er mich, wir gingen hinaus in die
schwärmende Nacht. Für große einzige Momente gibt es keine Worte der Erinnerung,
sie bleibe» uns in der Seele ausgeprägt, Bild und Ton zu gleicher Zeit, es weht in
ihnen bis in unsere alten Tage die balsamische Luft, der warme Hauch der Gegenwär-
tigkeit, so soll es mit jenem Abende sein, der eines Trcnnuugsjahrcs aufgehäufte Schätze
an Wärme und Innigkeit aufnahm. In das stürmende Meer der Politik senkte des
Dichters weiche Seele ihre süßen Klänge und schwebte, ein seliger Geist, Friede und
Segen verkündend, über den Fluthen; mir schien es bald, aus ihm die hehren Harmo¬
nien seines Otto des Schätzen zu hören, und dann wieder die klangvollsten Verse sei¬
nes ergreifenden Trauerspiels, dem Lothar von Lotharingen, dann wehte in den lauen
Abcndlüften über dem schweigenden und träumenden Bonn seiner Gedichte ernste Weihe,
und des Domes Kuppe schaute andächtig nach seiner Schönheiten Meister, der in seiner
Geschichte der bildenden Künste den Laien und Gelehrten so sanft das Kuustgewand
mit seinen ernsten Mysterien gelüftet. Noch irrten die Geister aus seinen Novellen über
des Rheines Fluthen, die huldigend ein frommes Lied zu seinen Füßen aushauchten,
und in dem Gruß der Begegnenden, der so vertrauend „Guten Abend, Herr Professor"
klang, schien es mir die Seelen durchzufühlen, zu deren Leid und Bedürfnissen sich hcr-
abncigend, Kinkel's „Handwerk errette Dich!" so vvrsvrgend Aller Noth und Mängel
bedacht. Da schlug es Mitternacht, und siehe da, es stiegen die Geister ans dem
Schatten, denen seine beredten Kanzelreden einst das rein Menschliche, nachfühlend von
höherer Macht beseelt, den Gott, der über den Zeiten waltet, in die Brust gelegt.
Ich hatte seine Reden vor Kurzem gelesen und in Allem die Harmonie seines Wesens
in ihrer ganzen Reine ausgeprägt gefunden, den Geist mit den Worten der Gottes-
lehre hat er sich angeeignet, Liebe und höchste Aufopferungsfähigkeit haben ja sein Leben
durchglüht und erfüllt, ferne von ihm ist die Verfolgungssucht seiner frommen Ver¬
leumder, wahrlich vom Pharisäertum kennt er kaum den Namen. Ich hielt vor des
Gasthauses Thüre und blickte ihm noch lange nach, wie er so beim Sternenschimmcr
hoch und einsam hinwallte, und schrieb in meine Stube zurückgekommen die beifolgen¬
den Zeilen nieder, die ich aus meinem Tagebuch aufschreibe, weil sie unmittelbar unter
dem Eindruck seiner hervorragenden Persönlichkeit geschrieben. „Gott, welche ist die
Zukunft, die des hohen Freundes Haupt umschwebt? Wie blickt das Herz so bang,
wenn es die besondern Wege des genialen Mannes in treuer Freundschaft erwägt, wird
es der Lorbeer oder die Dornenkrone sein, die dieses früh ergraute Haupt schmücken
wird? Alles wird er würdig tragen, doch uns, die wir ihn lieben und verehren, bangt
für ihn; höre ich seine Worte, so voller Harmonie und prophetischen Geistes, da glaube
ich, glaube allem Guten und Großen, doch blicke ich in die Wcltstürme, die ihn n»>-
brausen, da scheint es mir, als müsse Blitz oder Sternenglorie sein Haupt treffen."




Verlag von F. L. Hcrbig. — Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/128>, abgerufen am 24.07.2024.