Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

diesen in. der Bacska nichts Glänzendes zu hoffen, und die dortige Armee konnte
sich nie mehr auf die Höhe heben, die sie unter Perczel erreicht hatte.

Perczel ging in den letzten Tagen des Juni nach Pesth, mit dem Vorsatz, in
der am 2. Juli zu eröffnenden Nationalversammlung als Kläger gegen Görgey
aufzutreten und mit seinen Freunden darauf zu dringen, daß er vor ein Kriegs¬
gericht gestellt werde. Die Hauptpunkte der Anklageacte sollten sein: 1) die Ver¬
nachlässigung der Bach-banater Armee, wodurch diese paralysirt und in ihrem
Siegeslauf gehemmt wurde. 2) Die Intriguen Görgey's gegen Bem und andere
Generäle, wodurch die gänzliche Vernichtung des Puchner-Rukawinaischen Heeres
unmöglich gemacht wurde. 3) und hauptsächlich die Unthätigkeit Görgey's nach
der Entsetzung Komorn's am 26. April, wodurch den Feinden Zeit gegönnt wurde,
sich zu sammeln und die Russen zu Hilfe zu rufen. Allein die Nationalversamm¬
lung kam in Pesth nie wieder zu Stande, und so konnte Perczel auf constitutionel-
len Wege gegen Görgey nichts unternehmen.

. Noch vor Perczel's Ankunft in Pesth wagte es Schreiber dieser Zeilen, der
zwar nie den Verrath, aber stets die Soldateuherrschsucht Görgey's fürchtete, zuerst
gegen diesen aufzutreten, in einer Zeit, wo sein Ruhm den höchsten Gipfel er¬
reicht hatte, nämlich nach der Erstürmung Ofens. Er deutete in mäßig gehalte¬
nen, aber ungeschminkten Worten auf die Gefahr der durch Görgey überhand¬
nehmenden Soldatendespotie und auf das Verhalten des Generals gegenüber der
Regierung hin, und rief dieser das "viäeavt consules" zu: allein dies Beginnen
brachte einen fürchterlichen Sturm hervor. Die Zeitungen glühten von tugend¬
hafter Entrüstung. Die "Pesther Zeitung," die unter ihrem letzten Redacteur
Mauksch eine liberale Färbung annahm; Zerfi, der Redacteur des "Ungar" und
Albert Palfi, Redacteur des "Tizenötvdik Marczius", der schon in Debreczin zu Gun¬
sten Görgey's gegen die polnischen Eindringlinge agitirte, traten gegen den
Feind des größten Patrioten in die Schranken, und es fehlte wenig,' daß gegen
diese Handlung eine Anklage auf Hochverrat!) eingeleitet wurde.

Der geneigte Leser wird sich daraus ein Bild von dem unbegrenzten Ver¬
trauen selbst der Gebildeten zu Görgey machen können.

So standen die Dinge, als plötzlich mehrere bedenkliche Nachrichten aus dem
obern Lager eintrafen. Das Heer an der Waag hatte mehrere Schlappen erlitten;
aus Raab wurden die Ungarn nach einem hartnäckigen Kampf von einer mehr als
vierfach überlegenen feindlichen Macht verdrängt, die Russen besetzten Kaschau und
drängten 60,000 Mann stark, den wackern Visoczki, der mit seinen 12,000 Mann nur
schwachen Widerstand leisten konnte, in der Richtung gegen Pesth. Nun entstand
eine große Verwirrung in der Hauptstadt. Mehrere Eisenbahnzüge führten Mon-
tnrmagazine und andere Staatsgüter nach Szolnok, mehrere Departements der
Ministerien wurden aus der Stadt entfernt, ohne daß man wußte, wohin sie be¬
ordert seien, einige Journale hörten aus zu erscheinen, denn das Personal folgte wie


diesen in. der Bacska nichts Glänzendes zu hoffen, und die dortige Armee konnte
sich nie mehr auf die Höhe heben, die sie unter Perczel erreicht hatte.

