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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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auf der Gegenseite. Im Ganzen zählt die zweite Kammer 10 Staatsdiener,
außerdem noch ohngefähr eben so viel Kirchen- und Schuldiener, welche ziemlich in
der gleichen Abhängigkeit von der Regierung leben. Von allen diesen ging nicht
Einer mit dem Ministerium. In der ersten Kammer zählte dasselbe 5 Stimmen,
also in beiden Kammern zusammen 8. Aber dennoch ist das Ministerium "stark"
und "wird dies vorkommenden Falls beweisen/' Ist das wohl deutlich? Das
Ministerium ist stark, folglich braucht es nicht zu weichen, auch wenn es die Majo¬
rität gegen sich hat: es wird das beweisen, d. h. es wird die Kammern, wenn
sie nicht Vernunft annehmen, auflösen. Was Kammern? Was Stimme des Lan¬
des? Was parlamentarische Regierung? Dummes Zeug! Wozu hätte es denn 25,000
Maun auf deu Beinen, den schützenden Belagerungszustand über seinen Häuptern
und für den äußersten Fall -- die Oestreicher an der Grenze?

So stehen am Schlüsse des Jahres 1849 Kammern und Negierung Sachsens
einander gegenüber! In den Kammern Rechte und Linke fast zu einer einmüthigeu
.Opposition gegen das Ministerium, verschmolzen durch des Letztern einseitige, jedes
höhern Prinzips entbehrende Politik; das Ministerium!, wie es scheint, zum
Aeußersten entschlossen, auf physische Gewaltmittel vertrauend, weil der moralische
Halt, die Uebereinstimmung mit der öffentlichen Meinung des Landes und ihrem
legalen Organ, den Kammern, ihm versagt ist; mit einem nur auf den Widerstand
und die Ausflicknng der morsch gewordenen Zustände im Einzelnen gerichte¬
ten Systeme, ohne große, schöpferische Gedanken zeitgemäßer Neugestaltung,
von Tag zu Tag sich fristend, durch die vis iiiertme und wegen der Zukunft getrö¬
stet durch den alten Nococospruch apres nous to Oder sollten sie wirklich,
die Männer des Ministeriums, in der Täuschung besangen leben, das Land sei
mit ihnen und stehe auf ihrer Seite gegen die Kammern, weil die Herren Eckert
und Haye in der "Freimüthigen Sachsenzeitung" und der "Fackel" ans die letzte¬
ren schimpfen, oder weil die Herren Marbach und Schellwitz in der Leipziger
Zeitung ihre Allerweltsfedern zum Lob ihrer Herren und Meister stumpf schreiben?

Es ist fast ein Jahr, da trat der sogenannte "Unverstandslandtag," traurigen
Andenkens zusammen, derselbe begann mit einer systematischen Unterwühlung des
Ministeriums und der ganzen Regierungsgewalt, er mißbilligte die Gründe der
Regierung noch ehe er sie kannte, er erklärte die Weisheit und die Wissenschaft
für einen unnöthigen Luxus und machte sich so gar bald zum Gespött aller Ver¬
nünftigen im Lande. Dennoch trat das Ministerium Braun vor diesem Land¬
tage zurück -- so sehr achtete es den Grundsatz der parlamentarischen Majoritäten,
selbst da, wo derselbe durch die Schuld des andern Theils ein Hohn geworden war.
Die gegenwärtige Ständeversammlung steht, nach dem Urtheil aller Unbefangenen,
ihrer Zusammensetzung und Haltung nach ebenso hoch über jener letzten, wie das
Ministerium Beust unter dem Ministerium Braun -- trotz aller Mängel dieses
letztern. Aber das Ministerium Beust weiß nichts, will nichts wissen, von dem


auf der Gegenseite. Im Ganzen zählt die zweite Kammer 10 Staatsdiener,
außerdem noch ohngefähr eben so viel Kirchen- und Schuldiener, welche ziemlich in
der gleichen Abhängigkeit von der Regierung leben. Von allen diesen ging nicht
Einer mit dem Ministerium. In der ersten Kammer zählte dasselbe 5 Stimmen,
also in beiden Kammern zusammen 8. Aber dennoch ist das Ministerium „stark"
und „wird dies vorkommenden Falls beweisen/' Ist das wohl deutlich? Das
Ministerium ist stark, folglich braucht es nicht zu weichen, auch wenn es die Majo¬
rität gegen sich hat: es wird das beweisen, d. h. es wird die Kammern, wenn
sie nicht Vernunft annehmen, auflösen. Was Kammern? Was Stimme des Lan¬
des? Was parlamentarische Regierung? Dummes Zeug! Wozu hätte es denn 25,000
Maun auf deu Beinen, den schützenden Belagerungszustand über seinen Häuptern
und für den äußersten Fall — die Oestreicher an der Grenze?

