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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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freundlich drein, und der unerwartete Rasttag nach den einförmigen Strapazen
der letzten Tage entfaltete den ganzen naiven Humor unserer Schleswig-Holsteiner.
Gaben doch die einzelnen dänischen Posten, die drüben am andern User des über¬
schwemmten Terrains uns beobachteten, reiche Ausbeute, und wenn auch nur die
schärfsten Augen sie erkennen konnten, so wurden doch manche spaßhafte Auöfor-
deruugeu an "Hauemann" und "Landsmann" erlassen.

"Wir werden doch nicht hier wieder als Reserve liegen bleiben?" frugen des
Nachmittags ängstliche Stimmen, "da uns dies Schicksal schon seit Monaten bei
allen Gefechten getroffen und mißmuthig gemacht hat." Die langen Wagenreihen
mit Strauchwerk, die durch das Dorf kamen, die vielfachen Requisitionen, bald von
Leitern, bald vou Wagengestellen und dergleichen, die im Dorfe gemacht wurden,
deuteten auf eiuen nahen Sturm und erhöhten unsere Unruhe. Da kommt unser
Hauptmann, der eben vor das Dorf geritten ist, im Galopp zurückgespreugt, ihm
folgt ein Adjutant, und wir hören, wie letzterer uuserem Abtheiluugscommandeur
den Befehl überbringt, möglichst schnell mit der Abtheilung uach Friedrichstadt zu
marschiren. Noch war nicht das erste Allarmsignal geblasen, da jagten unsere braven
Jäger, denen die eilige Ankunft des Adjutanten genug gesagt hatte, mit vollem
Gepäck auf den Allarmplatz und in unglaublich kurzer Zeit war Alles zum Ab¬
marsch fertig. An dem Kampfplatze vorbei, wo im Anfang des Septembers zwei
Compagnien des ersten Jägercorps unter Hauptmann Schöning einen Sieg über
eine bedeutende Uebermacht erfochten, und wo noch die, wie ein Kartenblatt durch¬
löcherte große holländische Mühle als trauriges Wahrzeichen stand, zogen wir im
raschen Schritt nach Seeth, dem letzten Dorfe vor Friedrichstadt, an demselben
Abhang wie Norderstapel belegen. Hier concentrirten sich schon seit Wochen die
zahlreichen zu dieser Expedition herbeigezogenen Bataillone und hatten jeden
Winkel in diesem großen Dorfe, der ein nothdürftiges Obdach bieten konnte, be¬
legt. Mit Gesang ging es durch das Dorf, trotz dem Wege, der, obwohl hente
neu mit Stroh bedeckt, doch grundlose Stellen bot, welche jeden geordneten Marsch
unmöglich machten. Scenen, wie man sie hier stets sieht, wenn sich Bataillone,
die lange von einander entfernt gewesen sind, auf dem Marsche begegnen, wieder¬
holten sich und zerrissen sast den Zusammenhang der Colonnen. Dort sieht Einer
seinen lang entbehrten Bruder, ein Anderer den Nachbar ans der Heimath, ein
Dritter den alten Schul- und Universitätsfreund, und die Gemüthlichkeit geht mit
der Disciplin durch. Ein bunter Knäuel von Soldaten aller Waffengattungen
bildete sich um uns, so lange wir durch das Dorf zogen; aber schnell war die
Ordnung hergestellt, als wir jenseits ans einer an der Chaussee liegenden Koppel
aufmarschirten. Die Gewehre wurden zusammengestellt, und wir warteten der
Dinge, die da kommen sollten.

Es war inzwischen ganz Nacht geworden; die Marschen entwickelten ihre
weißen dichten Nebel, durch welche bald die rothen Flammen verdeckt wurden, die


freundlich drein, und der unerwartete Rasttag nach den einförmigen Strapazen
der letzten Tage entfaltete den ganzen naiven Humor unserer Schleswig-Holsteiner.
Gaben doch die einzelnen dänischen Posten, die drüben am andern User des über¬
schwemmten Terrains uns beobachteten, reiche Ausbeute, und wenn auch nur die
schärfsten Augen sie erkennen konnten, so wurden doch manche spaßhafte Auöfor-
deruugeu an „Hauemann" und „Landsmann" erlassen.

