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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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daß Niemand über die Schanzen wegsehen sollte, wurde milder gehandhabt, zumal
wir dnrch Erfahrung gelernt hatten, daß, wenn man drüben den Blitz aufschlagen
sah, vor Ankunft der Kugel uoch immer Zeit genug zur Deckung hinter unserer
Schanze war. So hatten wir in unserer Sicherheit freilich gut Lachen über die
Jnfanteristen, welche der Artillerie auf kleinen Schubkarren Munition zufahren
mußten und gar wunderliche Sprünge auf der ungedeckten Chaussee machten, so
oft sie eine Kugel im Anzüge glaubten. Es bedürfte einer laugen Unterhandlung
ihres Führers, eiues Unterofficiers mit märkischen Dialekt, bis er sie wieder ans
unseren sichernden Schanzen ans den Rückweg herausgetrieben hatte. Und auch
dann noch konnten unsere Jäger sich nicht enthalten, ihnen noch einigemal ein "se
kümmt" nachzurufen, und dadurch die geängstigten Burschen wieder in den Graben
zurückzutreiben, bis ihr Unterofficier, der mit ruhigem Pathos von der Chaussee aus
Vorlesungen über den Muth hielt, sie mit der Drohung weiter schaffte, er werde
sie zur Strafwache in sein schon geöffnetes Buch notiren. Anders benahmen sich
die zahlreichen ans den vor uns liegenden Wiesen weidenden Ochsen. Sie schienen
sich schon an den Geschützkampf während der letzten Tage gewöhnt zu haben, denn
während doch die Leichen einzelner von ihnen am Boden lagen, gingen sie ihrer
höhern Bestimmung eingedenk, noch diesen Herbst fett zu werden, ruhig auf ihrer
Ferne umher und fraßen die saftigen Marschgräser ab. Nur wenn eine Kugel
dicht bei ihnen vorbei sauste, schauten sie verwundert ans, und ein ängstliches
Gebrüll zeigte, daß auch ihnen ein ahuendes Herz im Busen schlug. Den Tag
vorher war es einem muthigen Bauer aus entferntem Dorfe mit Hilfe einiger
Soldaten gelungen, seiue Ochsen, die unmittbelar unter den feindlichen Kanonen
weideten, fortzutreiben und in Sicherheit zu bringen. Viele Hundert dagegen
gingen noch immer in dem gefährlichen Terrain und hatten keine Aussicht aus
eine Rettung, da sie meist Leuten aus entfernten Gegenden angehörten, und das
letzte Jahr, ehe sie zum Schlachten verkauft werden sollen, hierher auf diese setten
Weiden geschickt waren, wo sie gegen Zahlung eiues Miethpreises, ohne daß man
sich weiter um sie kümmert, einen ganzen Sommer ans ihrer Ferne gehen. Mit
einem solchen Ochsen geht jedesmal ein Capital von 90, 100 und mehr Thalern
verloren.

Unsere Nachbarn, die 24pfündiger Kanonen, wirkten gewaltig und arbeiteten
mit einer Batterie auf dem Treenedeich, einer auf dem Eiderdeich, den ans der
Eider liegenden Kanonenböten und den vielen Geschützen ans dem jenseitigen Ufer
um die Wette. Gegen Mittag verstummten die uns gegenüber bei dem großen
Blockhause aufgestellten dänischen Geschütze. Bald darauf kam vou der Tann mit
einigen begleitenden Officieren langsam auf der Chaussee herausgeritteu, hielt bei
uuserer Schauze an und rief uns lustig zu: "Nicht wahr, Jäger, hier ist es besser
als in Duvenstädt? (Dort hatten wir seither gelegen.) Seht Euch hier nur die
Gegend recht an; es ist grade ein guter Augenblick, unsere Bomben haben die


daß Niemand über die Schanzen wegsehen sollte, wurde milder gehandhabt, zumal
wir dnrch Erfahrung gelernt hatten, daß, wenn man drüben den Blitz aufschlagen
sah, vor Ankunft der Kugel uoch immer Zeit genug zur Deckung hinter unserer
Schanze war. So hatten wir in unserer Sicherheit freilich gut Lachen über die
Jnfanteristen, welche der Artillerie auf kleinen Schubkarren Munition zufahren
mußten und gar wunderliche Sprünge auf der ungedeckten Chaussee machten, so
oft sie eine Kugel im Anzüge glaubten. Es bedürfte einer laugen Unterhandlung
ihres Führers, eiues Unterofficiers mit märkischen Dialekt, bis er sie wieder ans
unseren sichernden Schanzen ans den Rückweg herausgetrieben hatte. Und auch
dann noch konnten unsere Jäger sich nicht enthalten, ihnen noch einigemal ein „se
kümmt" nachzurufen, und dadurch die geängstigten Burschen wieder in den Graben
zurückzutreiben, bis ihr Unterofficier, der mit ruhigem Pathos von der Chaussee aus
Vorlesungen über den Muth hielt, sie mit der Drohung weiter schaffte, er werde
sie zur Strafwache in sein schon geöffnetes Buch notiren. Anders benahmen sich
die zahlreichen ans den vor uns liegenden Wiesen weidenden Ochsen. Sie schienen
sich schon an den Geschützkampf während der letzten Tage gewöhnt zu haben, denn
während doch die Leichen einzelner von ihnen am Boden lagen, gingen sie ihrer
höhern Bestimmung eingedenk, noch diesen Herbst fett zu werden, ruhig auf ihrer
Ferne umher und fraßen die saftigen Marschgräser ab. Nur wenn eine Kugel
dicht bei ihnen vorbei sauste, schauten sie verwundert ans, und ein ängstliches
Gebrüll zeigte, daß auch ihnen ein ahuendes Herz im Busen schlug. Den Tag
vorher war es einem muthigen Bauer aus entferntem Dorfe mit Hilfe einiger
Soldaten gelungen, seiue Ochsen, die unmittbelar unter den feindlichen Kanonen
weideten, fortzutreiben und in Sicherheit zu bringen. Viele Hundert dagegen
gingen noch immer in dem gefährlichen Terrain und hatten keine Aussicht aus
eine Rettung, da sie meist Leuten aus entfernten Gegenden angehörten, und das
letzte Jahr, ehe sie zum Schlachten verkauft werden sollen, hierher auf diese setten
Weiden geschickt waren, wo sie gegen Zahlung eiues Miethpreises, ohne daß man
sich weiter um sie kümmert, einen ganzen Sommer ans ihrer Ferne gehen. Mit
einem solchen Ochsen geht jedesmal ein Capital von 90, 100 und mehr Thalern
verloren.

Unsere Nachbarn, die 24pfündiger Kanonen, wirkten gewaltig und arbeiteten
mit einer Batterie auf dem Treenedeich, einer auf dem Eiderdeich, den ans der
Eider liegenden Kanonenböten und den vielen Geschützen ans dem jenseitigen Ufer
um die Wette. Gegen Mittag verstummten die uns gegenüber bei dem großen
Blockhause aufgestellten dänischen Geschütze. Bald darauf kam vou der Tann mit
einigen begleitenden Officieren langsam auf der Chaussee herausgeritteu, hielt bei
uuserer Schauze an und rief uns lustig zu: „Nicht wahr, Jäger, hier ist es besser
als in Duvenstädt? (Dort hatten wir seither gelegen.) Seht Euch hier nur die
Gegend recht an; es ist grade ein guter Augenblick, unsere Bomben haben die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/461>, abgerufen am 22.07.2024.