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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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steht nun als Bettler in den Londoner Straßen. Anfangs sehr mager, und daher
ein zum Betteln gut qualificirles Subject, wird er in die Londoner Bettelznnft
ausgenommen. Leider aber wird er dann sehr fett, er bekommt einen Hänge-
bauch, was ihm schon früher geahnt hatte. Doch bemerkt ein Lord, der ihn zum
Gegenstand heikler Studien und Menschenliebe wählt: "Ungeachtet aller Ueppig¬
keit des Fleisches und weltlichen Vornehmheit lag etwas Großes in einem höhern
Sinn, etwas Erdüberlegeues, Körpersattes ^ Geistvolles, Geisterhaftes in seinen
Zügen." Da aber nicht das ganze Publicum das sieht, so erhält der Philosoph
jetzt kein Almosen mehr, wird ans der Zunft ausgestoßen und verfällt einem
Hospital, wo er seine Korpulenz verliert und seinen Verstand wiedcrerhält.
Wenigstens setzt er sein Tagebuch fort, und legt ein dunkles Cabinet an, wo
mehrere Skelette neben einander stehen und darüber eine geisterhafte Aeolsharfe.
Nachdem er diesen Beweis seines Verstandes gegeben, stirbt er sanft und selig,
jener Lord beweint ihn als treuer Freund, und Marie ist uicht gestorben, sie lebt
vielmehr uoch heute als Noune in Frankreich. -- Es gibt mehr Dinge im Himmel
und ans Erden, als eure Schulweisheit sich trämueu läßt, Horatio! --

Schröck. Ein Niederländisches Gemälde von Friedrich Hebbel. Leipzig,
I. I. Weber.

Mit der Bezeichnung eines "Niederländischen Gemäldes" weist Hebbel die¬
jenigen seiner Verehrer zurück, welche in jeder seiner Schöpfungen ein Ideal
erwarten; welche uach seiner eignen Theorie nur da die Dichtung berechtigt glau¬
ben, wo ein welthistorisches Problem vorliegt. Im Schröck strebt er nach einer
andern Idealität. Dieses Buch "möchte sich neben Eulenspiegel, Katzcnbergern. s. w.
einen Platz erobern und würde überglücklich sein, wenn es seineu gegenwärtigen
Prachtrocküber kurz oder lang einmal abwerfen und sich auf Jahrmärkten und
Kirchmessen in einen Bauerukittel von Fließpapier hineintanmeln dürste."

Daß Jean Paul's Katzenberger ein Volksbuch ist, und sich auf Jahrmärkten
und Kirchmcssen tummelt, hören wir zum ersten Male; es ist das eine von den
Einbildungen, an denen unser Verfasser so überreich ist. Der Katzenberger ist so
wenig ein Volksbuch, als es der Schuock jemals werdeu wird; im Gegentheil
kann man sich nicht leicht eine Manier denken, die weniger populär wäre, als
diese forcirte Anhäufung vou Charakterzügeu, die uach einem Muster zugeschnit¬
ten sind.

Eigentlich hätte Hebbel an ein anderes Stück voll Jean Paul erinnern sollen,
ans welchem er nicht nur die Manier bis in die kleinsten Züge, sondern anch den
Stoff entlehnt hat: Die Reise des Feldpredigerö Schmelzle. Der Inhalt ist in
beiden ein bis zum Extrem feiger Mann, der an ein determiuirteS Weib verhei-
rathet ist, und wie billig voll demselben geleitet wird. Ich will ihn damit keines



*) Der, beiläufig, der Verlagshandlung in der That alle Ehre macht.

steht nun als Bettler in den Londoner Straßen. Anfangs sehr mager, und daher
ein zum Betteln gut qualificirles Subject, wird er in die Londoner Bettelznnft
ausgenommen. Leider aber wird er dann sehr fett, er bekommt einen Hänge-
bauch, was ihm schon früher geahnt hatte. Doch bemerkt ein Lord, der ihn zum
Gegenstand heikler Studien und Menschenliebe wählt: „Ungeachtet aller Ueppig¬
keit des Fleisches und weltlichen Vornehmheit lag etwas Großes in einem höhern
Sinn, etwas Erdüberlegeues, Körpersattes ^ Geistvolles, Geisterhaftes in seinen
Zügen." Da aber nicht das ganze Publicum das sieht, so erhält der Philosoph
jetzt kein Almosen mehr, wird ans der Zunft ausgestoßen und verfällt einem
Hospital, wo er seine Korpulenz verliert und seinen Verstand wiedcrerhält.
Wenigstens setzt er sein Tagebuch fort, und legt ein dunkles Cabinet an, wo
mehrere Skelette neben einander stehen und darüber eine geisterhafte Aeolsharfe.
Nachdem er diesen Beweis seines Verstandes gegeben, stirbt er sanft und selig,
jener Lord beweint ihn als treuer Freund, und Marie ist uicht gestorben, sie lebt
vielmehr uoch heute als Noune in Frankreich. — Es gibt mehr Dinge im Himmel
und ans Erden, als eure Schulweisheit sich trämueu läßt, Horatio! —

Schröck. Ein Niederländisches Gemälde von Friedrich Hebbel. Leipzig,
I. I. Weber.