Perczel ging in den letzten Tagen des Juni nach Pesth, mit dem Vorsatz, in
der am 2. Juli zu eröffnenden Nationalversammlung als Kläger gegen Görgey
aufzutreten und mit seinen Freunden darauf zu dringen, daß er vor ein Kriegs¬
gericht gestellt werde. Die Hauptpunkte der Anklageacte sollten sein: 1) die Ver¬
nachlässigung der Bach-banater Armee, wodurch diese paralysirt und in ihrem
Siegeslauf gehemmt wurde. 2) Die Intriguen Görgey's gegen Bem und andere
Generäle, wodurch die gänzliche Vernichtung des Puchner-Rukawinaischen Heeres
unmöglich gemacht wurde. 3) und hauptsächlich die Unthätigkeit Görgey's nach
der Entsetzung Komorn's am 26. April, wodurch den Feinden Zeit gegönnt wurde,
sich zu sammeln und die Russen zu Hilfe zu rufen. Allein die Nationalversamm¬
lung kam in Pesth nie wieder zu Stande, und so konnte Perczel auf constitutionel-
len Wege gegen Görgey nichts unternehmen.

. Noch vor Perczel's Ankunft in Pesth wagte es Schreiber dieser Zeilen, der
zwar nie den Verrath, aber stets die Soldateuherrschsucht Görgey's fürchtete, zuerst
gegen diesen aufzutreten, in einer Zeit, wo sein Ruhm den höchsten Gipfel er¬
reicht hatte, nämlich nach der Erstürmung Ofens. Er deutete in mäßig gehalte¬
nen, aber ungeschminkten Worten auf die Gefahr der durch Görgey überhand¬
nehmenden Soldatendespotie und auf das Verhalten des Generals gegenüber der
Regierung hin, und rief dieser das „viäeavt consules" zu: allein dies Beginnen
brachte einen fürchterlichen Sturm hervor. Die Zeitungen glühten von tugend¬
hafter Entrüstung. Die „Pesther Zeitung," die unter ihrem letzten Redacteur
Mauksch eine liberale Färbung annahm; Zerfi, der Redacteur des „Ungar" und
Albert Palfi, Redacteur des „Tizenötvdik Marczius", der schon in Debreczin zu Gun¬
sten Görgey's gegen die polnischen Eindringlinge agitirte, traten gegen den
Feind des größten Patrioten in die Schranken, und es fehlte wenig,' daß gegen
diese Handlung eine Anklage auf Hochverrat!) eingeleitet wurde.

Der geneigte Leser wird sich daraus ein Bild von dem unbegrenzten Ver¬
trauen selbst der Gebildeten zu Görgey machen können.

