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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Aus der Affaire von Friedrichstadt.

Unsere Iägerabtheiluug war Abends in tiefer Dunkelheit nach ermüdendem
Marsche von der Ostseite des Landes her in Norderstapcl, eine Stunde von
Friedrichstadt angekommen. Unterwegs hatten wir aus dem lauter ertönender
Donner des schweren Geschützes und aus der am dunkeln Westhimmel höher auf¬
steigenden rothen Feuergluth mit Freuden bemerkt, daß wir dem Ort des Treffens
näher gekommen waren. Ein dichter Nebel machte am nächsten Morgen jeden
Blick nach Friedrichstadt unmöglich; aber als die Sonne durchbrach, sammelten sich
an jedem Punkt, der eine Aussicht gewährte, Gruppen von Jägern, die alle hin¬
über schauten uach dem Orte, dnrch dessen Eroberung sie den Schlüssel zur ganzen
feindlichen Stellung zu erreichen hofften.

Norderstapel liegt an dem nord-westlichen sanften Abfall eines Sandrückens,
der sich bis nahe an die Eider von Norden her heranzieht, an dem die frucht¬
bare Marsch, welche sich um beide Ufer der Treene abgelagert hat, anlehnt. Diese
Marsch, etwa Meile breit, rechts und links von den wohlhabendsten Dörfern
und Höfen begrenzt, war durch die Aufstauung des hier ziemlich wasserhaltigen
Flusses bei Friedrichstadt vou Seite" der Dänen gänzlich überschwemmt und die
weiten Wiesenflächen, die sonst mit ihrem herrlichen Weidevieh den Stolz und
die einzige aber sehr ergiebige Nahrungsquelle der Gegend ausmachten, waren
schon seit Monatew in einen weiten häßlichen Wasserpfuhl verwandelt. Nur die
vielfach hervorragenden Ständer und Pforten, welche früher den einzigen Ueber¬
gang zu den rings mit tiefen Gräben umgebenen Feldern, hier Ferner genannt,
verschlossen hatten, zeugte" von der verschwundenen Pracht, die sonst hier in den:
Kleinod der ganzen Gegend gewesen war. Den Schluß dieser Wasserwüste bil¬
dete uach Süden hin ein Ort mit zwei großen schlanken Thürmen und freund¬
lichen rothen Dächern, um die sich jedoch einzelne weißgraue Wolkensäulen gelagert
hatten; dumpfe Donnerschläge von dort her, denen kleine Rauchwolken schon viele
Secunden vorhergingen, meldeten, daß dies Friedrichstadt sei. Ich sehe sie noch
in meiner Erinnerung die kleine zierliche Stadt, von Holländern nach holländischer
Art gebaut, wie ich sie in meiner Kindheit auf der Durchreise so oft gesehen hatte,
sie, die mir mit ihren Kanälen, graden Straßen, künstlich geschnittenen Bäumen
und ihrer großen weit berühmten Saardamer Reinlichkeit als Ideal aller kleinen
Städte gegolten hatte. Und jetzt -- Gott weiß! wie mochte es in der armen
schon 8 Tage hindurch von ihren eigenen Landsleuten und Freunden mit allen
Kriegsmitteln berannten Stadt aussehen! Der Gedanke machte manches Herz, zu¬
mal der Soldaten ans dieser Gegend, schwer und bang. Doch lange dauern die
Sorgen des Soldaten nicht. Die lang entbehrte warme Herbstsonne schien so


Grenzboten. IV. 1850. 122
Aus der Affaire von Friedrichstadt.

Unsere Iägerabtheiluug war Abends in tiefer Dunkelheit nach ermüdendem
Marsche von der Ostseite des Landes her in Norderstapcl, eine Stunde von
Friedrichstadt angekommen. Unterwegs hatten wir aus dem lauter ertönender
Donner des schweren Geschützes und aus der am dunkeln Westhimmel höher auf¬
steigenden rothen Feuergluth mit Freuden bemerkt, daß wir dem Ort des Treffens
näher gekommen waren. Ein dichter Nebel machte am nächsten Morgen jeden
Blick nach Friedrichstadt unmöglich; aber als die Sonne durchbrach, sammelten sich
an jedem Punkt, der eine Aussicht gewährte, Gruppen von Jägern, die alle hin¬
über schauten uach dem Orte, dnrch dessen Eroberung sie den Schlüssel zur ganzen
feindlichen Stellung zu erreichen hofften.