Mit der Bezeichnung eines „Niederländischen Gemäldes" weist Hebbel die¬
jenigen seiner Verehrer zurück, welche in jeder seiner Schöpfungen ein Ideal
erwarten; welche uach seiner eignen Theorie nur da die Dichtung berechtigt glau¬
ben, wo ein welthistorisches Problem vorliegt. Im Schröck strebt er nach einer
andern Idealität. Dieses Buch „möchte sich neben Eulenspiegel, Katzcnbergern. s. w.
einen Platz erobern und würde überglücklich sein, wenn es seineu gegenwärtigen
Prachtrocküber kurz oder lang einmal abwerfen und sich auf Jahrmärkten und
Kirchmessen in einen Bauerukittel von Fließpapier hineintanmeln dürste."

Daß Jean Paul's Katzenberger ein Volksbuch ist, und sich auf Jahrmärkten
und Kirchmcssen tummelt, hören wir zum ersten Male; es ist das eine von den
Einbildungen, an denen unser Verfasser so überreich ist. Der Katzenberger ist so
wenig ein Volksbuch, als es der Schuock jemals werdeu wird; im Gegentheil
kann man sich nicht leicht eine Manier denken, die weniger populär wäre, als
diese forcirte Anhäufung vou Charakterzügeu, die uach einem Muster zugeschnit¬
ten sind.

Eigentlich hätte Hebbel an ein anderes Stück voll Jean Paul erinnern sollen,
ans welchem er nicht nur die Manier bis in die kleinsten Züge, sondern anch den
Stoff entlehnt hat: Die Reise des Feldpredigerö Schmelzle. Der Inhalt ist in
beiden ein bis zum Extrem feiger Mann, der an ein determiuirteS Weib verhei-
rathet ist, und wie billig voll demselben geleitet wird. Ich will ihn damit keines



*) Der, beiläufig, der Verlagshandlung in der That alle Ehre macht.
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[0438] steht nun als Bettler in den Londoner Straßen. Anfangs sehr mager, und daher ein zum Betteln gut qualificirles Subject, wird er in die Londoner Bettelznnft ausgenommen. Leider aber wird er dann sehr fett, er bekommt einen Hänge- bauch, was ihm schon früher geahnt hatte. Doch bemerkt ein Lord, der ihn zum Gegenstand heikler Studien und Menschenliebe wählt: „Ungeachtet aller Ueppig¬ keit des Fleisches und weltlichen Vornehmheit lag etwas Großes in einem höhern Sinn, etwas Erdüberlegeues, Körpersattes ^ Geistvolles, Geisterhaftes in seinen Zügen." Da aber nicht das ganze Publicum das sieht, so erhält der Philosoph jetzt kein Almosen mehr, wird ans der Zunft ausgestoßen und verfällt einem Hospital, wo er seine Korpulenz verliert und seinen Verstand wiedcrerhält. Wenigstens setzt er sein Tagebuch fort, und legt ein dunkles Cabinet an, wo mehrere Skelette neben einander stehen und darüber eine geisterhafte Aeolsharfe. Nachdem er diesen Beweis seines Verstandes gegeben, stirbt er sanft und selig, jener Lord beweint ihn als treuer Freund, und Marie ist uicht gestorben, sie lebt vielmehr uoch heute als Noune in Frankreich. — Es gibt mehr Dinge im Himmel und ans Erden, als eure Schulweisheit sich trämueu läßt, Horatio! — Schröck. Ein Niederländisches Gemälde von Friedrich Hebbel. Leipzig, I. I. Weber. Mit der Bezeichnung eines „Niederländischen Gemäldes" weist Hebbel die¬ jenigen seiner Verehrer zurück, welche in jeder seiner Schöpfungen ein Ideal erwarten; welche uach seiner eignen Theorie nur da die Dichtung berechtigt glau¬ ben, wo ein welthistorisches Problem vorliegt. Im Schröck strebt er nach einer andern Idealität. Dieses Buch „möchte sich neben Eulenspiegel, Katzcnbergern. s. w. einen Platz erobern und würde überglücklich sein, wenn es seineu gegenwärtigen Prachtrocküber kurz oder lang einmal abwerfen und sich auf Jahrmärkten und Kirchmessen in einen Bauerukittel von Fließpapier hineintanmeln dürste." Daß Jean Paul's Katzenberger ein Volksbuch ist, und sich auf Jahrmärkten und Kirchmcssen tummelt, hören wir zum ersten Male; es ist das eine von den Einbildungen, an denen unser Verfasser so überreich ist. Der Katzenberger ist so wenig ein Volksbuch, als es der Schuock jemals werdeu wird; im Gegentheil kann man sich nicht leicht eine Manier denken, die weniger populär wäre, als diese forcirte Anhäufung vou Charakterzügeu, die uach einem Muster zugeschnit¬ ten sind. Eigentlich hätte Hebbel an ein anderes Stück voll Jean Paul erinnern sollen, ans welchem er nicht nur die Manier bis in die kleinsten Züge, sondern anch den Stoff entlehnt hat: Die Reise des Feldpredigerö Schmelzle. Der Inhalt ist in beiden ein bis zum Extrem feiger Mann, der an ein determiuirteS Weib verhei- rathet ist, und wie billig voll demselben geleitet wird. Ich will ihn damit keines *) Der, beiläufig, der Verlagshandlung in der That alle Ehre macht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/438>, abgerufen am 09.01.2025.