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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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süchtig; "Officier!" sprudelte er, "meine Bildung, meine geistigen Vorzüge be¬
rechtigen mich zu dieser Anforderung. In dem Reiche meiner Kunst bin ich oft
mehr gewesen als Lieutenant; glauben Sie, daß ich nicht im Stande bin, Ihren
Soldaten gegenüber einen Lieutenant vorzustellen?" Als ich ihm darauf eine
wohlwollende Bewegung nach der Thür machte, wurde sein Spiel sehr groß, denn
er fühlte, daß der fünfte Act seiner Debutrolle beginne und ließ deshalb seine volle
tragische Kraft gegen mich wirken: "Mit glühendem Herzen kam ich hierher und
gemeine Vorurtheile und rohen Undank muß ich finden. Stoßen Sie nur die
edlen Seelen zurück, welche sich opfern wollen für Ihre Sache, die Schmach fällt
ans Sie, und Deutschland soll es wissen, wie mau hier seine Künstler behandelt."
Dabei wandte sich der Künstler um, bewegte den Hut, dessen Haare sich jetzt
wahrhaft fürchterlich sträubten, nach seinem Haupte und schritt mit jener bekannten
Wendung und dem vernichtenden Blick zur Thüre hinaus, mit welchem der hoch¬
herzige Held deu zerknirschten Bösewicht nach den Regeln der Bühnenkunst ver¬
lassen muß. -- Einige Tage spater sah ich ihn in einem Hansen Recruten unter
dem Commando eiues zornigen Unterofficiers die ersten Handgriffe mit dein
Gewehr einüben, doch dauerte diese Unterdrückung des großen Künstlers nur
kurze Zeit; er wurde als unnützes, liederliches Subject mit ZwaugSpaß über die
Greuze geschickt.

Lachend setzte ich mich zu meinen Rechnungen, die Addition mußte aber von
vorn angefangen werden. 10--35. Was gibt's, Johann? -- "Herr Adjutant,
ein Bauer aus dem Dicthmarschen steht draußen."

Ein alter wohlhäbiger Mann trat ein, mit weißem Haar, breiten Schultern
und dem festen kernigen Wesen, das man hier im Laude so häufig findet. Er
schüttelte mir kräftig die Hand und frug uach dem Aufenthalt seines verwundeten
Sohns, der als Freiwilliger bei einem Jäger.corps diente. Ich fülle dem Alten
ein Glas Portwein, sehe in den Listen nach und kauu ihm die tröstliche Versiche¬
rung geben, daß sein Sohn in der Besserung ist und im Lazarett) No. 7 liegt.
"Schön Dank, Herr Lieutenant," sagt der Bauer in seinem Dialekt, "'s wär
mir lieb, wenn der Johann mit dem Leben und gesunden Knochen davonkäme.
'S ist schon der dritte Junge; einer blieb 48, der andere 49; es wär mir nicht
recht, wenn der dritte in diesem Jahre draufgiuge." -- Hartes Schicksal, warf
ich ein. -- "Hart ist es wohl. Wenn wir nnr von dem Dänen freikomme",
das kauu trösten, und es wird trösten, sprach er herzhaft. Wir denken so bei
uns im Dithmarschen: Wir wollen's durchsetzen; unsern letzten Sohn und die
letzte Kuh und das letzte Pferd im Stalle setzen wir dran, daß wir freikommen
von den verdammten Dänen." -- Ihr müßt jetzt viel hergeben, die Kriegscon-
tribntion greift euch stark an. -- " Oh, mein bester Herr Lieutenant," versetzte
er ruhig, "noch geht es an. So lange der dänische König es aushält, halten
wir es auch noch aus, und wir haben zuletzt noch einen Thaler mehr in der


süchtig; „Officier!" sprudelte er, „meine Bildung, meine geistigen Vorzüge be¬
rechtigen mich zu dieser Anforderung. In dem Reiche meiner Kunst bin ich oft
mehr gewesen als Lieutenant; glauben Sie, daß ich nicht im Stande bin, Ihren
Soldaten gegenüber einen Lieutenant vorzustellen?" Als ich ihm darauf eine
wohlwollende Bewegung nach der Thür machte, wurde sein Spiel sehr groß, denn
er fühlte, daß der fünfte Act seiner Debutrolle beginne und ließ deshalb seine volle
tragische Kraft gegen mich wirken: „Mit glühendem Herzen kam ich hierher und
gemeine Vorurtheile und rohen Undank muß ich finden. Stoßen Sie nur die
edlen Seelen zurück, welche sich opfern wollen für Ihre Sache, die Schmach fällt
ans Sie, und Deutschland soll es wissen, wie mau hier seine Künstler behandelt."
Dabei wandte sich der Künstler um, bewegte den Hut, dessen Haare sich jetzt
wahrhaft fürchterlich sträubten, nach seinem Haupte und schritt mit jener bekannten
Wendung und dem vernichtenden Blick zur Thüre hinaus, mit welchem der hoch¬
herzige Held deu zerknirschten Bösewicht nach den Regeln der Bühnenkunst ver¬
lassen muß. — Einige Tage spater sah ich ihn in einem Hansen Recruten unter
dem Commando eiues zornigen Unterofficiers die ersten Handgriffe mit dein
Gewehr einüben, doch dauerte diese Unterdrückung des großen Künstlers nur
kurze Zeit; er wurde als unnützes, liederliches Subject mit ZwaugSpaß über die
Greuze geschickt.

Lachend setzte ich mich zu meinen Rechnungen, die Addition mußte aber von
vorn angefangen werden. 10—35. Was gibt's, Johann? — „Herr Adjutant,
ein Bauer aus dem Dicthmarschen steht draußen."

Ein alter wohlhäbiger Mann trat ein, mit weißem Haar, breiten Schultern
und dem festen kernigen Wesen, das man hier im Laude so häufig findet. Er
schüttelte mir kräftig die Hand und frug uach dem Aufenthalt seines verwundeten
Sohns, der als Freiwilliger bei einem Jäger.corps diente. Ich fülle dem Alten
ein Glas Portwein, sehe in den Listen nach und kauu ihm die tröstliche Versiche¬
rung geben, daß sein Sohn in der Besserung ist und im Lazarett) No. 7 liegt.
„Schön Dank, Herr Lieutenant," sagt der Bauer in seinem Dialekt, „'s wär
mir lieb, wenn der Johann mit dem Leben und gesunden Knochen davonkäme.
'S ist schon der dritte Junge; einer blieb 48, der andere 49; es wär mir nicht
recht, wenn der dritte in diesem Jahre draufgiuge." — Hartes Schicksal, warf
ich ein. — „Hart ist es wohl. Wenn wir nnr von dem Dänen freikomme«,
das kauu trösten, und es wird trösten, sprach er herzhaft. Wir denken so bei
uns im Dithmarschen: Wir wollen's durchsetzen; unsern letzten Sohn und die
letzte Kuh und das letzte Pferd im Stalle setzen wir dran, daß wir freikommen
von den verdammten Dänen." — Ihr müßt jetzt viel hergeben, die Kriegscon-
tribntion greift euch stark an. — „ Oh, mein bester Herr Lieutenant," versetzte
er ruhig, „noch geht es an. So lange der dänische König es aushält, halten
wir es auch noch aus, und wir haben zuletzt noch einen Thaler mehr in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/413>, abgerufen am 23.07.2024.