So stehen am Schlüsse des Jahres 1849 Kammern und Negierung Sachsens
einander gegenüber! In den Kammern Rechte und Linke fast zu einer einmüthigeu
.Opposition gegen das Ministerium, verschmolzen durch des Letztern einseitige, jedes
höhern Prinzips entbehrende Politik; das Ministerium!, wie es scheint, zum
Aeußersten entschlossen, auf physische Gewaltmittel vertrauend, weil der moralische
Halt, die Uebereinstimmung mit der öffentlichen Meinung des Landes und ihrem
legalen Organ, den Kammern, ihm versagt ist; mit einem nur auf den Widerstand
und die Ausflicknng der morsch gewordenen Zustände im Einzelnen gerichte¬
ten Systeme, ohne große, schöpferische Gedanken zeitgemäßer Neugestaltung,
von Tag zu Tag sich fristend, durch die vis iiiertme und wegen der Zukunft getrö¬
stet durch den alten Nococospruch apres nous to Oder sollten sie wirklich,
die Männer des Ministeriums, in der Täuschung besangen leben, das Land sei
mit ihnen und stehe auf ihrer Seite gegen die Kammern, weil die Herren Eckert
und Haye in der „Freimüthigen Sachsenzeitung" und der „Fackel" ans die letzte¬
ren schimpfen, oder weil die Herren Marbach und Schellwitz in der Leipziger
Zeitung ihre Allerweltsfedern zum Lob ihrer Herren und Meister stumpf schreiben?

Es ist fast ein Jahr, da trat der sogenannte „Unverstandslandtag," traurigen
Andenkens zusammen, derselbe begann mit einer systematischen Unterwühlung des
Ministeriums und der ganzen Regierungsgewalt, er mißbilligte die Gründe der
Regierung noch ehe er sie kannte, er erklärte die Weisheit und die Wissenschaft
für einen unnöthigen Luxus und machte sich so gar bald zum Gespött aller Ver¬
nünftigen im Lande. Dennoch trat das Ministerium Braun vor diesem Land¬
tage zurück — so sehr achtete es den Grundsatz der parlamentarischen Majoritäten,
selbst da, wo derselbe durch die Schuld des andern Theils ein Hohn geworden war.
Die gegenwärtige Ständeversammlung steht, nach dem Urtheil aller Unbefangenen,
ihrer Zusammensetzung und Haltung nach ebenso hoch über jener letzten, wie das
Ministerium Beust unter dem Ministerium Braun — trotz aller Mängel dieses
letztern. Aber das Ministerium Beust weiß nichts, will nichts wissen, von dem


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[0102] auf der Gegenseite. Im Ganzen zählt die zweite Kammer 10 Staatsdiener, außerdem noch ohngefähr eben so viel Kirchen- und Schuldiener, welche ziemlich in der gleichen Abhängigkeit von der Regierung leben. Von allen diesen ging nicht Einer mit dem Ministerium. In der ersten Kammer zählte dasselbe 5 Stimmen, also in beiden Kammern zusammen 8. Aber dennoch ist das Ministerium „stark" und „wird dies vorkommenden Falls beweisen/' Ist das wohl deutlich? Das Ministerium ist stark, folglich braucht es nicht zu weichen, auch wenn es die Majo¬ rität gegen sich hat: es wird das beweisen, d. h. es wird die Kammern, wenn sie nicht Vernunft annehmen, auflösen. Was Kammern? Was Stimme des Lan¬ des? Was parlamentarische Regierung? Dummes Zeug! Wozu hätte es denn 25,000 Maun auf deu Beinen, den schützenden Belagerungszustand über seinen Häuptern und für den äußersten Fall — die Oestreicher an der Grenze? So stehen am Schlüsse des Jahres 1849 Kammern und Negierung Sachsens einander gegenüber! In den Kammern Rechte und Linke fast zu einer einmüthigeu .Opposition gegen das Ministerium, verschmolzen durch des Letztern einseitige, jedes höhern Prinzips entbehrende Politik; das Ministerium!, wie es scheint, zum Aeußersten entschlossen, auf physische Gewaltmittel vertrauend, weil der moralische Halt, die Uebereinstimmung mit der öffentlichen Meinung des Landes und ihrem legalen Organ, den Kammern, ihm versagt ist; mit einem nur auf den Widerstand und die Ausflicknng der morsch gewordenen Zustände im Einzelnen gerichte¬ ten Systeme, ohne große, schöpferische Gedanken zeitgemäßer Neugestaltung, von Tag zu Tag sich fristend, durch die vis iiiertme und wegen der Zukunft getrö¬ stet durch den alten Nococospruch apres nous to Oder sollten sie wirklich, die Männer des Ministeriums, in der Täuschung besangen leben, das Land sei mit ihnen und stehe auf ihrer Seite gegen die Kammern, weil die Herren Eckert und Haye in der „Freimüthigen Sachsenzeitung" und der „Fackel" ans die letzte¬ ren schimpfen, oder weil die Herren Marbach und Schellwitz in der Leipziger Zeitung ihre Allerweltsfedern zum Lob ihrer Herren und Meister stumpf schreiben? Es ist fast ein Jahr, da trat der sogenannte „Unverstandslandtag," traurigen Andenkens zusammen, derselbe begann mit einer systematischen Unterwühlung des Ministeriums und der ganzen Regierungsgewalt, er mißbilligte die Gründe der Regierung noch ehe er sie kannte, er erklärte die Weisheit und die Wissenschaft für einen unnöthigen Luxus und machte sich so gar bald zum Gespött aller Ver¬ nünftigen im Lande. Dennoch trat das Ministerium Braun vor diesem Land¬ tage zurück — so sehr achtete es den Grundsatz der parlamentarischen Majoritäten, selbst da, wo derselbe durch die Schuld des andern Theils ein Hohn geworden war. Die gegenwärtige Ständeversammlung steht, nach dem Urtheil aller Unbefangenen, ihrer Zusammensetzung und Haltung nach ebenso hoch über jener letzten, wie das Ministerium Beust unter dem Ministerium Braun — trotz aller Mängel dieses letztern. Aber das Ministerium Beust weiß nichts, will nichts wissen, von dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/102>, abgerufen am 24.07.2024.