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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Wo der Verfasser selbst spricht, sind seine Worte ausgezeichnet; sie sollen als
Probe seines Stils und seiner Darstellung dienen.

Eine ganze Welt von antiber Bildung mußte auch in Deutschland zertrüm¬
mert werden, bevor die Gamanenstädte aufwachsen konnten

"Seit Augustus den Rhein als die Grenze Galliens, der Eroberung seines Oheims,
ansprach, und auf dem linken Ufer des Stroms ein oberes und niederes Germa-
nien geschaffen hatte; seit seine Stiefsöhne, Tiberius und Drusus, auch die Länder
südlich der Donau gewonnen, und als Noricum, Rhätien und Viudelicieu zur
Provinz gemacht (zwischen den Jahren 20 bis 15 v. Chr.), begann eine wunderbar
schnelle Entwickelung der Cultur in jenen Halbceltischen, halbgermanischen Gebieten.
Ungeachtet des Drusus Eroberung im innern Deutschland durch die Niederlage
des Varus verloren ging, und die Römer der Bezwingung Großgermaniens ent¬
sagen mußten, verstanden sie doch ihre Herrschaft zwischen dem Oberrhein und
der Oberdouan zu befestigen und sicherten im Laufe der ersten christlichen Jahr¬
hunderte das herrliche Südwestdeutschland dnrch den Pfalgrabcn, welcher vom
Taunusgebirge über Main und Neckar bis zur Mündung der Altmühl in die
Donau sich hinwand. Die so eingehegten Gebiete, nach heutiger Bezeichnung
die Herzogtümer und Großherzogthümer Nassau, Darmstadt, Baden und sast das
ganze Königreich Würtemberg, nebst einem Theile des bairischen Frankens,, wurden
als römisches Zehutlaud auf fast drei Jahrhunderte der germanischen Freiheit ent¬
zogen, gewannen aber zeitweise nnter römischem Schutze und römischer Pflege eine
Bodencnltur und verfeinerte Lebensweise, welche den jenseitigen Stammländern
ein Jahrtausend fremd blieben. Denn nicht allein daß die Römer die von Bar¬
baren spärlich bewohnte Wüste, der wiederholten Einfälle ungeachtet, schnell in
blühende Provinzen umschufen, indem sie überall erst feste Knegsplätze anlegten,
und in deren Bereich Mnnicipalstädte mit Märkten, Tempeln, Theatern, Gerichts-
hänsern, Wasserleitungen, Bädern, mit dem gesammten städtischen Luxus der über-
alpischen Heimath gründeten, die neuen Pflanzungen mit trefflichen Straßen und
Brücken verbanden und in kurzer Frist die etwa noch seßhaften Barbaren an Sitte,
Sprache und Denkart in Römer umwandelten: sie waren anch befähigt, untrüg-
lichen Blickes die Naturgaben der neuen Provinz zu erspähen, und alles Vor¬
handene zur sinnreichsten Benutzung auszubeuten. Sie verpflanzten gedeihlich
ihre edleren Obstbäume, Getreidearten und Gemüse unter den fremden Himmels¬
strich und schickten eigenthümliche Feld- und Walderzeugnisse, ja selbst Rüben zum
Genuß in ihre Hauptstadt; sie bewässerten künstlich Wiesen und Ackerland und
zwangen die Oed^, bisher unbekannte Frucht zu tragen; sie durchforschten Ströme
und Bäche uach neuen, leckeren Fischgattungen, veredelten die Hausthiere; sie
schürften nach Metallen, gruben nach Salzquellen, fanden überall den dauerbarsten
Stein zu Staats- und häuslichen Bauten, wandten bereits die noch jetzt gesuchten
härtesten Steinarten (Lava) zu ihren Mühlwerken, den zähesten Thon zu ihren


Wo der Verfasser selbst spricht, sind seine Worte ausgezeichnet; sie sollen als
Probe seines Stils und seiner Darstellung dienen.

Eine ganze Welt von antiber Bildung mußte auch in Deutschland zertrüm¬
mert werden, bevor die Gamanenstädte aufwachsen konnten

