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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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ist im Allgemeinen drei Jahr in der Linie und dann bis zum vollendeten zwei-
unddreißigstcn Jahr bei der Landwehr ersten Aufgebotes. Durch die große Zahl
der Dienstpflichtigen, die bei der steigenden Bevölkerung alljährlich sehr wächst,
hat sich aber herausgestellt, daß man bei der Infanterie die Leute größtentheils schon
mit 2V2, ja oft schon mit zwei Jahren, in welchem Zeitraum ein Infanterist
vollkommen ausgebildet werden kann, wieder entläßt. Um den höher Gebildeten,
in deren Leben eine längere Dienstzeit oft sehr störend einwirken könnte, ihre
Dienstpflicht zu erleichtern, hat man die Classe der sogenannten "einjährigen
Freiwilligen" eingerichtet. Jeder junge Mann, der durch ein Schulzeuguiß oder
Examen seiue höhere geistige Ausbildung nachzuweisen vermag (ungefähr Secunda
der Gymnasien), kann bei sonst geeigneter Körperbeschaffenheit als Freiwilliger in
ein beliebiges Corps eintreten. Er muß in diesem Fall seiue Uniform und Waffen
dem Staate nach den etatsmäßigen Preisen bezahlen und auf alle Löhnung und
sonstige Verpflegung verzichten, kommt aber dafür in der Linie mit einer Dienstzeit
von 12 Monaten frei, nach welcher er in die Landwehr eintritt. Diese Frei¬
willigen erhalten zur Auszeichnung eine Einfassung der Achselklappen mit einer
dünnen schwarz und weißen Schnur, haben aber sonst nicht den mindesten Vorzug
vor deu audern Soldaten, außer daß ihnen gestattet ist, den Wachtdienst und
ähnlichen derartigen Dienst, wenn sie solchen erst einigemal gethan haben, für
Geld von andern Soldaten thun zu lassen, falls sich dazu welche bereitwillig fin¬
den. Gewöhnlich benutzen die Studenten, Polytechniker, junge Landwirthe u. s. w.
das erste Jahr ihrer Studirzeit, um zugleich ihre Militärpflicht zu erfüllen, und
man sieht daher in den Hörsälen der preußischen Universitäten und derartigen
Anstalten stets viele junge in Uniform gekleidete Leute sitzen, die ihre dienstfreien
Stunden zum Fortstndiren anwenden. Gewöhnlich sind daher auch in Univer¬
sitätsstädten, z. B. Greifswald, Breslau, Halle, Berlin, Königsberg, Bonn, Jäger¬
oder Füsilierbataillone in Garnison gelegt, da die jungen Freiwilligen sich vorzugs¬
weise gern dem Dienst der leichten Infanterie zu widmen pflegen. Das sogenannte
"Neufchateller Schützenbataillon" in Berlin bestand fast stets zur Hälfte aus ein¬
jährigen Freiwilligen, die dabei in Berlin die Universität oder andere Bildungs¬
anstalten besuchten. Da der Militärdienst in Preußen alle waffenfähigen Männer
ohne Ausnahme trifft, so ist er sür den Einzelnen lange nicht so störend und in
seinem bürgerlichen Fortkommen hindernd, als es sonst der Fall sein würde.

Das zweite Fundament des preußischen Heeres nächst dieser allgemeinen
Dienstpflicht gründeten die Reformatoren des Staats dadurch, daß sie deu Sinn
der Ehre unter den Soldaten möglichst zu erwecken suchten. Hierauf gingen die
vorzüglichen Bestimmungen der Jahre 1807--1815 ganz besonders aus, und wenn
auch in der folgenden Zeit, von 1820--18-40, wo der russische Einfluß wie ein böser
Fluch auf Preußen lag, ein Stillstand, ja selbst ein Rückschritt eintrat, so ist
doch im letzten Jahr wieder mancher Fortschritt gemacht, wozu wir besonders


