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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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nach dem Tode Karl des Großen war Deutschland mit aufblühenden Städten
bedeckt, deren Inneres freilich uoch uicht deu architektonischen Schmuck und die
reiche Zierlichkeit zeigte, welche im l^ten und 15ten Jahrhundert den Städter
stolz machten.

"Um 1050 das äußere Bild uuserer ältesten Städte, ihr sittlich-gesellschaft¬
liches Gepräge zu schildern, gewähren uus die Nachrichten uoch uicht Gestalten
und Farben genug. Enge Räume, hinter Mauern eingeschlossen, schmale, unge-
pflasterte Gassen, regellos mit großentheils hölzernen, nicht immer mit Ziegeln
gedeckten Häusern bebaut, uoch viele hölzerne Kirchen; steinerne Thürme in
Sachsen uoch eine Seltenheit. Doch schou Ltaufhäuser unt Hallen und Lauben,
am Marktplatze, in welchem der Verkehr sich erging, offene Wechölertische; uoch
war der Verkehr uicht in die eigene Behausung eingezogen. Gewerke, deren
Kaufwaaren zu den nothwendigsten Bedürfnissen gehörten, besaßen schon gemein¬
schaftliche Verkanssstätten; so die Fleischer und Bäcker; audere wohnten in ihren
Häuslein zuuftartig nebeneinander, arbeiteten im Freien, daher denn in allen
Städten die Namen der Schmiede-, Schuster-, Wollenweber-Gassen sich wieder¬
holen. Im gewerbthätigen Straßburg stoßen wir schon ans polizeiliche Sorgfalt
für Sauberkeit und Ordnung; der Burggraf durfte keiuelN Eiusassen gestatten,
über der Straße zu bauen; niemand durfte vor seinem Hause den Dünger auf¬
häufen, als um ihn sogleich hinauszuführen: ausgenommen waren gewisse Stätten
,am Noßmakt, am Schlachthofe und bei Se. Stephan. Niemand durfte in der
Stadt Schweine ohne Aufsicht des Hirten umherlaufen lassen, der Weideplatz für
sie war bei "WillemaunS Burgthor".

Waren. Kirchlein und Häuser so schmucklos und einfach, so erging sich auch
Sitte und gesellschaftliches Bürgerleben in einfachster Weise. Der finstern, strengen
Kirchlichkeit gegenüber die tobenden Gelage der Genossenschaften und Aemter,
mit bäuerischen Aufwande, mit Bußen an Wachskerzen und Kannen Weins;
Völlerei und Trunkenheit als Ursache blutiger Thaten, wie denn im Laufe eines
Jahres 35 Gottesleute zu Worms erschlagen wurden; noch keine Spur des
heiteren BürgerthuMs in Znnftspielen, Fastnachtschwänkeu, öffentlicher Kurzweil,
Mummenschanz, noch keine Meistersänger. Doch mochten aus Dorf- und Land¬
leben, aus dem freien Walde die sinnigen Maispiele bereits in die düstern Mauern
eingezogen sein, deren eine Seite, die Pfiugsttäuze, wir früh erwähnt finden.

Unter ernsten Feierlichkeiten und Formen ward beim Königöbanne, in öffent¬
lichen Gehegen, unter der Gerichtslaube, gediugt; weder Richter uoch Schöppen
trugen Kappen, uoch Hüte, uoch Handelt, noch Handschuhe. Mäntel ans den
Schultern, ohne Waffen, sitzend fanden sie das Urtheil. Trauriges Schaugepränge
boten in bischöflichen Städten die häufigen Gottesurtheile, die gerichtlichen Zwei¬
kämpfe, welche fast den Charakter unbarmherziger Gladiatorenspiele entwickelten,
und vom blöden Geiste der Gesetzgebung in unzähligen Fällen angeordnet wurden.


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nach dem Tode Karl des Großen war Deutschland mit aufblühenden Städten
bedeckt, deren Inneres freilich uoch uicht deu architektonischen Schmuck und die
reiche Zierlichkeit zeigte, welche im l^ten und 15ten Jahrhundert den Städter
stolz machten.

„Um 1050 das äußere Bild uuserer ältesten Städte, ihr sittlich-gesellschaft¬
liches Gepräge zu schildern, gewähren uus die Nachrichten uoch uicht Gestalten
und Farben genug. Enge Räume, hinter Mauern eingeschlossen, schmale, unge-
pflasterte Gassen, regellos mit großentheils hölzernen, nicht immer mit Ziegeln
gedeckten Häusern bebaut, uoch viele hölzerne Kirchen; steinerne Thürme in
Sachsen uoch eine Seltenheit. Doch schou Ltaufhäuser unt Hallen und Lauben,
am Marktplatze, in welchem der Verkehr sich erging, offene Wechölertische; uoch
war der Verkehr uicht in die eigene Behausung eingezogen. Gewerke, deren
Kaufwaaren zu den nothwendigsten Bedürfnissen gehörten, besaßen schon gemein¬
schaftliche Verkanssstätten; so die Fleischer und Bäcker; audere wohnten in ihren
Häuslein zuuftartig nebeneinander, arbeiteten im Freien, daher denn in allen
Städten die Namen der Schmiede-, Schuster-, Wollenweber-Gassen sich wieder¬
holen. Im gewerbthätigen Straßburg stoßen wir schon ans polizeiliche Sorgfalt
für Sauberkeit und Ordnung; der Burggraf durfte keiuelN Eiusassen gestatten,
über der Straße zu bauen; niemand durfte vor seinem Hause den Dünger auf¬
häufen, als um ihn sogleich hinauszuführen: ausgenommen waren gewisse Stätten
,am Noßmakt, am Schlachthofe und bei Se. Stephan. Niemand durfte in der
Stadt Schweine ohne Aufsicht des Hirten umherlaufen lassen, der Weideplatz für
sie war bei „WillemaunS Burgthor".