„Seit Augustus den Rhein als die Grenze Galliens, der Eroberung seines Oheims,
ansprach, und auf dem linken Ufer des Stroms ein oberes und niederes Germa-
nien geschaffen hatte; seit seine Stiefsöhne, Tiberius und Drusus, auch die Länder
südlich der Donau gewonnen, und als Noricum, Rhätien und Viudelicieu zur
Provinz gemacht (zwischen den Jahren 20 bis 15 v. Chr.), begann eine wunderbar
schnelle Entwickelung der Cultur in jenen Halbceltischen, halbgermanischen Gebieten.
Ungeachtet des Drusus Eroberung im innern Deutschland durch die Niederlage
des Varus verloren ging, und die Römer der Bezwingung Großgermaniens ent¬
sagen mußten, verstanden sie doch ihre Herrschaft zwischen dem Oberrhein und
der Oberdouan zu befestigen und sicherten im Laufe der ersten christlichen Jahr¬
hunderte das herrliche Südwestdeutschland dnrch den Pfalgrabcn, welcher vom
Taunusgebirge über Main und Neckar bis zur Mündung der Altmühl in die
Donau sich hinwand. Die so eingehegten Gebiete, nach heutiger Bezeichnung
die Herzogtümer und Großherzogthümer Nassau, Darmstadt, Baden und sast das
ganze Königreich Würtemberg, nebst einem Theile des bairischen Frankens,, wurden
als römisches Zehutlaud auf fast drei Jahrhunderte der germanischen Freiheit ent¬
zogen, gewannen aber zeitweise nnter römischem Schutze und römischer Pflege eine
Bodencnltur und verfeinerte Lebensweise, welche den jenseitigen Stammländern
ein Jahrtausend fremd blieben. Denn nicht allein daß die Römer die von Bar¬
baren spärlich bewohnte Wüste, der wiederholten Einfälle ungeachtet, schnell in
blühende Provinzen umschufen, indem sie überall erst feste Knegsplätze anlegten,
und in deren Bereich Mnnicipalstädte mit Märkten, Tempeln, Theatern, Gerichts-
hänsern, Wasserleitungen, Bädern, mit dem gesammten städtischen Luxus der über-
alpischen Heimath gründeten, die neuen Pflanzungen mit trefflichen Straßen und
Brücken verbanden und in kurzer Frist die etwa noch seßhaften Barbaren an Sitte,
Sprache und Denkart in Römer umwandelten: sie waren anch befähigt, untrüg-
lichen Blickes die Naturgaben der neuen Provinz zu erspähen, und alles Vor¬
handene zur sinnreichsten Benutzung auszubeuten. Sie verpflanzten gedeihlich
ihre edleren Obstbäume, Getreidearten und Gemüse unter den fremden Himmels¬
strich und schickten eigenthümliche Feld- und Walderzeugnisse, ja selbst Rüben zum
Genuß in ihre Hauptstadt; sie bewässerten künstlich Wiesen und Ackerland und
zwangen die Oed^, bisher unbekannte Frucht zu tragen; sie durchforschten Ströme
und Bäche uach neuen, leckeren Fischgattungen, veredelten die Hausthiere; sie
schürften nach Metallen, gruben nach Salzquellen, fanden überall den dauerbarsten
Stein zu Staats- und häuslichen Bauten, wandten bereits die noch jetzt gesuchten
härtesten Steinarten (Lava) zu ihren Mühlwerken, den zähesten Thon zu ihren


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[0424] Wo der Verfasser selbst spricht, sind seine Worte ausgezeichnet; sie sollen als Probe seines Stils und seiner Darstellung dienen. Eine ganze Welt von antiber Bildung mußte auch in Deutschland zertrüm¬ mert werden, bevor die Gamanenstädte aufwachsen konnten „Seit Augustus den Rhein als die Grenze Galliens, der Eroberung seines Oheims, ansprach, und auf dem linken Ufer des Stroms ein oberes und niederes Germa- nien geschaffen hatte; seit seine Stiefsöhne, Tiberius und Drusus, auch die Länder südlich der Donau gewonnen, und als Noricum, Rhätien und Viudelicieu zur Provinz gemacht (zwischen den Jahren 20 bis 15 v. Chr.), begann eine wunderbar schnelle Entwickelung der Cultur in jenen Halbceltischen, halbgermanischen Gebieten. Ungeachtet des Drusus Eroberung im innern Deutschland durch die Niederlage des Varus verloren ging, und die Römer der Bezwingung Großgermaniens ent¬ sagen mußten, verstanden sie doch ihre Herrschaft zwischen dem Oberrhein und der Oberdouan zu befestigen und sicherten im Laufe der ersten christlichen Jahr¬ hunderte das herrliche Südwestdeutschland dnrch den Pfalgrabcn, welcher vom Taunusgebirge über Main und Neckar bis zur Mündung der Altmühl in die Donau sich hinwand. Die so eingehegten Gebiete, nach heutiger Bezeichnung die Herzogtümer und Großherzogthümer Nassau, Darmstadt, Baden und sast das ganze Königreich Würtemberg, nebst einem Theile des bairischen Frankens,, wurden als römisches Zehutlaud auf fast drei Jahrhunderte der germanischen Freiheit ent¬ zogen, gewannen aber zeitweise nnter römischem Schutze und römischer Pflege eine Bodencnltur und verfeinerte Lebensweise, welche den jenseitigen Stammländern ein Jahrtausend fremd blieben. Denn nicht allein daß die Römer die von Bar¬ baren spärlich bewohnte Wüste, der wiederholten Einfälle ungeachtet, schnell in blühende Provinzen umschufen, indem sie überall erst feste Knegsplätze anlegten, und in deren Bereich Mnnicipalstädte mit Märkten, Tempeln, Theatern, Gerichts- hänsern, Wasserleitungen, Bädern, mit dem gesammten städtischen Luxus der über- alpischen Heimath gründeten, die neuen Pflanzungen mit trefflichen Straßen und Brücken verbanden und in kurzer Frist die etwa noch seßhaften Barbaren an Sitte, Sprache und Denkart in Römer umwandelten: sie waren anch befähigt, untrüg- lichen Blickes die Naturgaben der neuen Provinz zu erspähen, und alles Vor¬ handene zur sinnreichsten Benutzung auszubeuten. Sie verpflanzten gedeihlich ihre edleren Obstbäume, Getreidearten und Gemüse unter den fremden Himmels¬ strich und schickten eigenthümliche Feld- und Walderzeugnisse, ja selbst Rüben zum Genuß in ihre Hauptstadt; sie bewässerten künstlich Wiesen und Ackerland und zwangen die Oed^, bisher unbekannte Frucht zu tragen; sie durchforschten Ströme und Bäche uach neuen, leckeren Fischgattungen, veredelten die Hausthiere; sie schürften nach Metallen, gruben nach Salzquellen, fanden überall den dauerbarsten Stein zu Staats- und häuslichen Bauten, wandten bereits die noch jetzt gesuchten härtesten Steinarten (Lava) zu ihren Mühlwerken, den zähesten Thon zu ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/424>, abgerufen am 24.07.2024.