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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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wehren vermocht hatte. DaS sollten die, welche so sehr gegen politische Eide
eifern, daneben aber ohne Unterlaß ans die "Schwäche" des März-Ministeriums
schelten, nicht unbeherzigt lassen.

Weiter hat man die übereilte Annahme der Grundrechte und der
Reichsverfassung getadelt. Die Annahme der erstern mit Vilmar's Volksfreund
aus "revolutionären Gelüsten" der März-Minister abzuleiten, ist eine ebenso
lächerliche als unwürdige Beschuldigung. Sie war eine einfache Folge des von
Vilmar selbst in bessern Tagen gepredigte" Grundsatzes der Unterordnllng linker
die verfassunggebende Nationalversammlung. Noch weniger Tadel verdient die
Annahme der Reichsverfassung, (deren Anerkennung sogar Vilmar für eine Pflicht
des Königs von Preußen erklärte) und, nachdem deren Unausführbarkeit erkannt
war, der Anschluß an das preußische Bündniß vom 26. Mai 1849. Es war
eine durchaus gesunde und nothwendige Politik, daß das kleine Hessen sich an
Frankfurt anlehnte, solange dort der Schwerpunkt der deutscheu Bewegung lag,
zumal da Oestreich und Prellßen selber damals keine Stütze bieten konnten; es
war ebenso natürlich, daß Hessen sich an Preußen anschloß, als der Schwerpunkt
der nationalen Bewegung von Frankfurt nach Berlin fortrückte. Auch Vilmar
(VolkSfr. 1849 Ur. 75) hat nicht umhin gekonnt, dies anzuerkennen, und Hassen-
pflng, wäre er uicht vom politischen Parteigeist verblendet, würde im Wesentlichen
keine andre auswärtige Politik für Kurheffsen eingeschlagen haben, als die vom
März-Ministerium überkommene. Der Fürst selbst aber wird es einst dem Münster
schlechten Dank wissen, daß ihn derselbe durch/Auflösung der Union aus einem
Bundesgenossen Preußens zu einem Vasallen der "Großmacht" Baiern erniedrigt hat.

Man hat endlich auch, uuter Hinwcisilng auf das noble Verhältniß Stüve'S
zu Ernst August, das persönliche Verhalten unsrer Minister, das Bloßstellen seiner
Person bei den Conflicten mit der Ständeversammlung, überhaupt deu Mangel an
Discretion getadelt. Wir geben zu, daß Manches, was vorgekommen ist, nur in
unsern AusuahmSzustäudeu seiue Entschuldigung finden kauu. Aber mau übersehe
auch uicht, daß Friedrich Wilhelm I. bekanntlich eine sehr schwer zu behandelnde
Persönlichkeit ist, dazu verwöhnt von den frühern Ministern, und daß er nicht, wie
Ernst August, die parlamentarische Schule Englands durchgemacht hat. Ueberdies
verdankte Stüve (der übrigens ^0 Mal um seine Entlassung eingekommen sein
soll!) die günstigere Stellung zum Monarchen hauptsächlich seinem zähen hanno-
verschen Particularismus, worin er völlig mit seinem König svmpathisirte. Unsre
hessischen März-Minister dagegen waren ächt denischgesinute Männer, welche als
solche die Souveränität deö KurstaateS der Souveränität des Gesammtvaterlandeö
pflichtgemäß unterordnen wollten, was freilich den Träger der Krone unangenehm
berühren mochte. Dennoch bleibt es ein höchst bedauerlicher Umstand, daß es
dem März-Ministerium, ungeachtet seiner großen Verdienste, nicht gelungen ist,
des Fürsten Vertrauen zu erwerben und seinem Volke wieder zuzuwenden. Denn


wehren vermocht hatte. DaS sollten die, welche so sehr gegen politische Eide
eifern, daneben aber ohne Unterlaß ans die „Schwäche" des März-Ministeriums
schelten, nicht unbeherzigt lassen.

Weiter hat man die übereilte Annahme der Grundrechte und der
Reichsverfassung getadelt. Die Annahme der erstern mit Vilmar's Volksfreund
aus „revolutionären Gelüsten" der März-Minister abzuleiten, ist eine ebenso
lächerliche als unwürdige Beschuldigung. Sie war eine einfache Folge des von
Vilmar selbst in bessern Tagen gepredigte« Grundsatzes der Unterordnllng linker
die verfassunggebende Nationalversammlung. Noch weniger Tadel verdient die
Annahme der Reichsverfassung, (deren Anerkennung sogar Vilmar für eine Pflicht
des Königs von Preußen erklärte) und, nachdem deren Unausführbarkeit erkannt
war, der Anschluß an das preußische Bündniß vom 26. Mai 1849. Es war
eine durchaus gesunde und nothwendige Politik, daß das kleine Hessen sich an
Frankfurt anlehnte, solange dort der Schwerpunkt der deutscheu Bewegung lag,
zumal da Oestreich und Prellßen selber damals keine Stütze bieten konnten; es
war ebenso natürlich, daß Hessen sich an Preußen anschloß, als der Schwerpunkt
der nationalen Bewegung von Frankfurt nach Berlin fortrückte. Auch Vilmar
(VolkSfr. 1849 Ur. 75) hat nicht umhin gekonnt, dies anzuerkennen, und Hassen-
pflng, wäre er uicht vom politischen Parteigeist verblendet, würde im Wesentlichen
keine andre auswärtige Politik für Kurheffsen eingeschlagen haben, als die vom
März-Ministerium überkommene. Der Fürst selbst aber wird es einst dem Münster
schlechten Dank wissen, daß ihn derselbe durch/Auflösung der Union aus einem
Bundesgenossen Preußens zu einem Vasallen der „Großmacht" Baiern erniedrigt hat.

Man hat endlich auch, uuter Hinwcisilng auf das noble Verhältniß Stüve'S
zu Ernst August, das persönliche Verhalten unsrer Minister, das Bloßstellen seiner
Person bei den Conflicten mit der Ständeversammlung, überhaupt deu Mangel an
Discretion getadelt. Wir geben zu, daß Manches, was vorgekommen ist, nur in
unsern AusuahmSzustäudeu seiue Entschuldigung finden kauu. Aber mau übersehe
auch uicht, daß Friedrich Wilhelm I. bekanntlich eine sehr schwer zu behandelnde
Persönlichkeit ist, dazu verwöhnt von den frühern Ministern, und daß er nicht, wie
Ernst August, die parlamentarische Schule Englands durchgemacht hat. Ueberdies
verdankte Stüve (der übrigens ^0 Mal um seine Entlassung eingekommen sein
soll!) die günstigere Stellung zum Monarchen hauptsächlich seinem zähen hanno-
verschen Particularismus, worin er völlig mit seinem König svmpathisirte. Unsre
hessischen März-Minister dagegen waren ächt denischgesinute Männer, welche als
solche die Souveränität deö KurstaateS der Souveränität des Gesammtvaterlandeö
pflichtgemäß unterordnen wollten, was freilich den Träger der Krone unangenehm
berühren mochte. Dennoch bleibt es ein höchst bedauerlicher Umstand, daß es
dem März-Ministerium, ungeachtet seiner großen Verdienste, nicht gelungen ist,
des Fürsten Vertrauen zu erwerben und seinem Volke wieder zuzuwenden. Denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/512>, abgerufen am 22.07.2024.