ist im Allgemeinen drei Jahr in der Linie und dann bis zum vollendeten zwei-
unddreißigstcn Jahr bei der Landwehr ersten Aufgebotes. Durch die große Zahl
der Dienstpflichtigen, die bei der steigenden Bevölkerung alljährlich sehr wächst,
hat sich aber herausgestellt, daß man bei der Infanterie die Leute größtentheils schon
mit 2V2, ja oft schon mit zwei Jahren, in welchem Zeitraum ein Infanterist
vollkommen ausgebildet werden kann, wieder entläßt. Um den höher Gebildeten,
in deren Leben eine längere Dienstzeit oft sehr störend einwirken könnte, ihre
Dienstpflicht zu erleichtern, hat man die Classe der sogenannten „einjährigen
Freiwilligen" eingerichtet. Jeder junge Mann, der durch ein Schulzeuguiß oder
Examen seiue höhere geistige Ausbildung nachzuweisen vermag (ungefähr Secunda
der Gymnasien), kann bei sonst geeigneter Körperbeschaffenheit als Freiwilliger in
ein beliebiges Corps eintreten. Er muß in diesem Fall seiue Uniform und Waffen
dem Staate nach den etatsmäßigen Preisen bezahlen und auf alle Löhnung und
sonstige Verpflegung verzichten, kommt aber dafür in der Linie mit einer Dienstzeit
von 12 Monaten frei, nach welcher er in die Landwehr eintritt. Diese Frei¬
willigen erhalten zur Auszeichnung eine Einfassung der Achselklappen mit einer
dünnen schwarz und weißen Schnur, haben aber sonst nicht den mindesten Vorzug
vor deu audern Soldaten, außer daß ihnen gestattet ist, den Wachtdienst und
ähnlichen derartigen Dienst, wenn sie solchen erst einigemal gethan haben, für
Geld von andern Soldaten thun zu lassen, falls sich dazu welche bereitwillig fin¬
den. Gewöhnlich benutzen die Studenten, Polytechniker, junge Landwirthe u. s. w.
das erste Jahr ihrer Studirzeit, um zugleich ihre Militärpflicht zu erfüllen, und
man sieht daher in den Hörsälen der preußischen Universitäten und derartigen
Anstalten stets viele junge in Uniform gekleidete Leute sitzen, die ihre dienstfreien
Stunden zum Fortstndiren anwenden. Gewöhnlich sind daher auch in Univer¬
sitätsstädten, z. B. Greifswald, Breslau, Halle, Berlin, Königsberg, Bonn, Jäger¬
oder Füsilierbataillone in Garnison gelegt, da die jungen Freiwilligen sich vorzugs¬
weise gern dem Dienst der leichten Infanterie zu widmen pflegen. Das sogenannte
„Neufchateller Schützenbataillon" in Berlin bestand fast stets zur Hälfte aus ein¬
jährigen Freiwilligen, die dabei in Berlin die Universität oder andere Bildungs¬
anstalten besuchten. Da der Militärdienst in Preußen alle waffenfähigen Männer
ohne Ausnahme trifft, so ist er sür den Einzelnen lange nicht so störend und in
seinem bürgerlichen Fortkommen hindernd, als es sonst der Fall sein würde.

Das zweite Fundament des preußischen Heeres nächst dieser allgemeinen
Dienstpflicht gründeten die Reformatoren des Staats dadurch, daß sie deu Sinn
der Ehre unter den Soldaten möglichst zu erwecken suchten. Hierauf gingen die
vorzüglichen Bestimmungen der Jahre 1807—1815 ganz besonders aus, und wenn
auch in der folgenden Zeit, von 1820—18-40, wo der russische Einfluß wie ein böser
Fluch auf Preußen lag, ein Stillstand, ja selbst ein Rückschritt eintrat, so ist
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/471>, abgerufen am 22.07.2024.