Norderstapel liegt an dem nord-westlichen sanften Abfall eines Sandrückens,
der sich bis nahe an die Eider von Norden her heranzieht, an dem die frucht¬
bare Marsch, welche sich um beide Ufer der Treene abgelagert hat, anlehnt. Diese
Marsch, etwa Meile breit, rechts und links von den wohlhabendsten Dörfern
und Höfen begrenzt, war durch die Aufstauung des hier ziemlich wasserhaltigen
Flusses bei Friedrichstadt vou Seite» der Dänen gänzlich überschwemmt und die
weiten Wiesenflächen, die sonst mit ihrem herrlichen Weidevieh den Stolz und
die einzige aber sehr ergiebige Nahrungsquelle der Gegend ausmachten, waren
schon seit Monatew in einen weiten häßlichen Wasserpfuhl verwandelt. Nur die
vielfach hervorragenden Ständer und Pforten, welche früher den einzigen Ueber¬
gang zu den rings mit tiefen Gräben umgebenen Feldern, hier Ferner genannt,
verschlossen hatten, zeugte» von der verschwundenen Pracht, die sonst hier in den:
Kleinod der ganzen Gegend gewesen war. Den Schluß dieser Wasserwüste bil¬
dete uach Süden hin ein Ort mit zwei großen schlanken Thürmen und freund¬
lichen rothen Dächern, um die sich jedoch einzelne weißgraue Wolkensäulen gelagert
hatten; dumpfe Donnerschläge von dort her, denen kleine Rauchwolken schon viele
Secunden vorhergingen, meldeten, daß dies Friedrichstadt sei. Ich sehe sie noch
in meiner Erinnerung die kleine zierliche Stadt, von Holländern nach holländischer
Art gebaut, wie ich sie in meiner Kindheit auf der Durchreise so oft gesehen hatte,
sie, die mir mit ihren Kanälen, graden Straßen, künstlich geschnittenen Bäumen
und ihrer großen weit berühmten Saardamer Reinlichkeit als Ideal aller kleinen
Städte gegolten hatte. Und jetzt — Gott weiß! wie mochte es in der armen
schon 8 Tage hindurch von ihren eigenen Landsleuten und Freunden mit allen
Kriegsmitteln berannten Stadt aussehen! Der Gedanke machte manches Herz, zu¬
mal der Soldaten ans dieser Gegend, schwer und bang. Doch lange dauern die
Sorgen des Soldaten nicht. Die lang entbehrte warme Herbstsonne schien so


Grenzboten. IV. 1850. 122
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[0457] Aus der Affaire von Friedrichstadt. Unsere Iägerabtheiluug war Abends in tiefer Dunkelheit nach ermüdendem Marsche von der Ostseite des Landes her in Norderstapcl, eine Stunde von Friedrichstadt angekommen. Unterwegs hatten wir aus dem lauter ertönender Donner des schweren Geschützes und aus der am dunkeln Westhimmel höher auf¬ steigenden rothen Feuergluth mit Freuden bemerkt, daß wir dem Ort des Treffens näher gekommen waren. Ein dichter Nebel machte am nächsten Morgen jeden Blick nach Friedrichstadt unmöglich; aber als die Sonne durchbrach, sammelten sich an jedem Punkt, der eine Aussicht gewährte, Gruppen von Jägern, die alle hin¬ über schauten uach dem Orte, dnrch dessen Eroberung sie den Schlüssel zur ganzen feindlichen Stellung zu erreichen hofften. Norderstapel liegt an dem nord-westlichen sanften Abfall eines Sandrückens, der sich bis nahe an die Eider von Norden her heranzieht, an dem die frucht¬ bare Marsch, welche sich um beide Ufer der Treene abgelagert hat, anlehnt. Diese Marsch, etwa Meile breit, rechts und links von den wohlhabendsten Dörfern und Höfen begrenzt, war durch die Aufstauung des hier ziemlich wasserhaltigen Flusses bei Friedrichstadt vou Seite» der Dänen gänzlich überschwemmt und die weiten Wiesenflächen, die sonst mit ihrem herrlichen Weidevieh den Stolz und die einzige aber sehr ergiebige Nahrungsquelle der Gegend ausmachten, waren schon seit Monatew in einen weiten häßlichen Wasserpfuhl verwandelt. Nur die vielfach hervorragenden Ständer und Pforten, welche früher den einzigen Ueber¬ gang zu den rings mit tiefen Gräben umgebenen Feldern, hier Ferner genannt, verschlossen hatten, zeugte» von der verschwundenen Pracht, die sonst hier in den: Kleinod der ganzen Gegend gewesen war. Den Schluß dieser Wasserwüste bil¬ dete uach Süden hin ein Ort mit zwei großen schlanken Thürmen und freund¬ lichen rothen Dächern, um die sich jedoch einzelne weißgraue Wolkensäulen gelagert hatten; dumpfe Donnerschläge von dort her, denen kleine Rauchwolken schon viele Secunden vorhergingen, meldeten, daß dies Friedrichstadt sei. Ich sehe sie noch in meiner Erinnerung die kleine zierliche Stadt, von Holländern nach holländischer Art gebaut, wie ich sie in meiner Kindheit auf der Durchreise so oft gesehen hatte, sie, die mir mit ihren Kanälen, graden Straßen, künstlich geschnittenen Bäumen und ihrer großen weit berühmten Saardamer Reinlichkeit als Ideal aller kleinen Städte gegolten hatte. Und jetzt — Gott weiß! wie mochte es in der armen schon 8 Tage hindurch von ihren eigenen Landsleuten und Freunden mit allen Kriegsmitteln berannten Stadt aussehen! Der Gedanke machte manches Herz, zu¬ mal der Soldaten ans dieser Gegend, schwer und bang. Doch lange dauern die Sorgen des Soldaten nicht. Die lang entbehrte warme Herbstsonne schien so Grenzboten. IV. 1850. 122

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/457>, abgerufen am 24.08.2024.