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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Gesetzen selbst im Interesse der Freiheit mehr das Gepräge des organischen
Fortschritts zu wünschen wäre. Aber vergesse man doch ja nicht, daß die Schuld
dieses unorganischen Fortschreitens weit mehr auf den vormärzlichen Stillstands-
Ministern, als ans den nachmärzlichen Fortschritts-Ministern ruht. Wäre z. B.
das schon im Jahr 1831 feierlich verheißene und nachher unzähligemal sollicitirte
Wildschadengesetz von Hassenpflug und seinen Nachfolgern nicht auf die unver¬
antwortlichste Weise zurückgehalten worden, so würden wir mit dem radicalen
Jagdgesetz verschont geblieben sein. Hätte Scheffer nicht die im §. 30 der
Verfassungs-Urkunde garantirte Freiheit der Religionsübung auf die brutalste Weise
unterdrückt, so würden wir im Jahr 1848 nicht ein R eil gio us gesetz erhalten
haben, welches, so zu sagen, das Kind mit dem Bade auszuschütten droht. Hätte
Scheffer uus uicht die Wohlthaten des christlich-germanischen Staates nach Stahl'scher
Theorie aufzudringen gesucht, so würde das März-Ministerium uns nicht, einem
abstracten Princip zu Liebe, mit dem Zwang der Civil-Ehe beglückt haben, welche,
abgesehen von andern Gründen, wegen der doppelten Weitläufigkeiten und Kosten
vom Volte mit großem Unwillen aufgenommen worden ist. Als Ausnahme war sie
gerechtfertigt; als Zwangsvorschrift ist sie uur eine veränderte Form der vormärz¬
lichen Tyrannei. Einen ähnlichen Verstoß gegen einen der ersten Grundsätze wahrer
Freiheit: "denesieia odlruclanwr" enthält die zwangsweise Aufhebung des
Lehus- und Meierverb ante-s, deren Ausführung nur langsam und theilweise
mit Widerstreben der Betheiligten vorschreitet und jedesfalls eine weitere Hinaus-
rückuug des dafür anberaumten Termines erheischen wird. Auch für mauche
radicale Bestimmungen dieses Gesetzes haften zunächst unsere früheren Stabilitäts¬
minister, insonderheit Hasseupflug, welche sich uicht entschließen konnten, das ver-
heißene Gesetz über die LehuS- und Meierverhältnisse zu rechter Zeit vorzulegen.
Bei der Beurtheilung der vom Volksfreund so oft und hart getadelten Eilfertigkeit,
womit das Märzministerinm viele wichtige Gesetze zu Staude brachte, vergesse mau
ferner uicht, daß ihm durch die uoch vou einem seiner Amtsvorgänger
unterzeichnete Proclam ation vom 7. März die Hände gebunden wa¬
ren, insofern die wichtigsten Reformen schon für die nächste Ständesitznng zu¬
gesagt waren. Auch drängte bei unsern bittern Erfahrungen, die wir über die
Auslegung deö Wörtleinö ,,alsbald" in der V.-U. gemacht hatten, Alles zur
Eile, um die Verheißungen in Sicherheit zu bringen; denn die Miuisterkrisiö war
schon seit Januar 1849 fast permanent geworden. Hätte man dein Ministerium
Zeit gegönnt, daß es selbst die bessernde Hand an seine scho'pfnngen legen konnte,
so würde Vieles, namentlich in der Justizverfassnng, im conservativen Sinne ge¬
ändert worden sein, wozu die Einleitungen bereits getroffen waren.

Man hat ferner behauptet, das Märzministerium habe trotz seiner äußerlich
feindseligen Stellung gegen die Demokratie fast nichts Anderes gethan, als daß es
Schritt vor Schritt eben dieser Demokratie ein Zugeständniß über das andere gemacht


Gesetzen selbst im Interesse der Freiheit mehr das Gepräge des organischen
Fortschritts zu wünschen wäre. Aber vergesse man doch ja nicht, daß die Schuld
dieses unorganischen Fortschreitens weit mehr auf den vormärzlichen Stillstands-
Ministern, als ans den nachmärzlichen Fortschritts-Ministern ruht. Wäre z. B.
das schon im Jahr 1831 feierlich verheißene und nachher unzähligemal sollicitirte
Wildschadengesetz von Hassenpflug und seinen Nachfolgern nicht auf die unver¬
antwortlichste Weise zurückgehalten worden, so würden wir mit dem radicalen
Jagdgesetz verschont geblieben sein. Hätte Scheffer nicht die im §. 30 der
Verfassungs-Urkunde garantirte Freiheit der Religionsübung auf die brutalste Weise
unterdrückt, so würden wir im Jahr 1848 nicht ein R eil gio us gesetz erhalten
haben, welches, so zu sagen, das Kind mit dem Bade auszuschütten droht. Hätte
Scheffer uus uicht die Wohlthaten des christlich-germanischen Staates nach Stahl'scher
Theorie aufzudringen gesucht, so würde das März-Ministerium uns nicht, einem
abstracten Princip zu Liebe, mit dem Zwang der Civil-Ehe beglückt haben, welche,
abgesehen von andern Gründen, wegen der doppelten Weitläufigkeiten und Kosten
vom Volte mit großem Unwillen aufgenommen worden ist. Als Ausnahme war sie
gerechtfertigt; als Zwangsvorschrift ist sie uur eine veränderte Form der vormärz¬
lichen Tyrannei. Einen ähnlichen Verstoß gegen einen der ersten Grundsätze wahrer
Freiheit: „denesieia odlruclanwr" enthält die zwangsweise Aufhebung des
Lehus- und Meierverb ante-s, deren Ausführung nur langsam und theilweise
mit Widerstreben der Betheiligten vorschreitet und jedesfalls eine weitere Hinaus-
rückuug des dafür anberaumten Termines erheischen wird. Auch für mauche
radicale Bestimmungen dieses Gesetzes haften zunächst unsere früheren Stabilitäts¬
minister, insonderheit Hasseupflug, welche sich uicht entschließen konnten, das ver-
heißene Gesetz über die LehuS- und Meierverhältnisse zu rechter Zeit vorzulegen.
Bei der Beurtheilung der vom Volksfreund so oft und hart getadelten Eilfertigkeit,
womit das Märzministerinm viele wichtige Gesetze zu Staude brachte, vergesse mau
ferner uicht, daß ihm durch die uoch vou einem seiner Amtsvorgänger
unterzeichnete Proclam ation vom 7. März die Hände gebunden wa¬
ren, insofern die wichtigsten Reformen schon für die nächste Ständesitznng zu¬
gesagt waren. Auch drängte bei unsern bittern Erfahrungen, die wir über die
Auslegung deö Wörtleinö ,,alsbald" in der V.-U. gemacht hatten, Alles zur
Eile, um die Verheißungen in Sicherheit zu bringen; denn die Miuisterkrisiö war
schon seit Januar 1849 fast permanent geworden. Hätte man dein Ministerium
Zeit gegönnt, daß es selbst die bessernde Hand an seine scho'pfnngen legen konnte,
so würde Vieles, namentlich in der Justizverfassnng, im conservativen Sinne ge¬
ändert worden sein, wozu die Einleitungen bereits getroffen waren.