Waren. Kirchlein und Häuser so schmucklos und einfach, so erging sich auch
Sitte und gesellschaftliches Bürgerleben in einfachster Weise. Der finstern, strengen
Kirchlichkeit gegenüber die tobenden Gelage der Genossenschaften und Aemter,
mit bäuerischen Aufwande, mit Bußen an Wachskerzen und Kannen Weins;
Völlerei und Trunkenheit als Ursache blutiger Thaten, wie denn im Laufe eines
Jahres 35 Gottesleute zu Worms erschlagen wurden; noch keine Spur des
heiteren BürgerthuMs in Znnftspielen, Fastnachtschwänkeu, öffentlicher Kurzweil,
Mummenschanz, noch keine Meistersänger. Doch mochten aus Dorf- und Land¬
leben, aus dem freien Walde die sinnigen Maispiele bereits in die düstern Mauern
eingezogen sein, deren eine Seite, die Pfiugsttäuze, wir früh erwähnt finden.

Unter ernsten Feierlichkeiten und Formen ward beim Königöbanne, in öffent¬
lichen Gehegen, unter der Gerichtslaube, gediugt; weder Richter uoch Schöppen
trugen Kappen, uoch Hüte, uoch Handelt, noch Handschuhe. Mäntel ans den
Schultern, ohne Waffen, sitzend fanden sie das Urtheil. Trauriges Schaugepränge
boten in bischöflichen Städten die häufigen Gottesurtheile, die gerichtlichen Zwei¬
kämpfe, welche fast den Charakter unbarmherziger Gladiatorenspiele entwickelten,
und vom blöden Geiste der Gesetzgebung in unzähligen Fällen angeordnet wurden.


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[0427] nach dem Tode Karl des Großen war Deutschland mit aufblühenden Städten bedeckt, deren Inneres freilich uoch uicht deu architektonischen Schmuck und die reiche Zierlichkeit zeigte, welche im l^ten und 15ten Jahrhundert den Städter stolz machten. „Um 1050 das äußere Bild uuserer ältesten Städte, ihr sittlich-gesellschaft¬ liches Gepräge zu schildern, gewähren uus die Nachrichten uoch uicht Gestalten und Farben genug. Enge Räume, hinter Mauern eingeschlossen, schmale, unge- pflasterte Gassen, regellos mit großentheils hölzernen, nicht immer mit Ziegeln gedeckten Häusern bebaut, uoch viele hölzerne Kirchen; steinerne Thürme in Sachsen uoch eine Seltenheit. Doch schou Ltaufhäuser unt Hallen und Lauben, am Marktplatze, in welchem der Verkehr sich erging, offene Wechölertische; uoch war der Verkehr uicht in die eigene Behausung eingezogen. Gewerke, deren Kaufwaaren zu den nothwendigsten Bedürfnissen gehörten, besaßen schon gemein¬ schaftliche Verkanssstätten; so die Fleischer und Bäcker; audere wohnten in ihren Häuslein zuuftartig nebeneinander, arbeiteten im Freien, daher denn in allen Städten die Namen der Schmiede-, Schuster-, Wollenweber-Gassen sich wieder¬ holen. Im gewerbthätigen Straßburg stoßen wir schon ans polizeiliche Sorgfalt für Sauberkeit und Ordnung; der Burggraf durfte keiuelN Eiusassen gestatten, über der Straße zu bauen; niemand durfte vor seinem Hause den Dünger auf¬ häufen, als um ihn sogleich hinauszuführen: ausgenommen waren gewisse Stätten ,am Noßmakt, am Schlachthofe und bei Se. Stephan. Niemand durfte in der Stadt Schweine ohne Aufsicht des Hirten umherlaufen lassen, der Weideplatz für sie war bei „WillemaunS Burgthor". Waren. Kirchlein und Häuser so schmucklos und einfach, so erging sich auch Sitte und gesellschaftliches Bürgerleben in einfachster Weise. Der finstern, strengen Kirchlichkeit gegenüber die tobenden Gelage der Genossenschaften und Aemter, mit bäuerischen Aufwande, mit Bußen an Wachskerzen und Kannen Weins; Völlerei und Trunkenheit als Ursache blutiger Thaten, wie denn im Laufe eines Jahres 35 Gottesleute zu Worms erschlagen wurden; noch keine Spur des heiteren BürgerthuMs in Znnftspielen, Fastnachtschwänkeu, öffentlicher Kurzweil, Mummenschanz, noch keine Meistersänger. Doch mochten aus Dorf- und Land¬ leben, aus dem freien Walde die sinnigen Maispiele bereits in die düstern Mauern eingezogen sein, deren eine Seite, die Pfiugsttäuze, wir früh erwähnt finden. Unter ernsten Feierlichkeiten und Formen ward beim Königöbanne, in öffent¬ lichen Gehegen, unter der Gerichtslaube, gediugt; weder Richter uoch Schöppen trugen Kappen, uoch Hüte, uoch Handelt, noch Handschuhe. Mäntel ans den Schultern, ohne Waffen, sitzend fanden sie das Urtheil. Trauriges Schaugepränge boten in bischöflichen Städten die häufigen Gottesurtheile, die gerichtlichen Zwei¬ kämpfe, welche fast den Charakter unbarmherziger Gladiatorenspiele entwickelten, und vom blöden Geiste der Gesetzgebung in unzähligen Fällen angeordnet wurden. 118*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/427>, abgerufen am 25.07.2024.