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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Holstciner uicht mehr gut genug sein?" -- Der Befehl ist da, daß Sie als
Marketenderin nicht mehr geduldet werden sollen; gehen Sie! -- Was der Drache
bis dahin an Feuer gespieen hatte, war wie ein harmloser Leuchtkäfer gegen die
Brandrakete von Zorn, welche jetzt losfuhr. Sie strengte sich mit Flüchen an,
bis ihr Hut schlitterte, als müßte er voll ihrem Kopfe fallen. Das Hereinrufen
der Ordonnanz und die Drohung, sie auf die Polizei zu schicken, gab ihr eine
anständige Veranlassung zum Rückzug. Sie schied mit einem verzweifelten An¬
erbieten, wobei sie die Hinterseite ihrer Röcke aufhob, und mit dem frommen
Wunsch: "Na, darauf freue ich mir schou, wenn ich euch mau erst Alle aufge¬
hängt am Galgen sehe." -- Ihr Schnauben und Feuerspeier vor der Thür
wurde durch ein Geräusch unterbrochen, welches mit dem Hinauswerfen eines
schweren Körpers große Ähnlichkeit hatte. Die sittliche Befriedigung, mir wel¬
cher die Ordonnanz gleich darauf in meine Stube trat, läßt mich fürchten, daß
er den Rückzug des Drachen durch ein gewagtes Manövre beschleunigt hat. --

Wieder sitze ich: 10-13--29--35--"Ordonnanz des Generals mit einer
Meldung." Ich soll sogleich nach dem Gasthofe gehn und der Braut eines Offi-
ciers, welche so eben ans Ostpreußen hier angekommen ist, Nachricht über den
Aufenthalt ihres verwundeten Verlobten geben, außerdem der Dame in allem
Möglichen behülflich sein. Jetzt hat meine Rechnung einen Stoß erhalten, von
dem sie sich heut uicht wieder erholen kauu. Die Addition liegt in Trümmern,
nie werde ich das Facit der verwünschten Liste vor mir scheu, das ist klar. --
Der Bräutigam war vor drei Tagen an seinen Wunden gestorben, gestern erst
hatten wir ihn begraben, und ein edler hochherziger Bursch war es gewesen.
Und das eiuer verzweifelten Braut zu erzählen, die 100 Meilen weit herkommt?
ihren Liebling zu pflegen! Das war mein lockender Auftrag. Schwermüthig
schnallte ich deu Säbel um und ging laugsam uach dem Gasthofe, deun ich wußte,
was mich erwartete. Erst die Woche vorher hatte ich einer Mutter denselben
Liebesdienst erwiesen. Die würdige Frau, Muster einer braven deutschen Bür¬
gersfrau, hatte zwei Stunden auf meiner Stube gesessen, sich Schnupftuch und
Kleider naß weinend, und hatte mir ausführlich erzählt, wie brav und hübsch ihr
Sohn von klein ans gewesen, wie verständig er aus den Windeln gekrochen
sei und mit welcher Treue er ihr in der Nahrung geholfen habe; bis ich Barbar
fast ebenso erweicht war, wie die arme Mutter. Zuletzt schieden wir, indem sie
mich bat, sie nach dem Kriege in ihrer Heimath zu besuchen; sie hatte die Kin-
dermützchen noch, und das Röckchen, das der Todte einst getragen, das wollte sie
mir zeigen. Zum Teufel, wenn Einer uoch die Kindermützen von alle den braven
Jungen besehen soll, die in unserem Kriege vom Leben geschieden sind, so ist das
doch zu viel verlangt. Und ich bin fast in der Lage. In diesen unheimlichen
Betrachtungen stieg ich zögernd die Treppe hinauf und wiederholte mir mecha-
nisch die eindringliche Ermahnung an mich selbst, sehr zart und schonend zu sein.


Holstciner uicht mehr gut genug sein?" — Der Befehl ist da, daß Sie als
Marketenderin nicht mehr geduldet werden sollen; gehen Sie! — Was der Drache
bis dahin an Feuer gespieen hatte, war wie ein harmloser Leuchtkäfer gegen die
Brandrakete von Zorn, welche jetzt losfuhr. Sie strengte sich mit Flüchen an,
bis ihr Hut schlitterte, als müßte er voll ihrem Kopfe fallen. Das Hereinrufen
der Ordonnanz und die Drohung, sie auf die Polizei zu schicken, gab ihr eine
anständige Veranlassung zum Rückzug. Sie schied mit einem verzweifelten An¬
erbieten, wobei sie die Hinterseite ihrer Röcke aufhob, und mit dem frommen
Wunsch: „Na, darauf freue ich mir schou, wenn ich euch mau erst Alle aufge¬
hängt am Galgen sehe." — Ihr Schnauben und Feuerspeier vor der Thür
wurde durch ein Geräusch unterbrochen, welches mit dem Hinauswerfen eines
schweren Körpers große Ähnlichkeit hatte. Die sittliche Befriedigung, mir wel¬
cher die Ordonnanz gleich darauf in meine Stube trat, läßt mich fürchten, daß
er den Rückzug des Drachen durch ein gewagtes Manövre beschleunigt hat. —