So standen die Dinge, als plötzlich mehrere bedenkliche Nachrichten aus dem
obern Lager eintrafen. Das Heer an der Waag hatte mehrere Schlappen erlitten;
aus Raab wurden die Ungarn nach einem hartnäckigen Kampf von einer mehr als
vierfach überlegenen feindlichen Macht verdrängt, die Russen besetzten Kaschau und
drängten 60,000 Mann stark, den wackern Visoczki, der mit seinen 12,000 Mann nur
schwachen Widerstand leisten konnte, in der Richtung gegen Pesth. Nun entstand
eine große Verwirrung in der Hauptstadt. Mehrere Eisenbahnzüge führten Mon-
tnrmagazine und andere Staatsgüter nach Szolnok, mehrere Departements der
Ministerien wurden aus der Stadt entfernt, ohne daß man wußte, wohin sie be¬
ordert seien, einige Journale hörten aus zu erscheinen, denn das Personal folgte wie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92931"/>
            <p xml:id="ID_342" prev="#ID_341"> diesen in. der Bacska nichts Glänzendes zu hoffen, und die dortige Armee konnte<lb/>
sich nie mehr auf die Höhe heben, die sie unter Perczel erreicht hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_343"> Perczel ging in den letzten Tagen des Juni nach Pesth, mit dem Vorsatz, in<lb/>
der am 2. Juli zu eröffnenden Nationalversammlung als Kläger gegen Görgey<lb/>
aufzutreten und mit seinen Freunden darauf zu dringen, daß er vor ein Kriegs¬<lb/>
gericht gestellt werde. Die Hauptpunkte der Anklageacte sollten sein: 1) die Ver¬<lb/>
nachlässigung der Bach-banater Armee, wodurch diese paralysirt und in ihrem<lb/>
Siegeslauf gehemmt wurde. 2) Die Intriguen Görgey's gegen Bem und andere<lb/>
Generäle, wodurch die gänzliche Vernichtung des Puchner-Rukawinaischen Heeres<lb/>
unmöglich gemacht wurde. 3) und hauptsächlich die Unthätigkeit Görgey's nach<lb/>
der Entsetzung Komorn's am 26. April, wodurch den Feinden Zeit gegönnt wurde,<lb/>
sich zu sammeln und die Russen zu Hilfe zu rufen. Allein die Nationalversamm¬<lb/>
lung kam in Pesth nie wieder zu Stande, und so konnte Perczel auf constitutionel-<lb/>
len Wege gegen Görgey nichts unternehmen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_344"> . Noch vor Perczel's Ankunft in Pesth wagte es Schreiber dieser Zeilen, der<lb/>
zwar nie den Verrath, aber stets die Soldateuherrschsucht Görgey's fürchtete, zuerst<lb/>
gegen diesen aufzutreten, in einer Zeit, wo sein Ruhm den höchsten Gipfel er¬<lb/>
reicht hatte, nämlich nach der Erstürmung Ofens. Er deutete in mäßig gehalte¬<lb/>
nen, aber ungeschminkten Worten auf die Gefahr der durch Görgey überhand¬<lb/>
nehmenden Soldatendespotie und auf das Verhalten des Generals gegenüber der<lb/>
Regierung hin, und rief dieser das &#x201E;viäeavt consules" zu: allein dies Beginnen<lb/>
brachte einen fürchterlichen Sturm hervor. Die Zeitungen glühten von tugend¬<lb/>
hafter Entrüstung. Die &#x201E;Pesther Zeitung," die unter ihrem letzten Redacteur<lb/>
Mauksch eine liberale Färbung annahm; Zerfi, der Redacteur des &#x201E;Ungar" und<lb/>
Albert Palfi, Redacteur des &#x201E;Tizenötvdik Marczius", der schon in Debreczin zu Gun¬<lb/>
sten Görgey's gegen die polnischen Eindringlinge agitirte, traten gegen den<lb/>
Feind des größten Patrioten in die Schranken, und es fehlte wenig,' daß gegen<lb/>
diese Handlung eine Anklage auf Hochverrat!) eingeleitet wurde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_345"> Der geneigte Leser wird sich daraus ein Bild von dem unbegrenzten Ver¬<lb/>
trauen selbst der Gebildeten zu Görgey machen können.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_346" next="#ID_347"> So standen die Dinge, als plötzlich mehrere bedenkliche Nachrichten aus dem<lb/>
obern Lager eintrafen. Das Heer an der Waag hatte mehrere Schlappen erlitten;<lb/>
aus Raab wurden die Ungarn nach einem hartnäckigen Kampf von einer mehr als<lb/>
