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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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sie das unnütze "Kanuucrgewäsch" vermeiden kann. -- Ich muß gestehen, daß
mir dieses Anerbieten mehr imponiren würde, wenn ich mich nicht daran erinnerte,
daß noch vor einem halben Jahre die Herren Wagner und Gödsche sehr zwei¬
felhaft waren, ob sie die ihnen aufgelegte Caution würden auftreiben können; daß
ihnen sogar der mitleidige Kladderadatsch eine Subvention anbot. Nun haben
sie zwar endlich die Caution von 7500 Thalern aufgebracht, und verfügen also
sicherlich über Geldmittel; aber ich wage doch, daran zu zweifeln, daß 7500
Thaler preuß. Courant, etwas drüber oder drunter, allem Bedürfniß des preußi¬
schen Staats genügen sollten. Wenn also keine weitere Furcht vorhanden ist,
als diese, so können die Kammern in ihrer Opposition ruhig fortfahren, der
Credit der Kreuzzeitung wird den der legitimen Stände nicht ersetzen.

Wenn sie aber dnrch ihre Opposition die Auflösung der gegenwärtigen
Kammer herbeiführen, so halte ich das für einen unendlichen Gewinn. Die
gegenwärtigen Kammern, die man sehr mit Unrecht gelästert hat, die an Patriotis¬
mus und Einsicht unter deu deutschen Ständen der letzten 30 Jahre wenig
ihres Gleichen haben, sind doch unter Voraussetzungen gewählt worden, die auf
den gegenwärtigen Augenblick uicht mehr passen; sie haben ihre Aufgabe erfüllt,
und können es für ein Glück ansehen, wenn dieser auch äußerlich ein Ende ge¬
macht wird. Die neue Parteibildung, die jetzt nothwendig eintreten muß, erheischt
auch eiuen neuen Ausdruck, und es ist für den preußischen Staat sehr wünschens-
werth, wenn diese Umwandlung erfolgt, bevor in Frankreich durch eiuen ähnlichen
Act vielleicht ein neuer Sturm heraufbeschworen wird. Bei der innigen Liebe,
welche der neue Ministerpräsident gegen die Demokraten hegt, wird es ihm zur
hohen Befriedigung gereichen, diese seine Freude, deren volle Berechtigung im
Staatsleben er gebührend gewürdigt hat, in hinlänglicher Zahl um sich versammelt
zu sehen. Nur fürchte ich, daß, wenn er die Häupter seiner Lieben zählt, manch
theures Haupt fehlen möchte.

Wenn also von den Kammern ebenso zu erwarten wie zu wünschen ist, daß
sie in der gerechten Opposition, die sie vor ihrer Vertagung mit so viel Ent¬
schlossenheit begonnen haben, ihrem Charakter treu, unverdrossen fortfahren, ohne
weitere Rücksicht auf die Folgen, so können wir in der Presse uns der Betrach¬
tung dieser Folgen nicht entziehen.

Sie treten bereits auf eine Weise hervor, die uns bedenklich machen muß.
Die Mobilisirnng der Armee und die widerwärtige Rolle, welche derselben zuge¬
theilt wurde, hat mehr dazu beigetragen, die Ilnzufriedenheit mit dem herrschenden
Systeme im Volk -- im wahren Volk, nicht mehr im Pöbel -- zu verbreiten,
als es Jahrzehnte demokratischer Wühlereien vermocht hätten. Leider ist diese
Unzufriedenheit eine unbestimmte, lediglich dem Jnstinct entsprungen, und darum
um so gefährlicher. Die Mobilisirung hat außerdem die Finanzkräfte unseres
Staats auf eine Weise angegriffen, daß nothwendig die Krone in eine größere


sie das unnütze „Kanuucrgewäsch" vermeiden kann. — Ich muß gestehen, daß
mir dieses Anerbieten mehr imponiren würde, wenn ich mich nicht daran erinnerte,
daß noch vor einem halben Jahre die Herren Wagner und Gödsche sehr zwei¬
felhaft waren, ob sie die ihnen aufgelegte Caution würden auftreiben können; daß
ihnen sogar der mitleidige Kladderadatsch eine Subvention anbot. Nun haben
sie zwar endlich die Caution von 7500 Thalern aufgebracht, und verfügen also
sicherlich über Geldmittel; aber ich wage doch, daran zu zweifeln, daß 7500
Thaler preuß. Courant, etwas drüber oder drunter, allem Bedürfniß des preußi¬
schen Staats genügen sollten. Wenn also keine weitere Furcht vorhanden ist,
als diese, so können die Kammern in ihrer Opposition ruhig fortfahren, der
Credit der Kreuzzeitung wird den der legitimen Stände nicht ersetzen.

Wenn sie aber dnrch ihre Opposition die Auflösung der gegenwärtigen
Kammer herbeiführen, so halte ich das für einen unendlichen Gewinn. Die
gegenwärtigen Kammern, die man sehr mit Unrecht gelästert hat, die an Patriotis¬
mus und Einsicht unter deu deutschen Ständen der letzten 30 Jahre wenig
ihres Gleichen haben, sind doch unter Voraussetzungen gewählt worden, die auf
den gegenwärtigen Augenblick uicht mehr passen; sie haben ihre Aufgabe erfüllt,
und können es für ein Glück ansehen, wenn dieser auch äußerlich ein Ende ge¬
macht wird. Die neue Parteibildung, die jetzt nothwendig eintreten muß, erheischt
auch eiuen neuen Ausdruck, und es ist für den preußischen Staat sehr wünschens-
werth, wenn diese Umwandlung erfolgt, bevor in Frankreich durch eiuen ähnlichen
Act vielleicht ein neuer Sturm heraufbeschworen wird. Bei der innigen Liebe,
welche der neue Ministerpräsident gegen die Demokraten hegt, wird es ihm zur
hohen Befriedigung gereichen, diese seine Freude, deren volle Berechtigung im
Staatsleben er gebührend gewürdigt hat, in hinlänglicher Zahl um sich versammelt
zu sehen. Nur fürchte ich, daß, wenn er die Häupter seiner Lieben zählt, manch
theures Haupt fehlen möchte.

Wenn also von den Kammern ebenso zu erwarten wie zu wünschen ist, daß
sie in der gerechten Opposition, die sie vor ihrer Vertagung mit so viel Ent¬
schlossenheit begonnen haben, ihrem Charakter treu, unverdrossen fortfahren, ohne
weitere Rücksicht auf die Folgen, so können wir in der Presse uns der Betrach¬
tung dieser Folgen nicht entziehen.

Sie treten bereits auf eine Weise hervor, die uns bedenklich machen muß.
Die Mobilisirnng der Armee und die widerwärtige Rolle, welche derselben zuge¬
theilt wurde, hat mehr dazu beigetragen, die Ilnzufriedenheit mit dem herrschenden
Systeme im Volk — im wahren Volk, nicht mehr im Pöbel — zu verbreiten,
als es Jahrzehnte demokratischer Wühlereien vermocht hätten. Leider ist diese
Unzufriedenheit eine unbestimmte, lediglich dem Jnstinct entsprungen, und darum
um so gefährlicher. Die Mobilisirung hat außerdem die Finanzkräfte unseres
Staats auf eine Weise angegriffen, daß nothwendig die Krone in eine größere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/453>, abgerufen am 22.07.2024.