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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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hat bei uns noch eine ganz andere Bedeutung, als in England; das Volt, zum
großen Theil aus eroberten oder angekauften Provinzen zusammengefügt und nnr
im Königthum seine Einigung findend, eine viel geringere, als in irgend einem
andern Staat, wo doch in der Regel die Nation die Basis gewesen ist, und eS
wäre ein ebenso unbilliges als unausführbares Verlangen, daß augenblicklich die
verschiedenen Momente, aus deuen der Staat besteht, dieselbe Harmonie der
Formen und dasselbe Gleichgewicht der Kräfte ausdrücken sollten, deren sich das
meerumspü^. Britannien erfreut. Aber wenn diese Reaction aufs Einzelne ein¬
gehe und ihrerseits die Kräfte aufzählt, die im preußischen Staatsleben vorhan¬
den sind, und aus deren organischer Jneinandcrfügung seine politische Wieder¬
geburt hervorgebracht werden soll, so sieht es fast so ans, als hätte sie nie einen
Blick in die preußische Geschichte geworfen. Preußen ist in seiner Entstehung wie
in seiner Ausbildung ein beständiger Protest gegen das Fortbestehen des heiligen
römischen Reichs, und doch soll es seiue Stütze sein; es hat sich in seiner ganzen
Geschichte auf deu Protestantismus und seine Consequenzen gestützt, und doch soll
es zu einem Schirmherrn oder zu einem gehorsamen Diener sämmtlicher Kirchen,
namentlich der römisch-katholischen und einer nicht existirenden deutsch-evangelischen
gemacht werden; es hat mit dem adligen Feudalstaat seit Jahrhunderten so ent-
schieden gebrochen, wie kein anderes Königthum, und doch soll es wieder in den
Schoß des Feudalismus zurückkehren. Alle diese Anforderungen sind doch so
unhistorisch als möglich.

Es ist ein großes Unglück, daß eine Partei, die in den geschichtlichen Vor-
aussetzungen Preußens ihre volle Berechtigung hat, und die neben den andern
Factoren des Staats -- dem altpreußischen, absolutistischen Beamten-Liberalismus
und der städtischen, beweglichen Demokratie ^) -- ihre wesentliche Stelle ein¬
nehmen soll, daß die Partei des großen Grundbesitzes und des mit demselben
enge verknüpften militärischen Adels in die Hände einer Coterie gefallen ist, die
nichts weniger als preußisch, nichts weniger als historisch genannt werden kann.
Man weiß nicht, ob man sie mehr wegen der Mitwirkung eines Gerlach, oder eines
Ohm bedauern soll. Die letzte Species ist zwar eine Allianz, die der Partei
keine Ehre bringt, aber sie gehört doch nur zum dienenden Troß, zu der Canaille,
die man gebraucht, indem mau sie zugleich verachtet. Aber der "Nuudschauer"
und seiue Freunde siud uicht blos die Geschäftsträger, soudern die geistigen Führer
der Partei, und wenn man diese salbnngsreichen Bußpredigten, bei denen man
nie recht unterscheidet, wo säugt die Scheinheiligkeit an und wo die doctrinäre



*) Ich gebrauche diesen Ausdruck -- um Vei dieser Gelegenheit Herrn von Manteuffel
zu corrigiren -- nicht in dem historischen Sinn, wo er mehr eine Gemeinsamkeit der Per¬
sonen alö der Ideen ausdrückt, souderu in dem ursprünglichen und ideale", wo es sich er¬
gebe" wird, daß der bei Weitem größere Theil unserer Partei zur Demokratie gehört, und
eigentlich nichts anders darstellt, als den Verstand der Demokratie.

hat bei uns noch eine ganz andere Bedeutung, als in England; das Volt, zum
großen Theil aus eroberten oder angekauften Provinzen zusammengefügt und nnr
im Königthum seine Einigung findend, eine viel geringere, als in irgend einem
andern Staat, wo doch in der Regel die Nation die Basis gewesen ist, und eS
wäre ein ebenso unbilliges als unausführbares Verlangen, daß augenblicklich die
verschiedenen Momente, aus deuen der Staat besteht, dieselbe Harmonie der
Formen und dasselbe Gleichgewicht der Kräfte ausdrücken sollten, deren sich das
meerumspü^. Britannien erfreut. Aber wenn diese Reaction aufs Einzelne ein¬
gehe und ihrerseits die Kräfte aufzählt, die im preußischen Staatsleben vorhan¬
den sind, und aus deren organischer Jneinandcrfügung seine politische Wieder¬
geburt hervorgebracht werden soll, so sieht es fast so ans, als hätte sie nie einen
Blick in die preußische Geschichte geworfen. Preußen ist in seiner Entstehung wie
in seiner Ausbildung ein beständiger Protest gegen das Fortbestehen des heiligen
römischen Reichs, und doch soll es seiue Stütze sein; es hat sich in seiner ganzen
Geschichte auf deu Protestantismus und seine Consequenzen gestützt, und doch soll
es zu einem Schirmherrn oder zu einem gehorsamen Diener sämmtlicher Kirchen,
namentlich der römisch-katholischen und einer nicht existirenden deutsch-evangelischen
gemacht werden; es hat mit dem adligen Feudalstaat seit Jahrhunderten so ent-
schieden gebrochen, wie kein anderes Königthum, und doch soll es wieder in den
Schoß des Feudalismus zurückkehren. Alle diese Anforderungen sind doch so
unhistorisch als möglich.

Es ist ein großes Unglück, daß eine Partei, die in den geschichtlichen Vor-
aussetzungen Preußens ihre volle Berechtigung hat, und die neben den andern
Factoren des Staats — dem altpreußischen, absolutistischen Beamten-Liberalismus
und der städtischen, beweglichen Demokratie ^) — ihre wesentliche Stelle ein¬
nehmen soll, daß die Partei des großen Grundbesitzes und des mit demselben
enge verknüpften militärischen Adels in die Hände einer Coterie gefallen ist, die
nichts weniger als preußisch, nichts weniger als historisch genannt werden kann.
Man weiß nicht, ob man sie mehr wegen der Mitwirkung eines Gerlach, oder eines
Ohm bedauern soll. Die letzte Species ist zwar eine Allianz, die der Partei
keine Ehre bringt, aber sie gehört doch nur zum dienenden Troß, zu der Canaille,
die man gebraucht, indem mau sie zugleich verachtet. Aber der „Nuudschauer"
und seiue Freunde siud uicht blos die Geschäftsträger, soudern die geistigen Führer
der Partei, und wenn man diese salbnngsreichen Bußpredigten, bei denen man
nie recht unterscheidet, wo säugt die Scheinheiligkeit an und wo die doctrinäre



*) Ich gebrauche diesen Ausdruck — um Vei dieser Gelegenheit Herrn von Manteuffel
zu corrigiren — nicht in dem historischen Sinn, wo er mehr eine Gemeinsamkeit der Per¬
sonen alö der Ideen ausdrückt, souderu in dem ursprünglichen und ideale», wo es sich er¬
gebe« wird, daß der bei Weitem größere Theil unserer Partei zur Demokratie gehört, und
eigentlich nichts anders darstellt, als den Verstand der Demokratie.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/516>, abgerufen am 22.07.2024.