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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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teimitgliedes aus politischen Rücksichten in die Liste der Kandidaten aufge¬
nommen. Bot die Fraction einer andern Partei wahrend der Werbnngszeit ihren
Anschluß an, so wurde die Caudidateuliste mittels Uebereinstimmung modificirt,
und einige Mitglieder der neuen Bundesgenossen aufgeuonunen; tauchte während
des Kampfes ein neues bisher unbekanntes Korkes-Talent auf, so mußte ihm
einer der Kandidaten Platz machen, damit ja nicht die Partei eines solchen Käm¬
pfers beraubt werde. Wie die Werbung selbst vor sich gegangen, ist allbekannt,
und wir fügen uur noch hinzu, daß selbst die liberale Partei bei den damaligen
Verhältnissen nicht immer die reinsten Mittel wählen konnte, und anch in ihren
Beamtenlisten Nepotismus, Eigennutz und besonders Parteigeist oft das Bestre¬
ben, längliche und wohlwollende Beamte in die Bureaus zubringen, in den Hin¬
tergrund drängten.

Uuter solchen Umständen konnte von eigentlicher Verantwortlichkeit der Be¬
amten nicht wohl die Rede sein, denn die Partei betrachtete die Männer, welche
sie in den Wahlen durchgebracht, als den Nerv ihres Lebens, und wenn deren
Handlungsweise in den Congregatiouen angegriffen wurde, trat die ganze Partei
für ihre Führer und Kämpfer in die Schranken, und so wurden oft offener Mi߬
brauch der Beamtengewalt, ja selbst Verbrechen dnrch Abstimmung für unta-
delhaft erklärt. Der Beamte selbst betrachtete seiue Stellung, die ihm direct
nur wenig einbrachte, nicht als einen Beruf, in einem gegebenen Kreise nach
Kräften für das Wohl der Gesellschaft zu wirken, sondern als eine Belohnung
für seiue Parteiverdienste; und da das Volk, für welches und über welchem er
amtirte, ihn weder befördern noch stürzen konnte, so war sein ganzes Streben
nnr dahin gerichtet, sich die Zufriedenheit seiner Partei zu erwerben und dieser
ihre siegende Stellung im Mnnicipinm zu sichern. Dieses Verhältniß der Be¬
amten zu ihrer eigenen und zu ihrer Gegenpartei machte anch das strenge Sondern
der Geschäftszweige und die nähere Bestimmung des Wirkungskreises eines jeden
Beamten unmöglich, und so wurde Vieles vernachlässigt, weil es von Jedem als
nicht zu seinem Berufe gehörig bezeichnet wurde, Anderes wieder von Mehrern
zugleich gehandhabt, weil sich Mehrere um die Befugniß dazu stritten.

Mit der Regierung stand das Municipinm entweder in einem jeder Selb¬
ständigkeit entbehrenden, dieuerischeu, oder in einem höchst feindlichen, trotzenden
Verhältnisse, je nachdem die mit der Regierung im Bunde stehende conservative,
oder d!e mit ihr in ewiger Opposition lebende liberale Partei obsiegte.

So kam es, daß in manchen Municipien deu Gesetzverletzuugeu der unver-
antwortlichen Regierung alle Thore geöffnet wurden, während in manchew>-andern
selbst die für das Muuicipium nöthigen Reformen anf unbesiegbare Hindernisse
stießen, wenn sie vou der Regierung ausgingen, weil einestheils die liberale
Opposition die verhaßte Regierung kein Terrain gewinnen lassen wollte, und
andererseits die Regierung ihre Reformen meist ans anticvnstitntiouellem Wege ein-


teimitgliedes aus politischen Rücksichten in die Liste der Kandidaten aufge¬
nommen. Bot die Fraction einer andern Partei wahrend der Werbnngszeit ihren
Anschluß an, so wurde die Caudidateuliste mittels Uebereinstimmung modificirt,
und einige Mitglieder der neuen Bundesgenossen aufgeuonunen; tauchte während
des Kampfes ein neues bisher unbekanntes Korkes-Talent auf, so mußte ihm
einer der Kandidaten Platz machen, damit ja nicht die Partei eines solchen Käm¬
pfers beraubt werde. Wie die Werbung selbst vor sich gegangen, ist allbekannt,
und wir fügen uur noch hinzu, daß selbst die liberale Partei bei den damaligen
Verhältnissen nicht immer die reinsten Mittel wählen konnte, und anch in ihren
Beamtenlisten Nepotismus, Eigennutz und besonders Parteigeist oft das Bestre¬
ben, längliche und wohlwollende Beamte in die Bureaus zubringen, in den Hin¬
tergrund drängten.

