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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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wollen, dient die Kriegsschule in Berlin, zur speciellen Ausbildung der verschie¬
denen Waffengattungen aber das Lehrbataillon in Potsdam und die Lehrschwa¬
dron in Berlin. Auch findet vielfach die Einrichtung statt, daß Jnfantrie- oder
Cavallerieofstciere auf Jahre zum Eintritt in die verschiedenen Waffengattungen
commandirt werden, damit sie den Dienst bei diesen auch kennen lernen. Ueber¬
haupt iwird wissenschaftliche Fortbildung der Officiere patronisirt, daher man
denn besonders bei der Artillerie und Iufautrie eine Menge Officiere findet, die
siclxspeciellmit einzelnen Fächern der Wissenschaften, besonders Geschichte, Geographie,
Naturwissenschaften, Mathematik u. s. w. beschäftigen und oft recht Tüchtiges
darin leisten. Auch mehrere geachtete Belletristen Deutschlands dienen noch in
der preußischen Armee, oder haben derselben angehört. Das Betragen der Offi-
ciere auch außer dem Dienst wird auf verschiedene Weise Ungemein streng über¬
wacht, und jede, auch die kleinste Nuehreuhaftigkeit zieht gewiß die Entlassung
aus dem Dienste nach sich. Vor dem Eintritt mißliebiger Persönlichkeiten in die
Officiersstellen sichert, daß jedes Officiercorps des Regiments darüber entscheiden muß,
ob es einen neuen Officier zum Kameraden aufnehmen will, so daß die Genehmigung
des Corps zum Eintritt erforderlich ist. Die befohlene Einrichtung, daß alle un-
verheiratheten Officiere eiues Regiments einen gemeinsamen Mittagstisch haben,
verbindet diese außer ihren dienstlichen Verhältnissen noch miteinander, wie auch
ein eigenes Ehrellgericht über das richtige oder falsche Verhalten jedes Officiers
des Regiments in allen Ehrellfällen zu entscheiden hat, welches Jeden, dessen
Benehmen es alsdann nicht billigt, zum Austritt aus dem Dienst veranlaßt. Ge¬
naue Couduiteulisteu, eine Einrichtung, die wir entschieden tadeln müssen, da
sie viel Gehässiges hat und oft gemißbraucht wird, werden außerdem von Seiten
der Vorgesetzten noch über jeden einzelnen Officier geführt. Wenn auch alle
diese Einrichtungen für Erhaltung des Standeögcisteö viel dazu beitragen, den
Sinn der strengsten Ehrenhaftigkeit und auch des gesitteten Betragens unter den
Officieren zu erhalten und manchen jungen, leichtsinnigen Menschen vor dem
Verderben gerettet haben, so können sie auf der andern Seite, besonders wenn
sie vou Vorgesetzten gemißbraucht werdeu, unnatürlichen Zwang und eine geistige
Sklaverei erzeugen, die freier denkenden und sich selbstständiger bewegenden Men¬
schen so unerträglich erscheinen muß, daß sie ihren Austritt aus der Armee vor-
ziehen. So siud manche sollst ehrenhafte, tüchtige und dabei geistig hochgebildete
Männer gerade aus Opposition gegen diese beständige, oft engherzige Ueberwachung
aus dem Heere ausgeschieden, und dann später aus persönlichen Groll gegell das
Bestehende und verletzter Selbstliebe, bisweilen auch um sich den pecuniairen
Unterhalt zu verdienen, zu den extremsten politischen Richtungen übergegangen.
Viele Führer der letzten politischen Unruhen in Deutschland, z. B. Willich, Un-
reale, v. Schimmelpfennig, Graf Görtz-Welsberg, Convin-Wierbitzky, v. Born-
sted und noch viele andere, sind frühere preußische Officiere, die größtenteils


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wollen, dient die Kriegsschule in Berlin, zur speciellen Ausbildung der verschie¬
denen Waffengattungen aber das Lehrbataillon in Potsdam und die Lehrschwa¬
dron in Berlin. Auch findet vielfach die Einrichtung statt, daß Jnfantrie- oder
Cavallerieofstciere auf Jahre zum Eintritt in die verschiedenen Waffengattungen
commandirt werden, damit sie den Dienst bei diesen auch kennen lernen. Ueber¬
haupt iwird wissenschaftliche Fortbildung der Officiere patronisirt, daher man
denn besonders bei der Artillerie und Iufautrie eine Menge Officiere findet, die
siclxspeciellmit einzelnen Fächern der Wissenschaften, besonders Geschichte, Geographie,
Naturwissenschaften, Mathematik u. s. w. beschäftigen und oft recht Tüchtiges
darin leisten. Auch mehrere geachtete Belletristen Deutschlands dienen noch in
der preußischen Armee, oder haben derselben angehört. Das Betragen der Offi-
ciere auch außer dem Dienst wird auf verschiedene Weise Ungemein streng über¬
wacht, und jede, auch die kleinste Nuehreuhaftigkeit zieht gewiß die Entlassung
aus dem Dienste nach sich. Vor dem Eintritt mißliebiger Persönlichkeiten in die
Officiersstellen sichert, daß jedes Officiercorps des Regiments darüber entscheiden muß,
ob es einen neuen Officier zum Kameraden aufnehmen will, so daß die Genehmigung
des Corps zum Eintritt erforderlich ist. Die befohlene Einrichtung, daß alle un-
verheiratheten Officiere eiues Regiments einen gemeinsamen Mittagstisch haben,
verbindet diese außer ihren dienstlichen Verhältnissen noch miteinander, wie auch
ein eigenes Ehrellgericht über das richtige oder falsche Verhalten jedes Officiers
des Regiments in allen Ehrellfällen zu entscheiden hat, welches Jeden, dessen
Benehmen es alsdann nicht billigt, zum Austritt aus dem Dienst veranlaßt. Ge¬
naue Couduiteulisteu, eine Einrichtung, die wir entschieden tadeln müssen, da
sie viel Gehässiges hat und oft gemißbraucht wird, werden außerdem von Seiten
der Vorgesetzten noch über jeden einzelnen Officier geführt. Wenn auch alle
diese Einrichtungen für Erhaltung des Standeögcisteö viel dazu beitragen, den
Sinn der strengsten Ehrenhaftigkeit und auch des gesitteten Betragens unter den
Officieren zu erhalten und manchen jungen, leichtsinnigen Menschen vor dem
Verderben gerettet haben, so können sie auf der andern Seite, besonders wenn
sie vou Vorgesetzten gemißbraucht werdeu, unnatürlichen Zwang und eine geistige
Sklaverei erzeugen, die freier denkenden und sich selbstständiger bewegenden Men¬
schen so unerträglich erscheinen muß, daß sie ihren Austritt aus der Armee vor-
ziehen. So siud manche sollst ehrenhafte, tüchtige und dabei geistig hochgebildete
Männer gerade aus Opposition gegen diese beständige, oft engherzige Ueberwachung
aus dem Heere ausgeschieden, und dann später aus persönlichen Groll gegell das
Bestehende und verletzter Selbstliebe, bisweilen auch um sich den pecuniairen
Unterhalt zu verdienen, zu den extremsten politischen Richtungen übergegangen.
Viele Führer der letzten politischen Unruhen in Deutschland, z. B. Willich, Un-
reale, v. Schimmelpfennig, Graf Görtz-Welsberg, Convin-Wierbitzky, v. Born-
sted und noch viele andere, sind frühere preußische Officiere, die größtenteils


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/475>, abgerufen am 22.07.2024.