Man hat ferner behauptet, das Märzministerium habe trotz seiner äußerlich
feindseligen Stellung gegen die Demokratie fast nichts Anderes gethan, als daß es
Schritt vor Schritt eben dieser Demokratie ein Zugeständniß über das andere gemacht


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[0506] Gesetzen selbst im Interesse der Freiheit mehr das Gepräge des organischen Fortschritts zu wünschen wäre. Aber vergesse man doch ja nicht, daß die Schuld dieses unorganischen Fortschreitens weit mehr auf den vormärzlichen Stillstands- Ministern, als ans den nachmärzlichen Fortschritts-Ministern ruht. Wäre z. B. das schon im Jahr 1831 feierlich verheißene und nachher unzähligemal sollicitirte Wildschadengesetz von Hassenpflug und seinen Nachfolgern nicht auf die unver¬ antwortlichste Weise zurückgehalten worden, so würden wir mit dem radicalen Jagdgesetz verschont geblieben sein. Hätte Scheffer nicht die im §. 30 der Verfassungs-Urkunde garantirte Freiheit der Religionsübung auf die brutalste Weise unterdrückt, so würden wir im Jahr 1848 nicht ein R eil gio us gesetz erhalten haben, welches, so zu sagen, das Kind mit dem Bade auszuschütten droht. Hätte Scheffer uus uicht die Wohlthaten des christlich-germanischen Staates nach Stahl'scher Theorie aufzudringen gesucht, so würde das März-Ministerium uns nicht, einem abstracten Princip zu Liebe, mit dem Zwang der Civil-Ehe beglückt haben, welche, abgesehen von andern Gründen, wegen der doppelten Weitläufigkeiten und Kosten vom Volte mit großem Unwillen aufgenommen worden ist. Als Ausnahme war sie gerechtfertigt; als Zwangsvorschrift ist sie uur eine veränderte Form der vormärz¬ lichen Tyrannei. Einen ähnlichen Verstoß gegen einen der ersten Grundsätze wahrer Freiheit: „denesieia odlruclanwr" enthält die zwangsweise Aufhebung des Lehus- und Meierverb ante-s, deren Ausführung nur langsam und theilweise mit Widerstreben der Betheiligten vorschreitet und jedesfalls eine weitere Hinaus- rückuug des dafür anberaumten Termines erheischen wird. Auch für mauche radicale Bestimmungen dieses Gesetzes haften zunächst unsere früheren Stabilitäts¬ minister, insonderheit Hasseupflug, welche sich uicht entschließen konnten, das ver- heißene Gesetz über die LehuS- und Meierverhältnisse zu rechter Zeit vorzulegen. Bei der Beurtheilung der vom Volksfreund so oft und hart getadelten Eilfertigkeit, womit das Märzministerinm viele wichtige Gesetze zu Staude brachte, vergesse mau ferner uicht, daß ihm durch die uoch vou einem seiner Amtsvorgänger unterzeichnete Proclam ation vom 7. März die Hände gebunden wa¬ ren, insofern die wichtigsten Reformen schon für die nächste Ständesitznng zu¬ gesagt waren. Auch drängte bei unsern bittern Erfahrungen, die wir über die Auslegung deö Wörtleinö ,,alsbald" in der V.-U. gemacht hatten, Alles zur Eile, um die Verheißungen in Sicherheit zu bringen; denn die Miuisterkrisiö war schon seit Januar 1849 fast permanent geworden. Hätte man dein Ministerium Zeit gegönnt, daß es selbst die bessernde Hand an seine scho'pfnngen legen konnte, so würde Vieles, namentlich in der Justizverfassnng, im conservativen Sinne ge¬ ändert worden sein, wozu die Einleitungen bereits getroffen waren. Man hat ferner behauptet, das Märzministerium habe trotz seiner äußerlich feindseligen Stellung gegen die Demokratie fast nichts Anderes gethan, als daß es Schritt vor Schritt eben dieser Demokratie ein Zugeständniß über das andere gemacht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/506>, abgerufen am 22.07.2024.