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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Diesmal sind es die Aristokraten und ihre Diener, die schlecht wegkommen; ein
Haufe unwürdigen Gestndels. Der Verfasser hofft zur Schlich auf bessere Zeiten,
und fragt das Vaterland, ob es denn auch erwachen werde? -- Im Uebrigen
ist der Zuschnitt dieses Romans mehr nach der alten Convenienz; Thürme, worin
Wahnsinnige wohnen; schurkische Verwalter; intendirter Vatermord; uneheliche
Kinder, denen plötzlich der Vater segnend erscheint u. s. w.

Des Republikaners Schwertfart. Kartons von Ernst Hang, General
der römischen Republik. Bremen, Schlodtmann.

Hier ist unbedingte Siegesgewißheit, sogar in der Orthographie; der Ver¬
fasser hat mit Herwegh das es und das y ans der deutschen Sprache verbannt,
schreibt: rot, tot, mistisch n. s. w., und hat am Sabandschasee in Kleinasien,
von wo die Vorrede datirt ist, eine neue Philosophie entdeckt, deren kurzen Abriß
er seinem Freunde, dem Triumvir Mazzini, in folgenden Worten mittheilt: "Der
Karakter unserer Periode ist die Emanzipazion der Individualität vom Indivi¬
duum oder der Unterjochten vom Unterjochenden. Die logische Consequenz bringt
es mit sich, daß der Unterjochte die Herrschaft der Unterjochenden abschütteln und
für die Emigrazion des Individuums von der unterdrückenden Individualität
ringen wird. Unsere kühnsten Wettrenner haben den roten Spagat am Ziel der
laufenden Periode schon durchbrochen, und sind, Deserteurs ihrer Zeit, auf die
Arena der Zukunft gesprungen." Was in dem Romane selbst steht, weiß ich nicht
so geuau zu sagen, denn der dem Vorigen entsprechende Stil stört die Aufmerk¬
samkeit. Pius IX. wird unter andern ein Christusschänder und Landesverräter
genannt, die übrigen Fürsten noch strenger getadelt, und zum Schluß heißt es:
"Ich höre aus dem prolvnäis der Gräber den Posaunenschall des ewigen Ge¬
richts erdrönen."

Der Sohn des Volkes. Roman von Levin Schücking 2 Bde.
Leipzig, Brockhaus.

Dieser Roman behandelt zwar auch die Gegensätze einer Revolutionszeit,
aber er bezieht sich auf eine andere Revolution, auf die große französische und
deren Einflüsse auf Deutschland. Er ist mit dem bekannten Geschick des Verfassers
geschrieben, und hat uns nur in einer Beziehung befremdet. Es sprechen sich
nämlich, nicht gerade in politischen Excursen, aber in der Art und Weise, wie die
einzelnen Figuren ausgemalt und gruppirt siud, die wunderbarsten Sympathien
ans: entschiedene Sympathie für den deutschen Adel des vorigen Jahrhunderts
gegen die bürgerlichen Emporkömmlinge, entschiedene Sympathie sür Oestreich
gegen Preußen. Selbst das, was der Verfasser von den Handlungen der Ari¬
stokratie erzählt, ist so empörend, daß wir auch die Uebertreibungen der Verletzten



Von demselben Verfasser sind früher die Romane erschienen - Ein Schloß am Meer.
S Bde. -- Eine dunkle That. -- Die Nitterbürtigcn. 3 Bde.

Diesmal sind es die Aristokraten und ihre Diener, die schlecht wegkommen; ein
Haufe unwürdigen Gestndels. Der Verfasser hofft zur Schlich auf bessere Zeiten,
und fragt das Vaterland, ob es denn auch erwachen werde? — Im Uebrigen
ist der Zuschnitt dieses Romans mehr nach der alten Convenienz; Thürme, worin
Wahnsinnige wohnen; schurkische Verwalter; intendirter Vatermord; uneheliche
Kinder, denen plötzlich der Vater segnend erscheint u. s. w.

Des Republikaners Schwertfart. Kartons von Ernst Hang, General
der römischen Republik. Bremen, Schlodtmann.

Hier ist unbedingte Siegesgewißheit, sogar in der Orthographie; der Ver¬
fasser hat mit Herwegh das es und das y ans der deutschen Sprache verbannt,
schreibt: rot, tot, mistisch n. s. w., und hat am Sabandschasee in Kleinasien,
von wo die Vorrede datirt ist, eine neue Philosophie entdeckt, deren kurzen Abriß
er seinem Freunde, dem Triumvir Mazzini, in folgenden Worten mittheilt: „Der
Karakter unserer Periode ist die Emanzipazion der Individualität vom Indivi¬
duum oder der Unterjochten vom Unterjochenden. Die logische Consequenz bringt
es mit sich, daß der Unterjochte die Herrschaft der Unterjochenden abschütteln und
für die Emigrazion des Individuums von der unterdrückenden Individualität
ringen wird. Unsere kühnsten Wettrenner haben den roten Spagat am Ziel der
laufenden Periode schon durchbrochen, und sind, Deserteurs ihrer Zeit, auf die
Arena der Zukunft gesprungen." Was in dem Romane selbst steht, weiß ich nicht
so geuau zu sagen, denn der dem Vorigen entsprechende Stil stört die Aufmerk¬
samkeit. Pius IX. wird unter andern ein Christusschänder und Landesverräter
genannt, die übrigen Fürsten noch strenger getadelt, und zum Schluß heißt es:
„Ich höre aus dem prolvnäis der Gräber den Posaunenschall des ewigen Ge¬
richts erdrönen."

Der Sohn des Volkes. Roman von Levin Schücking 2 Bde.
Leipzig, Brockhaus.

Dieser Roman behandelt zwar auch die Gegensätze einer Revolutionszeit,
aber er bezieht sich auf eine andere Revolution, auf die große französische und
deren Einflüsse auf Deutschland. Er ist mit dem bekannten Geschick des Verfassers
geschrieben, und hat uns nur in einer Beziehung befremdet. Es sprechen sich
nämlich, nicht gerade in politischen Excursen, aber in der Art und Weise, wie die
einzelnen Figuren ausgemalt und gruppirt siud, die wunderbarsten Sympathien
ans: entschiedene Sympathie für den deutschen Adel des vorigen Jahrhunderts
gegen die bürgerlichen Emporkömmlinge, entschiedene Sympathie sür Oestreich
gegen Preußen. Selbst das, was der Verfasser von den Handlungen der Ari¬
stokratie erzählt, ist so empörend, daß wir auch die Uebertreibungen der Verletzten



Von demselben Verfasser sind früher die Romane erschienen - Ein Schloß am Meer.
S Bde. — Eine dunkle That. — Die Nitterbürtigcn. 3 Bde.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/436>, abgerufen am 25.08.2024.