vierfach überlegenen feindlichen Macht verdrängt, die Russen besetzten Kaschau und<lb/>
drängten 60,000 Mann stark, den wackern Visoczki, der mit seinen 12,000 Mann nur<lb/>
schwachen Widerstand leisten konnte, in der Richtung gegen Pesth. Nun entstand<lb/>
eine große Verwirrung in der Hauptstadt. Mehrere Eisenbahnzüge führten Mon-<lb/>
tnrmagazine und andere Staatsgüter nach Szolnok, mehrere Departements der<lb/>
Ministerien wurden aus der Stadt entfernt, ohne daß man wußte, wohin sie be¬<lb/>
ordert seien, einige Journale hörten aus zu erscheinen, denn das Personal folgte wie</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0108] diesen in. der Bacska nichts Glänzendes zu hoffen, und die dortige Armee konnte sich nie mehr auf die Höhe heben, die sie unter Perczel erreicht hatte. Perczel ging in den letzten Tagen des Juni nach Pesth, mit dem Vorsatz, in der am 2. Juli zu eröffnenden Nationalversammlung als Kläger gegen Görgey aufzutreten und mit seinen Freunden darauf zu dringen, daß er vor ein Kriegs¬ gericht gestellt werde. Die Hauptpunkte der Anklageacte sollten sein: 1) die Ver¬ nachlässigung der Bach-banater Armee, wodurch diese paralysirt und in ihrem Siegeslauf gehemmt wurde. 2) Die Intriguen Görgey's gegen Bem und andere Generäle, wodurch die gänzliche Vernichtung des Puchner-Rukawinaischen Heeres unmöglich gemacht wurde. 3) und hauptsächlich die Unthätigkeit Görgey's nach der Entsetzung Komorn's am 26. April, wodurch den Feinden Zeit gegönnt wurde, sich zu sammeln und die Russen zu Hilfe zu rufen. Allein die Nationalversamm¬ lung kam in Pesth nie wieder zu Stande, und so konnte Perczel auf constitutionel- len Wege gegen Görgey nichts unternehmen. . Noch vor Perczel's Ankunft in Pesth wagte es Schreiber dieser Zeilen, der zwar nie den Verrath, aber stets die Soldateuherrschsucht Görgey's fürchtete, zuerst gegen diesen aufzutreten, in einer Zeit, wo sein Ruhm den höchsten Gipfel er¬ reicht hatte, nämlich nach der Erstürmung Ofens. Er deutete in mäßig gehalte¬ nen, aber ungeschminkten Worten auf die Gefahr der durch Görgey überhand¬ nehmenden Soldatendespotie und auf das Verhalten des Generals gegenüber der Regierung hin, und rief dieser das „viäeavt consules" zu: allein dies Beginnen brachte einen fürchterlichen Sturm hervor. Die Zeitungen glühten von tugend¬ hafter Entrüstung. Die „Pesther Zeitung," die unter ihrem letzten Redacteur Mauksch eine liberale Färbung annahm; Zerfi, der Redacteur des „Ungar" und Albert Palfi, Redacteur des „Tizenötvdik Marczius", der schon in Debreczin zu Gun¬ sten Görgey's gegen die polnischen Eindringlinge agitirte, traten gegen den Feind des größten Patrioten in die Schranken, und es fehlte wenig,' daß gegen diese Handlung eine Anklage auf Hochverrat!) eingeleitet wurde. Der geneigte Leser wird sich daraus ein Bild von dem unbegrenzten Ver¬ trauen selbst der Gebildeten zu Görgey machen können. So standen die Dinge, als plötzlich mehrere bedenkliche Nachrichten aus dem obern Lager eintrafen. Das Heer an der Waag hatte mehrere Schlappen erlitten; aus Raab wurden die Ungarn nach einem hartnäckigen Kampf von einer mehr als vierfach überlegenen feindlichen Macht verdrängt, die Russen besetzten Kaschau und drängten 60,000 Mann stark, den wackern Visoczki, der mit seinen 12,000 Mann nur schwachen Widerstand leisten konnte, in der Richtung gegen Pesth. Nun entstand eine große Verwirrung in der Hauptstadt. Mehrere Eisenbahnzüge führten Mon- tnrmagazine und andere Staatsgüter nach Szolnok, mehrere Departements der Ministerien wurden aus der Stadt entfernt, ohne daß man wußte, wohin sie be¬ ordert seien, einige Journale hörten aus zu erscheinen, denn das Personal folgte wie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/108
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/108>, abgerufen am 24.07.2024.