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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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rigsten Apathie, die ihm die Gegenwart als eine "Zeit der harte,: Prüfung"
erscheinen läßt, der zuverlässig eine bessere, eine Zeit der Neugeburt, eine Zeit
des höchsten Glückes folgen muß. Wie, und dnrch wen diese bessere Zeit her¬
beigeführt werdeu soll, dies bleibt der Phantasie überlassen, und diese ist nie um
Mittel und Personen verlegen. -- Natürlich spielt der kleine Manu mit den
großen blauen Angen und dem noch größern glühenden Herzen in dem kleinen
Städtchen in Kleinasien die Hauptrolle in diesem Feentraum, aber auch der sprö-
den Wollsacknatur in der Themsestadt, dein demokratischen Lord der europäischen
Diplomatie wird hier eine bedeutende Stelle angewiesen, und obwohl wir jetzt
zur Genüge überzeugt send, daß die Nachricht vou Kossuth's Flucht aus Kiutahia
ganz grundlos war, so fehlt es doch bei uns nicht an Mährchen, die die That¬
sache theils als dennoch geschehen, theils als im Angriff gewesen behandeln, und
ammenmäßig ausschmücken.

Unsere Regierung scheint mit diesem Zustande unsers Volkes überaus zu-
frieden zu sein, denn nicht nnr geschieht nichts von ihrer Seite, was den gesun¬
den Sinn des ungarischen Volkes aus diesem magnetischen Schlaf wecken könnte,
sondern viel, ja mehr als zu viel, was die Verzweiflung an der Gegenwart und
dadurch das Schwärmen in einer geträumten Zuk'ruft fördern muß. Die östrei¬
chische Regierung hat in dein Kampfe mit Ungarn ihr Alles, und nachdem dies
fast verloren war, dnrch die russische Hilfe auch ihre Ehre eingesetzt, und hat --
wie man wenigstens officiell zu sagen pflegt -- gewonnen; nun heißt es: aut.
(^esai-, aut nilül; entweder soll sich das geknebelte Ungarn in die 523 Para¬
graphen von Olmütz, und vor Allem in den leeren Staatssäckel Nenöstreichs
hineinzwängen lassen, oder es wird zum Aeußersten gereizt, und daun: vao
piceis!

Die Kanonen haben sich in der Nadicalcnr herrlich bewährt; doch als Palliativ¬
mittel gegen die Ideen verdient unstreitig der materielle Rinn eines Volkes vor
allem andern den Vorzug. Ungarn war nie reich alt barem Gelde. Unsere
Schätze lagen gezaubert in dem Schoße unseres feisten Bodens, und einer
nationalen, das Wohl Ungarns vor Allem berücksichtigenden Negierung war
es beschieden, diesen Zauber zu lösen und nnter den arbeitsamen Händen der
Staatsbürger zu vertheilen. Die kurze Dauer der ungarischen Regierung, und der
unselige Kampf, der ihre Kraft ausschließlich in Anspruch nahm, vereitelte diese
schönen Hoffnungen, und raubte uus einen großen Theil unseres liegenden Capi¬
tals. Die fruchtbarsten Gegenden unseres Landes siud entvölkert; Hunderttausende
der arbeitsamsten Hände raffte hin oder lähmte der Bürgerkrieg; der übriggeblie¬
bene Theil der kernigen Jugend, die zum größten Theil in der Iusurgeuteuarmee
gedient hatte, wurde vou deu Siegern als Beute betrachtet, und der in der nieder¬
gebrannten Hütte zurückgebliebene hilflose Familienvater hat jetzt vier- oder fünfmal
soviel an Steuern zu entrichten als früher in seinem höchsten Wohlstande. Grund-


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rigsten Apathie, die ihm die Gegenwart als eine „Zeit der harte,: Prüfung"
erscheinen läßt, der zuverlässig eine bessere, eine Zeit der Neugeburt, eine Zeit
des höchsten Glückes folgen muß. Wie, und dnrch wen diese bessere Zeit her¬
beigeführt werdeu soll, dies bleibt der Phantasie überlassen, und diese ist nie um
Mittel und Personen verlegen. — Natürlich spielt der kleine Manu mit den
großen blauen Angen und dem noch größern glühenden Herzen in dem kleinen
Städtchen in Kleinasien die Hauptrolle in diesem Feentraum, aber auch der sprö-
den Wollsacknatur in der Themsestadt, dein demokratischen Lord der europäischen
Diplomatie wird hier eine bedeutende Stelle angewiesen, und obwohl wir jetzt
zur Genüge überzeugt send, daß die Nachricht vou Kossuth's Flucht aus Kiutahia
ganz grundlos war, so fehlt es doch bei uns nicht an Mährchen, die die That¬
sache theils als dennoch geschehen, theils als im Angriff gewesen behandeln, und
ammenmäßig ausschmücken.

Unsere Regierung scheint mit diesem Zustande unsers Volkes überaus zu-
frieden zu sein, denn nicht nnr geschieht nichts von ihrer Seite, was den gesun¬
den Sinn des ungarischen Volkes aus diesem magnetischen Schlaf wecken könnte,
sondern viel, ja mehr als zu viel, was die Verzweiflung an der Gegenwart und
dadurch das Schwärmen in einer geträumten Zuk'ruft fördern muß. Die östrei¬
chische Regierung hat in dein Kampfe mit Ungarn ihr Alles, und nachdem dies
fast verloren war, dnrch die russische Hilfe auch ihre Ehre eingesetzt, und hat —
wie man wenigstens officiell zu sagen pflegt — gewonnen; nun heißt es: aut.
(^esai-, aut nilül; entweder soll sich das geknebelte Ungarn in die 523 Para¬
graphen von Olmütz, und vor Allem in den leeren Staatssäckel Nenöstreichs
hineinzwängen lassen, oder es wird zum Aeußersten gereizt, und daun: vao
piceis!

Die Kanonen haben sich in der Nadicalcnr herrlich bewährt; doch als Palliativ¬
mittel gegen die Ideen verdient unstreitig der materielle Rinn eines Volkes vor
allem andern den Vorzug. Ungarn war nie reich alt barem Gelde. Unsere
Schätze lagen gezaubert in dem Schoße unseres feisten Bodens, und einer
nationalen, das Wohl Ungarns vor Allem berücksichtigenden Negierung war
es beschieden, diesen Zauber zu lösen und nnter den arbeitsamen Händen der
Staatsbürger zu vertheilen. Die kurze Dauer der ungarischen Regierung, und der
unselige Kampf, der ihre Kraft ausschließlich in Anspruch nahm, vereitelte diese
schönen Hoffnungen, und raubte uus einen großen Theil unseres liegenden Capi¬
tals. Die fruchtbarsten Gegenden unseres Landes siud entvölkert; Hunderttausende
der arbeitsamsten Hände raffte hin oder lähmte der Bürgerkrieg; der übriggeblie¬
bene Theil der kernigen Jugend, die zum größten Theil in der Iusurgeuteuarmee
gedient hatte, wurde vou deu Siegern als Beute betrachtet, und der in der nieder¬
gebrannten Hütte zurückgebliebene hilflose Familienvater hat jetzt vier- oder fünfmal
soviel an Steuern zu entrichten als früher in seinem höchsten Wohlstande. Grund-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/499>, abgerufen am 22.07.2024.