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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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In vielen Fällen durften sie nnr Freiheit ihrer Entwicklung fordern; die Literatur
verbat sich die Einmischung amtlich bestallter Kritiker, die Association die lähmende
Aufsicht der Behörden; das Recht wollte vom Volk selbst gesunden sein; in andern
Fällen mußte der Staat sich dazu verstehen, selbst zu einer Ergänzung seiner vor¬
handenen Kräfte zu schreiten.

Es war schou Manches geschehen. Die Städteordnung, die Landwehr, die
im Ganzen populäre Kreisverfassung, endlich die Provinziallandtage waren gute
Vorbereitungen. Es fehlte das gemeinsame Medium, diese isolirten Kräfte zur
Concentration des gesammten Staatslebens anzuwenden. Der vereinigte Landtag
sollte dies Medium bilden.

Allerdings waren die Landtage nnr der Idee, nicht der Ausführung uach,
zu billigem Die Beziehung ans die drei productiven Stände -- den großen
Grundbesitz, die Städte und die Landgemeinden, so wie ans die Kreisverfassung, war
sachgemäß; dagegen waren für das active und namentlich das passive Wahlrecht
(den Committenten soll es überall frei steheu, sich durch Jeden, der ihr Vertrauen
besitzt, vertreten zu lassen) die sinnwidrigsten Beschränkungen eingeführt, und gegen
das Verhältniß der verschiedenen Factoren war auch Manches einzuwenden. --
Trotzdem begnügte sich die liberale Partei, für diesen neuen Factor des Staats
nnr eine bestimmte, klare Stellung, d. h. genan abgegrenzte Rechte zu fordern,
und es war natürlich, daß sie sich mit dieser Forderung auf die bestehenden Ver-
heijiuugeu bezog, obgleich sie auch darin keineswegs pedantisch zu Werke ging.

- Die "historische" Partei hat nun alles gethan, diese Bestrebungen zu hinter-
treiben, uicht zu Gunsten des Rechts oder der historischen Voraussetzungen, sondern
zu Gunsten der Willkür, des unklaren, mystischen Absolutismus, der von dem hi¬
storischen Absolutismus Preußens, dein bureaukratischen, sehr zu scheiden war.
Jede ttubestimmtheit, Unklarheit und Unsicherheit des Rechts ist aber eine Thür,
die man der Revolution öffnet.

Die "historische" Partei hat aber in die Gestaltung der Stände selbst einen
sehr unhistorischen Factor eingeführt. Trotz ihrer Protestationen zu Gunsten des
preußischen Naturwuchscö schwebte ihr doch eine uuvreußische, die englische Ver-
fassung vor. Aus dieser ideologischen Reminiscenz ging die Herrencuric hervor,
von der bisher im preußischen Staate nicht die Rede gewesen, gegen die noch
im Jahre 1840 der ostpreußische Landtag protestirt hatte, die in den gegebe¬
nen Verhältnissen keine Wurzel schlagen konnte. Man wollte, weil es in London
ein Oberhaus gab -- ein Institut, dessen rapide Auflösung die Reform, die Korn¬
gesetz-Acte und neuerdings uoch das verächtliche Benehmen Lord Palmerston's in
der griechischen Frage hinreichend an den Tag legen -- zwei Kammern haben, und
vergaß, daß zu eiuer le.bensfähigeu Pärie uoch etwas anders gehört, als Grafeu-
uud Fürsteutitcl, man vergaß, daß in der preußischen Verfassung bereits ein In¬
stitut vorhanden war, welches deu historischen, auf technischer Bildung beruhenden


In vielen Fällen durften sie nnr Freiheit ihrer Entwicklung fordern; die Literatur
verbat sich die Einmischung amtlich bestallter Kritiker, die Association die lähmende
Aufsicht der Behörden; das Recht wollte vom Volk selbst gesunden sein; in andern
Fällen mußte der Staat sich dazu verstehen, selbst zu einer Ergänzung seiner vor¬
handenen Kräfte zu schreiten.

Es war schou Manches geschehen. Die Städteordnung, die Landwehr, die
im Ganzen populäre Kreisverfassung, endlich die Provinziallandtage waren gute
Vorbereitungen. Es fehlte das gemeinsame Medium, diese isolirten Kräfte zur
Concentration des gesammten Staatslebens anzuwenden. Der vereinigte Landtag
sollte dies Medium bilden.

Allerdings waren die Landtage nnr der Idee, nicht der Ausführung uach,
zu billigem Die Beziehung ans die drei productiven Stände — den großen
Grundbesitz, die Städte und die Landgemeinden, so wie ans die Kreisverfassung, war
sachgemäß; dagegen waren für das active und namentlich das passive Wahlrecht
(den Committenten soll es überall frei steheu, sich durch Jeden, der ihr Vertrauen
besitzt, vertreten zu lassen) die sinnwidrigsten Beschränkungen eingeführt, und gegen
das Verhältniß der verschiedenen Factoren war auch Manches einzuwenden. —
Trotzdem begnügte sich die liberale Partei, für diesen neuen Factor des Staats
nnr eine bestimmte, klare Stellung, d. h. genan abgegrenzte Rechte zu fordern,
und es war natürlich, daß sie sich mit dieser Forderung auf die bestehenden Ver-
heijiuugeu bezog, obgleich sie auch darin keineswegs pedantisch zu Werke ging.