Wieder sitze ich: 10-13—29—35—„Ordonnanz des Generals mit einer
Meldung." Ich soll sogleich nach dem Gasthofe gehn und der Braut eines Offi-
ciers, welche so eben ans Ostpreußen hier angekommen ist, Nachricht über den
Aufenthalt ihres verwundeten Verlobten geben, außerdem der Dame in allem
Möglichen behülflich sein. Jetzt hat meine Rechnung einen Stoß erhalten, von
dem sie sich heut uicht wieder erholen kauu. Die Addition liegt in Trümmern,
nie werde ich das Facit der verwünschten Liste vor mir scheu, das ist klar. —
Der Bräutigam war vor drei Tagen an seinen Wunden gestorben, gestern erst
hatten wir ihn begraben, und ein edler hochherziger Bursch war es gewesen.
Und das eiuer verzweifelten Braut zu erzählen, die 100 Meilen weit herkommt?
ihren Liebling zu pflegen! Das war mein lockender Auftrag. Schwermüthig
schnallte ich deu Säbel um und ging laugsam uach dem Gasthofe, deun ich wußte,
was mich erwartete. Erst die Woche vorher hatte ich einer Mutter denselben
Liebesdienst erwiesen. Die würdige Frau, Muster einer braven deutschen Bür¬
gersfrau, hatte zwei Stunden auf meiner Stube gesessen, sich Schnupftuch und
Kleider naß weinend, und hatte mir ausführlich erzählt, wie brav und hübsch ihr
Sohn von klein ans gewesen, wie verständig er aus den Windeln gekrochen
sei und mit welcher Treue er ihr in der Nahrung geholfen habe; bis ich Barbar
fast ebenso erweicht war, wie die arme Mutter. Zuletzt schieden wir, indem sie
mich bat, sie nach dem Kriege in ihrer Heimath zu besuchen; sie hatte die Kin-
dermützchen noch, und das Röckchen, das der Todte einst getragen, das wollte sie
mir zeigen. Zum Teufel, wenn Einer uoch die Kindermützen von alle den braven
Jungen besehen soll, die in unserem Kriege vom Leben geschieden sind, so ist das
doch zu viel verlangt. Und ich bin fast in der Lage. In diesen unheimlichen
Betrachtungen stieg ich zögernd die Treppe hinauf und wiederholte mir mecha-
nisch die eindringliche Ermahnung an mich selbst, sehr zart und schonend zu sein.


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[0415] Holstciner uicht mehr gut genug sein?" — Der Befehl ist da, daß Sie als Marketenderin nicht mehr geduldet werden sollen; gehen Sie! — Was der Drache bis dahin an Feuer gespieen hatte, war wie ein harmloser Leuchtkäfer gegen die Brandrakete von Zorn, welche jetzt losfuhr. Sie strengte sich mit Flüchen an, bis ihr Hut schlitterte, als müßte er voll ihrem Kopfe fallen. Das Hereinrufen der Ordonnanz und die Drohung, sie auf die Polizei zu schicken, gab ihr eine anständige Veranlassung zum Rückzug. Sie schied mit einem verzweifelten An¬ erbieten, wobei sie die Hinterseite ihrer Röcke aufhob, und mit dem frommen Wunsch: „Na, darauf freue ich mir schou, wenn ich euch mau erst Alle aufge¬ hängt am Galgen sehe." — Ihr Schnauben und Feuerspeier vor der Thür wurde durch ein Geräusch unterbrochen, welches mit dem Hinauswerfen eines schweren Körpers große Ähnlichkeit hatte. Die sittliche Befriedigung, mir wel¬ cher die Ordonnanz gleich darauf in meine Stube trat, läßt mich fürchten, daß er den Rückzug des Drachen durch ein gewagtes Manövre beschleunigt hat. — Wieder sitze ich: 10-13—29—35—„Ordonnanz des Generals mit einer Meldung." Ich soll sogleich nach dem Gasthofe gehn und der Braut eines Offi- ciers, welche so eben ans Ostpreußen hier angekommen ist, Nachricht über den Aufenthalt ihres verwundeten Verlobten geben, außerdem der Dame in allem Möglichen behülflich sein. Jetzt hat meine Rechnung einen Stoß erhalten, von dem sie sich heut uicht wieder erholen kauu. Die Addition liegt in Trümmern, nie werde ich das Facit der verwünschten Liste vor mir scheu, das ist klar. — Der Bräutigam war vor drei Tagen an seinen Wunden gestorben, gestern erst hatten wir ihn begraben, und ein edler hochherziger Bursch war es gewesen. Und das eiuer verzweifelten Braut zu erzählen, die 100 Meilen weit herkommt? ihren Liebling zu pflegen! Das war mein lockender Auftrag. Schwermüthig schnallte ich deu Säbel um und ging laugsam uach dem Gasthofe, deun ich wußte, was mich erwartete. Erst die Woche vorher hatte ich einer Mutter denselben Liebesdienst erwiesen. Die würdige Frau, Muster einer braven deutschen Bür¬ gersfrau, hatte zwei Stunden auf meiner Stube gesessen, sich Schnupftuch und Kleider naß weinend, und hatte mir ausführlich erzählt, wie brav und hübsch ihr Sohn von klein ans gewesen, wie verständig er aus den Windeln gekrochen sei und mit welcher Treue er ihr in der Nahrung geholfen habe; bis ich Barbar fast ebenso erweicht war, wie die arme Mutter. Zuletzt schieden wir, indem sie mich bat, sie nach dem Kriege in ihrer Heimath zu besuchen; sie hatte die Kin- dermützchen noch, und das Röckchen, das der Todte einst getragen, das wollte sie mir zeigen. Zum Teufel, wenn Einer uoch die Kindermützen von alle den braven Jungen besehen soll, die in unserem Kriege vom Leben geschieden sind, so ist das doch zu viel verlangt. Und ich bin fast in der Lage. In diesen unheimlichen Betrachtungen stieg ich zögernd die Treppe hinauf und wiederholte mir mecha- nisch die eindringliche Ermahnung an mich selbst, sehr zart und schonend zu sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/415>, abgerufen am 24.07.2024.