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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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werde ein Haar gekrümmt, keinem Volkswunsch ein Korb gegeben! Geh heim, Du
hast ein Jahr lang an der Wiege des Reichs gesessen und es in Schlummer ge¬
wiegt, dieweil es schrie! Auch das war ein Stück Arbeit, wofür Einer oder
der Andere Dir danken wird.


0. Ein rother Fuhrmann.

Am nächsten Morgen wanderte ich von Bischofs!)offen, -- so hieß der Ort,
wo mir der Pfarrer den Reichsverweser zu denunziren versucht hatte, -- weiter
über Se. Johann gegen Gastein und rastete zum Frühstück in Schwarzah. Hier
wurde ich wieder an die Prophezeihung des Geistlichen erinnert, nämlich durch
eine entgegengesetzte. Es ist hier oben nicht Alles über denselben pfäfstschen Kamm ge¬
schoren wie Viele glauben; das Alpenland hat seine Gegensätze, so gut wie Wien,
Prag und Pesth, wenn sie auch seltener zum Vorschein kommen. Genug, es be¬
gegnete mir, fast dreitausend Fuß über der Meeresfläche, in einer Gegend, wo
jede Hütte eine Kirche sein und die loyalste Frömmigkeit wild wachsen soll, eine
Bassermann'sche Gestalt!

Das Wort paßt hier nicht recht, denn die Bassermann'scheu Gestalten wach¬
sen nur aus dem faulen Sumpf städtischer Noth und Verdorbenheit; mein Mann
dagegen hatte nichts Wüstes in seinem Wesen, sondern frische rothe Wangen und
ein heiteres Auge; seiue ganze Erscheinung verrieth Wohlstand und Wohlverhal¬
ten; dennoch ließ er Worte fallen, darob ihn jedes ordentliche k. k. Kriegsgericht
als rothe" Republikaner verurtheilen müßte. Aber seine schlimmen Gedanken hatte
ihm keine schlechte Presse eingeblasen, er redete nicht die Sprache der Zeitungen
und der Bücher, sondern drückte sich sehr schlicht und naturwüchsig aus; der böse
Geist steckt in der Lust, der sich nicht belagern läßt, er fliegt aus unsichtbaren
Schwingen bis in die weltvergessensten Bergasyle und nistet sich in die harmlose¬
sten Herzen ein, ehe sie steh's versehen.

Wir frühstückten in der offenen Vorhalle des Wirthshauses zu Schwarzah.
Ich saß allein auf meiner Bank am viereckigen Tisch, gegenüber die Knechte und
einige Bauern, die den Pfeifenstummel im linken Mundwinkel den Erzählungen
des Wirthssohnes zuhörten, der vergangene Woche die große Reise bis nach Ischl
hinunter und Gmunden gemacht hatte. Gmunden am Trannsee ist nämlich der
Wochenmarkt, wo der ganze obere Theil des Salzkammerguts seinen Bedarf an
Getreide holt. Während die Bauern manchmal vor Erstaunen über die Wunder¬
mähren des Wirthssohnes mit der Faust auf deu Tisch schlugen oder mit einem
pfiffigen Blick sich hinter den Ohren kratzten, pflegte ein junger Frachtfuhrmann,
der hart am Eingang in der Ecke lehnte, ungläubig zu lächeln. Er war hoch
und schön gewachsen und hielt die lange Peitsche im Arm, als wäre sie ein Zep¬
ter. Dies war der Demokrat. Der Fuhrmann klebt nicht an der Scholle und


werde ein Haar gekrümmt, keinem Volkswunsch ein Korb gegeben! Geh heim, Du
hast ein Jahr lang an der Wiege des Reichs gesessen und es in Schlummer ge¬
wiegt, dieweil es schrie! Auch das war ein Stück Arbeit, wofür Einer oder
der Andere Dir danken wird.


0. Ein rother Fuhrmann.

Am nächsten Morgen wanderte ich von Bischofs!)offen, — so hieß der Ort,
wo mir der Pfarrer den Reichsverweser zu denunziren versucht hatte, — weiter
über Se. Johann gegen Gastein und rastete zum Frühstück in Schwarzah. Hier
wurde ich wieder an die Prophezeihung des Geistlichen erinnert, nämlich durch
eine entgegengesetzte. Es ist hier oben nicht Alles über denselben pfäfstschen Kamm ge¬
schoren wie Viele glauben; das Alpenland hat seine Gegensätze, so gut wie Wien,
Prag und Pesth, wenn sie auch seltener zum Vorschein kommen. Genug, es be¬
gegnete mir, fast dreitausend Fuß über der Meeresfläche, in einer Gegend, wo
jede Hütte eine Kirche sein und die loyalste Frömmigkeit wild wachsen soll, eine
Bassermann'sche Gestalt!

Das Wort paßt hier nicht recht, denn die Bassermann'scheu Gestalten wach¬
sen nur aus dem faulen Sumpf städtischer Noth und Verdorbenheit; mein Mann
dagegen hatte nichts Wüstes in seinem Wesen, sondern frische rothe Wangen und
ein heiteres Auge; seiue ganze Erscheinung verrieth Wohlstand und Wohlverhal¬
ten; dennoch ließ er Worte fallen, darob ihn jedes ordentliche k. k. Kriegsgericht
als rothe» Republikaner verurtheilen müßte. Aber seine schlimmen Gedanken hatte
ihm keine schlechte Presse eingeblasen, er redete nicht die Sprache der Zeitungen
und der Bücher, sondern drückte sich sehr schlicht und naturwüchsig aus; der böse
Geist steckt in der Lust, der sich nicht belagern läßt, er fliegt aus unsichtbaren
Schwingen bis in die weltvergessensten Bergasyle und nistet sich in die harmlose¬
sten Herzen ein, ehe sie steh's versehen.

Wir frühstückten in der offenen Vorhalle des Wirthshauses zu Schwarzah.
Ich saß allein auf meiner Bank am viereckigen Tisch, gegenüber die Knechte und
einige Bauern, die den Pfeifenstummel im linken Mundwinkel den Erzählungen
des Wirthssohnes zuhörten, der vergangene Woche die große Reise bis nach Ischl
hinunter und Gmunden gemacht hatte. Gmunden am Trannsee ist nämlich der
Wochenmarkt, wo der ganze obere Theil des Salzkammerguts seinen Bedarf an
Getreide holt. Während die Bauern manchmal vor Erstaunen über die Wunder¬
mähren des Wirthssohnes mit der Faust auf deu Tisch schlugen oder mit einem
pfiffigen Blick sich hinter den Ohren kratzten, pflegte ein junger Frachtfuhrmann,
der hart am Eingang in der Ecke lehnte, ungläubig zu lächeln. Er war hoch
und schön gewachsen und hielt die lange Peitsche im Arm, als wäre sie ein Zep¬
ter. Dies war der Demokrat. Der Fuhrmann klebt nicht an der Scholle und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/117>, abgerufen am 24.07.2024.