- Die „historische" Partei hat nun alles gethan, diese Bestrebungen zu hinter-
treiben, uicht zu Gunsten des Rechts oder der historischen Voraussetzungen, sondern
zu Gunsten der Willkür, des unklaren, mystischen Absolutismus, der von dem hi¬
storischen Absolutismus Preußens, dein bureaukratischen, sehr zu scheiden war.
Jede ttubestimmtheit, Unklarheit und Unsicherheit des Rechts ist aber eine Thür,
die man der Revolution öffnet.

Die „historische" Partei hat aber in die Gestaltung der Stände selbst einen
sehr unhistorischen Factor eingeführt. Trotz ihrer Protestationen zu Gunsten des
preußischen Naturwuchscö schwebte ihr doch eine uuvreußische, die englische Ver-
fassung vor. Aus dieser ideologischen Reminiscenz ging die Herrencuric hervor,
von der bisher im preußischen Staate nicht die Rede gewesen, gegen die noch
im Jahre 1840 der ostpreußische Landtag protestirt hatte, die in den gegebe¬
nen Verhältnissen keine Wurzel schlagen konnte. Man wollte, weil es in London
ein Oberhaus gab — ein Institut, dessen rapide Auflösung die Reform, die Korn¬
gesetz-Acte und neuerdings uoch das verächtliche Benehmen Lord Palmerston's in
der griechischen Frage hinreichend an den Tag legen — zwei Kammern haben, und
vergaß, daß zu eiuer le.bensfähigeu Pärie uoch etwas anders gehört, als Grafeu-
uud Fürsteutitcl, man vergaß, daß in der preußischen Verfassung bereits ein In¬
stitut vorhanden war, welches deu historischen, auf technischer Bildung beruhenden


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[0518] In vielen Fällen durften sie nnr Freiheit ihrer Entwicklung fordern; die Literatur verbat sich die Einmischung amtlich bestallter Kritiker, die Association die lähmende Aufsicht der Behörden; das Recht wollte vom Volk selbst gesunden sein; in andern Fällen mußte der Staat sich dazu verstehen, selbst zu einer Ergänzung seiner vor¬ handenen Kräfte zu schreiten. Es war schou Manches geschehen. Die Städteordnung, die Landwehr, die im Ganzen populäre Kreisverfassung, endlich die Provinziallandtage waren gute Vorbereitungen. Es fehlte das gemeinsame Medium, diese isolirten Kräfte zur Concentration des gesammten Staatslebens anzuwenden. Der vereinigte Landtag sollte dies Medium bilden. Allerdings waren die Landtage nnr der Idee, nicht der Ausführung uach, zu billigem Die Beziehung ans die drei productiven Stände — den großen Grundbesitz, die Städte und die Landgemeinden, so wie ans die Kreisverfassung, war sachgemäß; dagegen waren für das active und namentlich das passive Wahlrecht (den Committenten soll es überall frei steheu, sich durch Jeden, der ihr Vertrauen besitzt, vertreten zu lassen) die sinnwidrigsten Beschränkungen eingeführt, und gegen das Verhältniß der verschiedenen Factoren war auch Manches einzuwenden. — Trotzdem begnügte sich die liberale Partei, für diesen neuen Factor des Staats nnr eine bestimmte, klare Stellung, d. h. genan abgegrenzte Rechte zu fordern, und es war natürlich, daß sie sich mit dieser Forderung auf die bestehenden Ver- heijiuugeu bezog, obgleich sie auch darin keineswegs pedantisch zu Werke ging. - Die „historische" Partei hat nun alles gethan, diese Bestrebungen zu hinter- treiben, uicht zu Gunsten des Rechts oder der historischen Voraussetzungen, sondern zu Gunsten der Willkür, des unklaren, mystischen Absolutismus, der von dem hi¬ storischen Absolutismus Preußens, dein bureaukratischen, sehr zu scheiden war. Jede ttubestimmtheit, Unklarheit und Unsicherheit des Rechts ist aber eine Thür, die man der Revolution öffnet. Die „historische" Partei hat aber in die Gestaltung der Stände selbst einen sehr unhistorischen Factor eingeführt. Trotz ihrer Protestationen zu Gunsten des preußischen Naturwuchscö schwebte ihr doch eine uuvreußische, die englische Ver- fassung vor. Aus dieser ideologischen Reminiscenz ging die Herrencuric hervor, von der bisher im preußischen Staate nicht die Rede gewesen, gegen die noch im Jahre 1840 der ostpreußische Landtag protestirt hatte, die in den gegebe¬ nen Verhältnissen keine Wurzel schlagen konnte. Man wollte, weil es in London ein Oberhaus gab — ein Institut, dessen rapide Auflösung die Reform, die Korn¬ gesetz-Acte und neuerdings uoch das verächtliche Benehmen Lord Palmerston's in der griechischen Frage hinreichend an den Tag legen — zwei Kammern haben, und vergaß, daß zu eiuer le.bensfähigeu Pärie uoch etwas anders gehört, als Grafeu- uud Fürsteutitcl, man vergaß, daß in der preußischen Verfassung bereits ein In¬ stitut vorhanden war, welches deu historischen, auf technischer Bildung beruhenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/518>, abgerufen am 22.07.2024.