„Wir werden doch nicht hier wieder als Reserve liegen bleiben?" frugen des
Nachmittags ängstliche Stimmen, „da uns dies Schicksal schon seit Monaten bei
allen Gefechten getroffen und mißmuthig gemacht hat." Die langen Wagenreihen
mit Strauchwerk, die durch das Dorf kamen, die vielfachen Requisitionen, bald von
Leitern, bald vou Wagengestellen und dergleichen, die im Dorfe gemacht wurden,
deuteten auf eiuen nahen Sturm und erhöhten unsere Unruhe. Da kommt unser
Hauptmann, der eben vor das Dorf geritten ist, im Galopp zurückgespreugt, ihm
folgt ein Adjutant, und wir hören, wie letzterer uuserem Abtheiluugscommandeur
den Befehl überbringt, möglichst schnell mit der Abtheilung uach Friedrichstadt zu
marschiren. Noch war nicht das erste Allarmsignal geblasen, da jagten unsere braven
Jäger, denen die eilige Ankunft des Adjutanten genug gesagt hatte, mit vollem
Gepäck auf den Allarmplatz und in unglaublich kurzer Zeit war Alles zum Ab¬
marsch fertig. An dem Kampfplatze vorbei, wo im Anfang des Septembers zwei
Compagnien des ersten Jägercorps unter Hauptmann Schöning einen Sieg über
eine bedeutende Uebermacht erfochten, und wo noch die, wie ein Kartenblatt durch¬
löcherte große holländische Mühle als trauriges Wahrzeichen stand, zogen wir im
raschen Schritt nach Seeth, dem letzten Dorfe vor Friedrichstadt, an demselben
Abhang wie Norderstapel belegen. Hier concentrirten sich schon seit Wochen die
zahlreichen zu dieser Expedition herbeigezogenen Bataillone und hatten jeden
Winkel in diesem großen Dorfe, der ein nothdürftiges Obdach bieten konnte, be¬
legt. Mit Gesang ging es durch das Dorf, trotz dem Wege, der, obwohl hente
neu mit Stroh bedeckt, doch grundlose Stellen bot, welche jeden geordneten Marsch
unmöglich machten. Scenen, wie man sie hier stets sieht, wenn sich Bataillone,
die lange von einander entfernt gewesen sind, auf dem Marsche begegnen, wieder¬
holten sich und zerrissen sast den Zusammenhang der Colonnen. Dort sieht Einer
seinen lang entbehrten Bruder, ein Anderer den Nachbar ans der Heimath, ein
Dritter den alten Schul- und Universitätsfreund, und die Gemüthlichkeit geht mit
der Disciplin durch. Ein bunter Knäuel von Soldaten aller Waffengattungen
bildete sich um uns, so lange wir durch das Dorf zogen; aber schnell war die
Ordnung hergestellt, als wir jenseits ans einer an der Chaussee liegenden Koppel
aufmarschirten. Die Gewehre wurden zusammengestellt, und wir warteten der
Dinge, die da kommen sollten.

Es war inzwischen ganz Nacht geworden; die Marschen entwickelten ihre
weißen dichten Nebel, durch welche bald die rothen Flammen verdeckt wurden, die


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[0458] freundlich drein, und der unerwartete Rasttag nach den einförmigen Strapazen der letzten Tage entfaltete den ganzen naiven Humor unserer Schleswig-Holsteiner. Gaben doch die einzelnen dänischen Posten, die drüben am andern User des über¬ schwemmten Terrains uns beobachteten, reiche Ausbeute, und wenn auch nur die schärfsten Augen sie erkennen konnten, so wurden doch manche spaßhafte Auöfor- deruugeu an „Hauemann" und „Landsmann" erlassen. „Wir werden doch nicht hier wieder als Reserve liegen bleiben?" frugen des Nachmittags ängstliche Stimmen, „da uns dies Schicksal schon seit Monaten bei allen Gefechten getroffen und mißmuthig gemacht hat." Die langen Wagenreihen mit Strauchwerk, die durch das Dorf kamen, die vielfachen Requisitionen, bald von Leitern, bald vou Wagengestellen und dergleichen, die im Dorfe gemacht wurden, deuteten auf eiuen nahen Sturm und erhöhten unsere Unruhe. Da kommt unser Hauptmann, der eben vor das Dorf geritten ist, im Galopp zurückgespreugt, ihm folgt ein Adjutant, und wir hören, wie letzterer uuserem Abtheiluugscommandeur den Befehl überbringt, möglichst schnell mit der Abtheilung uach Friedrichstadt zu marschiren. Noch war nicht das erste Allarmsignal geblasen, da jagten unsere braven Jäger, denen die eilige Ankunft des Adjutanten genug gesagt hatte, mit vollem Gepäck auf den Allarmplatz und in unglaublich kurzer Zeit war Alles zum Ab¬ marsch fertig. An dem Kampfplatze vorbei, wo im Anfang des Septembers zwei Compagnien des ersten Jägercorps unter Hauptmann Schöning einen Sieg über eine bedeutende Uebermacht erfochten, und wo noch die, wie ein Kartenblatt durch¬ löcherte große holländische Mühle als trauriges Wahrzeichen stand, zogen wir im raschen Schritt nach Seeth, dem letzten Dorfe vor Friedrichstadt, an demselben Abhang wie Norderstapel belegen. Hier concentrirten sich schon seit Wochen die zahlreichen zu dieser Expedition herbeigezogenen Bataillone und hatten jeden Winkel in diesem großen Dorfe, der ein nothdürftiges Obdach bieten konnte, be¬ legt. Mit Gesang ging es durch das Dorf, trotz dem Wege, der, obwohl hente neu mit Stroh bedeckt, doch grundlose Stellen bot, welche jeden geordneten Marsch unmöglich machten. Scenen, wie man sie hier stets sieht, wenn sich Bataillone, die lange von einander entfernt gewesen sind, auf dem Marsche begegnen, wieder¬ holten sich und zerrissen sast den Zusammenhang der Colonnen. Dort sieht Einer seinen lang entbehrten Bruder, ein Anderer den Nachbar ans der Heimath, ein Dritter den alten Schul- und Universitätsfreund, und die Gemüthlichkeit geht mit der Disciplin durch. Ein bunter Knäuel von Soldaten aller Waffengattungen bildete sich um uns, so lange wir durch das Dorf zogen; aber schnell war die Ordnung hergestellt, als wir jenseits ans einer an der Chaussee liegenden Koppel aufmarschirten. Die Gewehre wurden zusammengestellt, und wir warteten der Dinge, die da kommen sollten. Es war inzwischen ganz Nacht geworden; die Marschen entwickelten ihre weißen dichten Nebel, durch welche bald die rothen Flammen verdeckt wurden, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/458>, abgerufen am 22.07.2024.