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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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welcher übrigens im Ganzen betrachtet den Umsatz von sehr großen Sum¬
men darstellt;, er ist natürlich und nothwendig, denn der kleine Landmann hat
keine Zeit in der Woche nach der Stadt zu gehen oder zu schicken. Wie soll
er sich alle diese guten Sachen nach seines Herzens Begehr auswählen und
erwerben, wenn nicht am Sonntag? Die administrativen Behörden Preußens
haben seit langer Zeit eine besondere Vorliebe für das Verbot dieses sonntäglichen
Verkehrs gehabt, und die Magistrate der kleinen Städte waren sicher, daß von
Zeit zu Zeit ein fulminantes Gebot der Bezirks-Regierungen einlief, die Kauf¬
läden am Sonntag geschlossen zu halten; worauf gehorsamst zurückgeschrieben wurde,
die Sache sei uicht ausführbar, und die Ausführung wäre außerdem ein großer
Nachtheil für die Stadt; worauf von der Regierung replicirt wurde, es müsse
doch geschehen, denn die Heiligkeit des Sonntags leide durch die offenen Läden;
worauf vom Magistrat wieder gehorsamst bemerkt wurde, es gehe aber doch nicht,
worauf die Regierung in einem Eudrescript vornehm murrte und sich so lauge
zufrieden gab, bis dieselbe dramatische Action wieder losging. Das war freilich
in der guten alten Zeit, wo Preußen noch bureaukratisch regiert wurde. Da
aber jetzt die Freiheit gekommen ist, steht zu fürchten, daß die tyrannische Be¬
vormundung durch die Regierungen ärger werden wird.

Wenn sich so schou im kleinen Verkehr des Tages der obrigkeitliche Befehl
einer strengen Sonntagsfeier als mißlich herausstellt, und dringend zu warnen ist
vor schädlichen und unausführbaren Verboten; was soll man zu dem abenteuer¬
lichen Project sagen, Posten und Eisenbahnen am Sonntag zu suspendiren! Wenn
im Ernst eine deutsche Negierung so etwas versuchen wollte, könnten ihre Geguer
sich freuen, denn es gäbe keine Maaßregel, welche mehr geeignet wäre, sie den
Bürgern ihres Staates verhaßt zu macheu. Es ist möglich, daß ein isolirtes Land,
welches, getrennt von den übrigen, in sich abgeschlossen daliegt, diese Art von
Sonntagsruhe beobachtet, wenn es nämlich, wie in England, alte Sitte ist, den
Sonntag mit finstrer Gravität zu begehen; aber es wäre unvernünftig, Gleiches
in einem Staat einzurichten, welcher vou alleu Seiten durch Posten und Eisen¬
bahnen mit den Nachbarstaaten verbuudeuM, in Handel, Industrie und Verkehr
überall mit dem Ausland zu concurrire!! hat, und außerdem Bürger von fröhli¬
cherem Gemüth besitzt, welche es für einen guten Brauch halten, sich am Nach¬
mittage mit ihrer Familie durch den Dampfer in die freie Natur fahren zu lassen.
Wenn z. B. Preußen dieser Staat wäre, so würde zunächst in allen Branchen
des Geschäftes große Verwirrung entstehen. Sämmtliche Geschäftsbriefe blieben
im Felleisen von Sonnabend zu Montag ohnmächtig, regungslos auf den Sta¬
tionen da liegen, wo sie zufällig der Sonntag festgezaubert hat; ihre Beförderung
wird um wenigstens 24 Stunden verzögert! Das wäre jetzt ein großes Unglück!
Schon der Geschäftsbrief, welcher Sonnabend Abend am Ort der Adresse ankommt,
wird erst Montag ausgetragen, aber der, welcher am Sonnabend Abend aufgegeben


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welcher übrigens im Ganzen betrachtet den Umsatz von sehr großen Sum¬
men darstellt;, er ist natürlich und nothwendig, denn der kleine Landmann hat
keine Zeit in der Woche nach der Stadt zu gehen oder zu schicken. Wie soll
er sich alle diese guten Sachen nach seines Herzens Begehr auswählen und
erwerben, wenn nicht am Sonntag? Die administrativen Behörden Preußens
haben seit langer Zeit eine besondere Vorliebe für das Verbot dieses sonntäglichen
Verkehrs gehabt, und die Magistrate der kleinen Städte waren sicher, daß von
Zeit zu Zeit ein fulminantes Gebot der Bezirks-Regierungen einlief, die Kauf¬
läden am Sonntag geschlossen zu halten; worauf gehorsamst zurückgeschrieben wurde,
die Sache sei uicht ausführbar, und die Ausführung wäre außerdem ein großer
Nachtheil für die Stadt; worauf von der Regierung replicirt wurde, es müsse
doch geschehen, denn die Heiligkeit des Sonntags leide durch die offenen Läden;
worauf vom Magistrat wieder gehorsamst bemerkt wurde, es gehe aber doch nicht,
worauf die Regierung in einem Eudrescript vornehm murrte und sich so lauge
zufrieden gab, bis dieselbe dramatische Action wieder losging. Das war freilich
in der guten alten Zeit, wo Preußen noch bureaukratisch regiert wurde. Da
aber jetzt die Freiheit gekommen ist, steht zu fürchten, daß die tyrannische Be¬
vormundung durch die Regierungen ärger werden wird.

Wenn sich so schou im kleinen Verkehr des Tages der obrigkeitliche Befehl
einer strengen Sonntagsfeier als mißlich herausstellt, und dringend zu warnen ist
vor schädlichen und unausführbaren Verboten; was soll man zu dem abenteuer¬
lichen Project sagen, Posten und Eisenbahnen am Sonntag zu suspendiren! Wenn
im Ernst eine deutsche Negierung so etwas versuchen wollte, könnten ihre Geguer
sich freuen, denn es gäbe keine Maaßregel, welche mehr geeignet wäre, sie den
Bürgern ihres Staates verhaßt zu macheu. Es ist möglich, daß ein isolirtes Land,
welches, getrennt von den übrigen, in sich abgeschlossen daliegt, diese Art von
Sonntagsruhe beobachtet, wenn es nämlich, wie in England, alte Sitte ist, den
Sonntag mit finstrer Gravität zu begehen; aber es wäre unvernünftig, Gleiches
in einem Staat einzurichten, welcher vou alleu Seiten durch Posten und Eisen¬
bahnen mit den Nachbarstaaten verbuudeuM, in Handel, Industrie und Verkehr
überall mit dem Ausland zu concurrire!! hat, und außerdem Bürger von fröhli¬
cherem Gemüth besitzt, welche es für einen guten Brauch halten, sich am Nach¬
mittage mit ihrer Familie durch den Dampfer in die freie Natur fahren zu lassen.
Wenn z. B. Preußen dieser Staat wäre, so würde zunächst in allen Branchen
des Geschäftes große Verwirrung entstehen. Sämmtliche Geschäftsbriefe blieben
im Felleisen von Sonnabend zu Montag ohnmächtig, regungslos auf den Sta¬
tionen da liegen, wo sie zufällig der Sonntag festgezaubert hat; ihre Beförderung
wird um wenigstens 24 Stunden verzögert! Das wäre jetzt ein großes Unglück!
Schon der Geschäftsbrief, welcher Sonnabend Abend am Ort der Adresse ankommt,
wird erst Montag ausgetragen, aber der, welcher am Sonnabend Abend aufgegeben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/523>, abgerufen am 22.07.2024.