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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Mörder erscheint; aus seinem Benehmen erräth Marianne die Wahrheit; sie ent¬
lockt ihm die Bestätigung. Im Moment der höchsten Aufregung erscheint der
König, vou Antonius vollständig freigesprochen. Sie tritt ihm kalt ent¬
gegen, und zeigt ihm sogleich, daß sie alles wisse. Er läßt den vermeintlichen
Verräther hinrichten, kommt aber bald darauf, durch einige Umstände bestärkt, aus
den Verdacht, sie habe, um das Geheimniß zu erfahren, ihre Ehre preisgegeben.
Sie verschmäht es, sich zu vertheidigen. Da kommt eine zweite Gelegenheit der
Prüfung. Herodes erhält den Auftrag (es ist kurz vor der Schlacht bei Antium),
für den Antonius in einen gefährlichen Krieg zu ziehen. Wenn er diesmal seinen
Befehl nicht wiederholt, so ist es das erste Mal nur in der Hitze der Leidenschaft
geschehen, und sie will ihm vergeben. Aber sie will ihm dabei nicht zu Hilfe
kommen; sie verschließt ihm ihr Inneres und er mißversteht ihre Freude bei der
Nachricht von seiner Abreise, er wiederholt seinen Befehl an einen Andern, der
ihm treu ergeben ist, diesmal mit dem Glauben einer größern Berechtigung.

Er hat sich getäuscht; als sich zum zweiten Mal die Nachricht vou Herodes
Tod verbreitet, verräth ihn der Freund, dessen Gefühl durch jenen Auftrag em¬
pört war. Marianne beschließt in der Verzweiflung, ihren Gemahl, von dessen
bevorstehender Rückkehr sie überzeugt ist, zu veranlassen, ihr selber ungerecht den
Tod zu geben. Sie gibt öffentlich ein glänzendes Fest, mit der lauten Erklä¬
rung, eS geschehe zur Feier des Todes ihres Gemahls. Alle Welt ist entsetzt
darüber, der rückkehrende Herodes stellt sie vor Gericht. -- Weshalb? Wie die
sonstige Anlage ist, hätte er sie ohne Weiteres können tödten lassen, denn die
Freude über seinen Tod ist für den Tyrannen ein tod"eswürdig,eS Verbrechen.
Aber nein! Er verklagt sie -- wegen Ehebruch. Sie habe das Geheimniß zum
zweiten Mal uur auf diesem Wege erfahren können. Es ist das seine fixe Idee.
Sie wird verurtheilt und hingerichtet, vorher offenbart sie aber das Geheimniß ihrer
Motive einem Römer, auf deu ich uoch nachher komme; dieser sagt es Herodes,
und der vom Gefühl seines Unrechts überwältigte König erlebt nun an sich, was
ihm Marianne voraus gesagt: es ist ein Wendepunkt seines Lebens; aus Trotz
gegen das Schicksal wird er ein Wüthrich, und zur guten Stunde kommen die
heiligen drei Könige, um ihm von der Geburt eines Prätendenten auf den jüdi¬
schen Thron zu melden. Er befiehlt, den Bethlehemitischer Kindermord.

So ist dieser letzte Zug denn allerdings in die psychologische Entwickelung
des Helden verwebt, aber eigentlich ist es doch die alte Manier Hebbel's, den
individuellen Schicksalen dadurch ein größeres Relief zu geben, daß er durch das
symbolische Hiueiuspieleu eiues bekannten welthistorischen Moments den Schein
einer tieferen Bedeutung hineinlegt. Es ist das unkünstlerisch, namentlich in
unserm Fall, wo das Erscheinen der heiligen drei Könige, mitten in einer Hand¬
lung, die nach ganz anderm als biblischem Maßstab gemessen werden muß, einen
lächerlichen Eindruck hervorruft. Aus demselben Grunde hat sich der Dichter


Mörder erscheint; aus seinem Benehmen erräth Marianne die Wahrheit; sie ent¬
lockt ihm die Bestätigung. Im Moment der höchsten Aufregung erscheint der
König, vou Antonius vollständig freigesprochen. Sie tritt ihm kalt ent¬
gegen, und zeigt ihm sogleich, daß sie alles wisse. Er läßt den vermeintlichen
Verräther hinrichten, kommt aber bald darauf, durch einige Umstände bestärkt, aus
den Verdacht, sie habe, um das Geheimniß zu erfahren, ihre Ehre preisgegeben.
Sie verschmäht es, sich zu vertheidigen. Da kommt eine zweite Gelegenheit der
Prüfung. Herodes erhält den Auftrag (es ist kurz vor der Schlacht bei Antium),
für den Antonius in einen gefährlichen Krieg zu ziehen. Wenn er diesmal seinen
Befehl nicht wiederholt, so ist es das erste Mal nur in der Hitze der Leidenschaft
geschehen, und sie will ihm vergeben. Aber sie will ihm dabei nicht zu Hilfe
kommen; sie verschließt ihm ihr Inneres und er mißversteht ihre Freude bei der
Nachricht von seiner Abreise, er wiederholt seinen Befehl an einen Andern, der
ihm treu ergeben ist, diesmal mit dem Glauben einer größern Berechtigung.