Uuter solchen Umständen konnte von eigentlicher Verantwortlichkeit der Be¬
amten nicht wohl die Rede sein, denn die Partei betrachtete die Männer, welche
sie in den Wahlen durchgebracht, als den Nerv ihres Lebens, und wenn deren
Handlungsweise in den Congregatiouen angegriffen wurde, trat die ganze Partei
für ihre Führer und Kämpfer in die Schranken, und so wurden oft offener Mi߬
brauch der Beamtengewalt, ja selbst Verbrechen dnrch Abstimmung für unta-
delhaft erklärt. Der Beamte selbst betrachtete seiue Stellung, die ihm direct
nur wenig einbrachte, nicht als einen Beruf, in einem gegebenen Kreise nach
Kräften für das Wohl der Gesellschaft zu wirken, sondern als eine Belohnung
für seiue Parteiverdienste; und da das Volk, für welches und über welchem er
amtirte, ihn weder befördern noch stürzen konnte, so war sein ganzes Streben
nnr dahin gerichtet, sich die Zufriedenheit seiner Partei zu erwerben und dieser
ihre siegende Stellung im Mnnicipinm zu sichern. Dieses Verhältniß der Be¬
amten zu ihrer eigenen und zu ihrer Gegenpartei machte anch das strenge Sondern
der Geschäftszweige und die nähere Bestimmung des Wirkungskreises eines jeden
Beamten unmöglich, und so wurde Vieles vernachlässigt, weil es von Jedem als
nicht zu seinem Berufe gehörig bezeichnet wurde, Anderes wieder von Mehrern
zugleich gehandhabt, weil sich Mehrere um die Befugniß dazu stritten.

Mit der Regierung stand das Municipinm entweder in einem jeder Selb¬
ständigkeit entbehrenden, dieuerischeu, oder in einem höchst feindlichen, trotzenden
Verhältnisse, je nachdem die mit der Regierung im Bunde stehende conservative,
oder d!e mit ihr in ewiger Opposition lebende liberale Partei obsiegte.

So kam es, daß in manchen Municipien deu Gesetzverletzuugeu der unver-
antwortlichen Regierung alle Thore geöffnet wurden, während in manchew>-andern
selbst die für das Muuicipium nöthigen Reformen anf unbesiegbare Hindernisse
stießen, wenn sie vou der Regierung ausgingen, weil einestheils die liberale
Opposition die verhaßte Regierung kein Terrain gewinnen lassen wollte, und
andererseits die Regierung ihre Reformen meist ans anticvnstitntiouellem Wege ein-


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[0056] teimitgliedes aus politischen Rücksichten in die Liste der Kandidaten aufge¬ nommen. Bot die Fraction einer andern Partei wahrend der Werbnngszeit ihren Anschluß an, so wurde die Caudidateuliste mittels Uebereinstimmung modificirt, und einige Mitglieder der neuen Bundesgenossen aufgeuonunen; tauchte während des Kampfes ein neues bisher unbekanntes Korkes-Talent auf, so mußte ihm einer der Kandidaten Platz machen, damit ja nicht die Partei eines solchen Käm¬ pfers beraubt werde. Wie die Werbung selbst vor sich gegangen, ist allbekannt, und wir fügen uur noch hinzu, daß selbst die liberale Partei bei den damaligen Verhältnissen nicht immer die reinsten Mittel wählen konnte, und anch in ihren Beamtenlisten Nepotismus, Eigennutz und besonders Parteigeist oft das Bestre¬ ben, längliche und wohlwollende Beamte in die Bureaus zubringen, in den Hin¬ tergrund drängten. Uuter solchen Umständen konnte von eigentlicher Verantwortlichkeit der Be¬ amten nicht wohl die Rede sein, denn die Partei betrachtete die Männer, welche sie in den Wahlen durchgebracht, als den Nerv ihres Lebens, und wenn deren Handlungsweise in den Congregatiouen angegriffen wurde, trat die ganze Partei für ihre Führer und Kämpfer in die Schranken, und so wurden oft offener Mi߬ brauch der Beamtengewalt, ja selbst Verbrechen dnrch Abstimmung für unta- delhaft erklärt. Der Beamte selbst betrachtete seiue Stellung, die ihm direct nur wenig einbrachte, nicht als einen Beruf, in einem gegebenen Kreise nach Kräften für das Wohl der Gesellschaft zu wirken, sondern als eine Belohnung für seiue Parteiverdienste; und da das Volk, für welches und über welchem er amtirte, ihn weder befördern noch stürzen konnte, so war sein ganzes Streben nnr dahin gerichtet, sich die Zufriedenheit seiner Partei zu erwerben und dieser ihre siegende Stellung im Mnnicipinm zu sichern. Dieses Verhältniß der Be¬ amten zu ihrer eigenen und zu ihrer Gegenpartei machte anch das strenge Sondern der Geschäftszweige und die nähere Bestimmung des Wirkungskreises eines jeden Beamten unmöglich, und so wurde Vieles vernachlässigt, weil es von Jedem als nicht zu seinem Berufe gehörig bezeichnet wurde, Anderes wieder von Mehrern zugleich gehandhabt, weil sich Mehrere um die Befugniß dazu stritten. Mit der Regierung stand das Municipinm entweder in einem jeder Selb¬ ständigkeit entbehrenden, dieuerischeu, oder in einem höchst feindlichen, trotzenden Verhältnisse, je nachdem die mit der Regierung im Bunde stehende conservative, oder d!e mit ihr in ewiger Opposition lebende liberale Partei obsiegte. So kam es, daß in manchen Municipien deu Gesetzverletzuugeu der unver- antwortlichen Regierung alle Thore geöffnet wurden, während in manchew>-andern selbst die für das Muuicipium nöthigen Reformen anf unbesiegbare Hindernisse stießen, wenn sie vou der Regierung ausgingen, weil einestheils die liberale Opposition die verhaßte Regierung kein Terrain gewinnen lassen wollte, und andererseits die Regierung ihre Reformen meist ans anticvnstitntiouellem Wege ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/56>, abgerufen am 23.07.2024.