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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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wird, könnte erst Montag früh abgehen, und hätte zwei Nächte und einen Tag
müßig gelegen. Es ist sehr möglich, daß er unterdeß veraltet ist. Das Ge¬
schäftsleben der ganzen Woche wird dadurch gestört und verkümmert; am Montag
Morgen fehlen z. B. ans der Börse in Berlin die Nachrichten von Sonnabend
Mittag ab ans dem nahen Hamburg, Leipzig, am Dienstag die von Wien und
Paris u. f. w., welche an der Grenze des Sonntags liegen geblieben sind.
Schon das würde sehr lästig sein, den großen Kaufmann beunruhigen und
Verluste bereiten.

Aber die Sache wird noch ärger. Bei zwei Plätzen, welche wenige Meilen
von einander entfernt siud, wird am Ende der Woche eine ungeheure Differenz
in Ankunft der Geschäftsuachrichten stattfinden. Was der Kaufmann in Hamburg
am Sonnabend Abend vou London erfährt, wird der Kaufmann in Berlin erst
Montag Abend wissen. Gesetzt, am Sonnabend Abend läuft in Hamburg die
Nachricht ein, daß in London der Kaffee um 1 sah. gefallen oder daß plötzlicher
Begehr von Zink den Preis des Centners um ^ Thaler getrieben hat. Der
Hamburger nimmt sogleich Extrapost, oder am Sonntag früh in Preußen Lohn-
fnhre, und wird in den ersten Börsenstnnden des Montags dem unwissenden Ber¬
liner die Hamburger Vorräthe vou Kaffee 1SH. über deu Werth verkaufen, oder
am Montag Abend in Breslau sämmtlichen gelagerten Zink V2 Thaler nnter dem
Werth einkaufen. In beiden Beispielen, die aus der Anzahl von tausenderlei
verschiedenen Möglichkeiten beliebig herausgegriffen wurden, werdem dem preußischen
Geschäft durch ein fremdes mit einem Schlage Summen entzogen, die ohne Ue-
bertreibung nach Hunderttausenden gerechnet werdeu. Da nun ein ähnlicher Vortheil
der Geschäfte des Auslands vor den concurrirenden preußischen sich 52mal im
Jahre wiederholen müßte, da Hamburg, Bremen, die Niederländer, Belgier, Frank-
furt,'Leipzig und Wien als thätige Geschäftsrivalen an der preußischen Grenze
wachen und jede Schwäche des Nachbars benutzen müßten, so ist klar, daß der
Handel und die industrielle Entwicklung Preußens durch das Aufhören der Brief-
befördernng am Sonntag einen furchtbarem Stoß erleiden würde. Die Wiener
Nachrichten vom Sonnabend früh werden eher über Prag in Leipzig und von
Leipzig aus in Berlin, als in Breslau sein, Hamburger Briefe über Leipzig in
Wien zu derselben Stunde ankommen, wie in Breslau; von zwei Städten, welche
nur wenige Meilen auseinanderliegen, wird die eine, welche zufällig Ausgang
einer Eisenbahn over Postlinie ist, die Nachrichten von dieser Richtung her am
Sonnabend Abend erhalten, während die Nachbarstadt dieselben erst an: Montag
früh bekömmt u. s. w.

Die großen.Strömungen unseres Lebeus dürfen uicht verstopft werden, damit
ein'Einzelner: der Postillon, der Eisenbahnbeamte, den Sonntag in orthodoxein
Sinn heiligen kann. Stellt mehr Beamte all, damit diese von drei Sonntagen
zwei frei haben, und sie werden am dritten ohne Schaden für ihr Herz und ihre


wird, könnte erst Montag früh abgehen, und hätte zwei Nächte und einen Tag
müßig gelegen. Es ist sehr möglich, daß er unterdeß veraltet ist. Das Ge¬
schäftsleben der ganzen Woche wird dadurch gestört und verkümmert; am Montag
Morgen fehlen z. B. ans der Börse in Berlin die Nachrichten von Sonnabend
Mittag ab ans dem nahen Hamburg, Leipzig, am Dienstag die von Wien und
Paris u. f. w., welche an der Grenze des Sonntags liegen geblieben sind.
Schon das würde sehr lästig sein, den großen Kaufmann beunruhigen und
Verluste bereiten.

Aber die Sache wird noch ärger. Bei zwei Plätzen, welche wenige Meilen
von einander entfernt siud, wird am Ende der Woche eine ungeheure Differenz
in Ankunft der Geschäftsuachrichten stattfinden. Was der Kaufmann in Hamburg
am Sonnabend Abend vou London erfährt, wird der Kaufmann in Berlin erst
Montag Abend wissen. Gesetzt, am Sonnabend Abend läuft in Hamburg die
Nachricht ein, daß in London der Kaffee um 1 sah. gefallen oder daß plötzlicher
Begehr von Zink den Preis des Centners um ^ Thaler getrieben hat. Der
Hamburger nimmt sogleich Extrapost, oder am Sonntag früh in Preußen Lohn-
fnhre, und wird in den ersten Börsenstnnden des Montags dem unwissenden Ber¬
liner die Hamburger Vorräthe vou Kaffee 1SH. über deu Werth verkaufen, oder
am Montag Abend in Breslau sämmtlichen gelagerten Zink V2 Thaler nnter dem
Werth einkaufen. In beiden Beispielen, die aus der Anzahl von tausenderlei
verschiedenen Möglichkeiten beliebig herausgegriffen wurden, werdem dem preußischen
Geschäft durch ein fremdes mit einem Schlage Summen entzogen, die ohne Ue-
bertreibung nach Hunderttausenden gerechnet werdeu. Da nun ein ähnlicher Vortheil
der Geschäfte des Auslands vor den concurrirenden preußischen sich 52mal im
Jahre wiederholen müßte, da Hamburg, Bremen, die Niederländer, Belgier, Frank-
furt,'Leipzig und Wien als thätige Geschäftsrivalen an der preußischen Grenze
wachen und jede Schwäche des Nachbars benutzen müßten, so ist klar, daß der
Handel und die industrielle Entwicklung Preußens durch das Aufhören der Brief-
befördernng am Sonntag einen furchtbarem Stoß erleiden würde. Die Wiener
Nachrichten vom Sonnabend früh werden eher über Prag in Leipzig und von
Leipzig aus in Berlin, als in Breslau sein, Hamburger Briefe über Leipzig in
Wien zu derselben Stunde ankommen, wie in Breslau; von zwei Städten, welche
nur wenige Meilen auseinanderliegen, wird die eine, welche zufällig Ausgang
einer Eisenbahn over Postlinie ist, die Nachrichten von dieser Richtung her am
Sonnabend Abend erhalten, während die Nachbarstadt dieselben erst an: Montag
früh bekömmt u. s. w.

Die großen.Strömungen unseres Lebeus dürfen uicht verstopft werden, damit
ein'Einzelner: der Postillon, der Eisenbahnbeamte, den Sonntag in orthodoxein
Sinn heiligen kann. Stellt mehr Beamte all, damit diese von drei Sonntagen
zwei frei haben, und sie werden am dritten ohne Schaden für ihr Herz und ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/524>, abgerufen am 22.07.2024.