Er hat sich getäuscht; als sich zum zweiten Mal die Nachricht vou Herodes
Tod verbreitet, verräth ihn der Freund, dessen Gefühl durch jenen Auftrag em¬
pört war. Marianne beschließt in der Verzweiflung, ihren Gemahl, von dessen
bevorstehender Rückkehr sie überzeugt ist, zu veranlassen, ihr selber ungerecht den
Tod zu geben. Sie gibt öffentlich ein glänzendes Fest, mit der lauten Erklä¬
rung, eS geschehe zur Feier des Todes ihres Gemahls. Alle Welt ist entsetzt
darüber, der rückkehrende Herodes stellt sie vor Gericht. — Weshalb? Wie die
sonstige Anlage ist, hätte er sie ohne Weiteres können tödten lassen, denn die
Freude über seinen Tod ist für den Tyrannen ein tod»eswürdig,eS Verbrechen.
Aber nein! Er verklagt sie — wegen Ehebruch. Sie habe das Geheimniß zum
zweiten Mal uur auf diesem Wege erfahren können. Es ist das seine fixe Idee.
Sie wird verurtheilt und hingerichtet, vorher offenbart sie aber das Geheimniß ihrer
Motive einem Römer, auf deu ich uoch nachher komme; dieser sagt es Herodes,
und der vom Gefühl seines Unrechts überwältigte König erlebt nun an sich, was
ihm Marianne voraus gesagt: es ist ein Wendepunkt seines Lebens; aus Trotz
gegen das Schicksal wird er ein Wüthrich, und zur guten Stunde kommen die
heiligen drei Könige, um ihm von der Geburt eines Prätendenten auf den jüdi¬
schen Thron zu melden. Er befiehlt, den Bethlehemitischer Kindermord.

So ist dieser letzte Zug denn allerdings in die psychologische Entwickelung
des Helden verwebt, aber eigentlich ist es doch die alte Manier Hebbel's, den
individuellen Schicksalen dadurch ein größeres Relief zu geben, daß er durch das
symbolische Hiueiuspieleu eiues bekannten welthistorischen Moments den Schein
einer tieferen Bedeutung hineinlegt. Es ist das unkünstlerisch, namentlich in
unserm Fall, wo das Erscheinen der heiligen drei Könige, mitten in einer Hand¬
lung, die nach ganz anderm als biblischem Maßstab gemessen werden muß, einen
lächerlichen Eindruck hervorruft. Aus demselben Grunde hat sich der Dichter


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[0444] Mörder erscheint; aus seinem Benehmen erräth Marianne die Wahrheit; sie ent¬ lockt ihm die Bestätigung. Im Moment der höchsten Aufregung erscheint der König, vou Antonius vollständig freigesprochen. Sie tritt ihm kalt ent¬ gegen, und zeigt ihm sogleich, daß sie alles wisse. Er läßt den vermeintlichen Verräther hinrichten, kommt aber bald darauf, durch einige Umstände bestärkt, aus den Verdacht, sie habe, um das Geheimniß zu erfahren, ihre Ehre preisgegeben. Sie verschmäht es, sich zu vertheidigen. Da kommt eine zweite Gelegenheit der Prüfung. Herodes erhält den Auftrag (es ist kurz vor der Schlacht bei Antium), für den Antonius in einen gefährlichen Krieg zu ziehen. Wenn er diesmal seinen Befehl nicht wiederholt, so ist es das erste Mal nur in der Hitze der Leidenschaft geschehen, und sie will ihm vergeben. Aber sie will ihm dabei nicht zu Hilfe kommen; sie verschließt ihm ihr Inneres und er mißversteht ihre Freude bei der Nachricht von seiner Abreise, er wiederholt seinen Befehl an einen Andern, der ihm treu ergeben ist, diesmal mit dem Glauben einer größern Berechtigung. Er hat sich getäuscht; als sich zum zweiten Mal die Nachricht vou Herodes Tod verbreitet, verräth ihn der Freund, dessen Gefühl durch jenen Auftrag em¬ pört war. Marianne beschließt in der Verzweiflung, ihren Gemahl, von dessen bevorstehender Rückkehr sie überzeugt ist, zu veranlassen, ihr selber ungerecht den Tod zu geben. Sie gibt öffentlich ein glänzendes Fest, mit der lauten Erklä¬ rung, eS geschehe zur Feier des Todes ihres Gemahls. Alle Welt ist entsetzt darüber, der rückkehrende Herodes stellt sie vor Gericht. — Weshalb? Wie die sonstige Anlage ist, hätte er sie ohne Weiteres können tödten lassen, denn die Freude über seinen Tod ist für den Tyrannen ein tod»eswürdig,eS Verbrechen. Aber nein! Er verklagt sie — wegen Ehebruch. Sie habe das Geheimniß zum zweiten Mal uur auf diesem Wege erfahren können. Es ist das seine fixe Idee. Sie wird verurtheilt und hingerichtet, vorher offenbart sie aber das Geheimniß ihrer Motive einem Römer, auf deu ich uoch nachher komme; dieser sagt es Herodes, und der vom Gefühl seines Unrechts überwältigte König erlebt nun an sich, was ihm Marianne voraus gesagt: es ist ein Wendepunkt seines Lebens; aus Trotz gegen das Schicksal wird er ein Wüthrich, und zur guten Stunde kommen die heiligen drei Könige, um ihm von der Geburt eines Prätendenten auf den jüdi¬ schen Thron zu melden. Er befiehlt, den Bethlehemitischer Kindermord. So ist dieser letzte Zug denn allerdings in die psychologische Entwickelung des Helden verwebt, aber eigentlich ist es doch die alte Manier Hebbel's, den individuellen Schicksalen dadurch ein größeres Relief zu geben, daß er durch das symbolische Hiueiuspieleu eiues bekannten welthistorischen Moments den Schein einer tieferen Bedeutung hineinlegt. Es ist das unkünstlerisch, namentlich in unserm Fall, wo das Erscheinen der heiligen drei Könige, mitten in einer Hand¬ lung, die nach ganz anderm als biblischem Maßstab gemessen werden muß, einen lächerlichen Eindruck hervorruft. Aus demselben Grunde hat sich der Dichter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/444>, abgerufen am 25.08.2024.