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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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dummen Kugel wegen unbestellt bleibt. Es gibt viele Geister, welche auf ver¬
ödeten Schlachtstätten umherirren, am ruhelosesten siud sicherlich die Gespenster
aller armen Adjutanten, welche im Carriercritt getödtet worden sind. Bei
Kaulbach's Hunnenschlacht ist es iuir immer als ein bedeutender Fehler erschienen,
daß er die behendesten aller Gespenster, die Adjutanten vergessen hat.

Ermüdet, verfroren und durchnäßt bis auf die letzte Faser der Kleidung ritt
ich in später Nacht von einer langen Recognoscirung in's Quartier zurück. Viele
Stunden hatte ich auf dem Pferde zugebracht, welches sich mühsam in dem tiefen
Schlamm der Wege fortarbeitete. Der scharfe Nordwestwind hatte mir die Klei¬
der auf dem Leibe getrocknet, bis ein neuer heftiger Regenschauer sich das Ver¬
gnügen machte, mich noch gründlicher durchzuweichen; dazu spritzte der Schmutz
bei jedem raschen Schritt des Pferdes so hoch herauf, daß zuletzt auch das Ge¬
sicht mit eiuer chocoladenfarbigen teuflischen Maske wie überzogen war. Ich
murrte zwar, wenn mir ein flüssiges Stück Heerstraße in's Gesicht sprang, aber
ich wischte es doch verächtlich ab, denn in mir flötete es, wie in einer Spieluhr:
Morgen ist bei dem Weg und Wetter von Manövriren keine Rede, die Dänen
können uus ohne dies nicht angreifen, wir sie ebenso wenig; der ganze Vormit¬
tag gehört mir. Endlich werde ich einmal Briefe schreiben, Zeitungen lesen und
im Morgeurock mein Lever halten. Bei solchen wohlthuenden Phantasien ver¬
wandelte sich mir das Brausen des Windes in das Brodeln der Kaffeekanne auf
dem Ofen, und das Klappern meines Säbels in das Geklirr von Gläsern und
Tassen, bis ich an das Thor von Rendsburg und zu meinem Quartier kam.
Heut war mein hartes Lager weich. Die Einquartierung in Rendsburg ist, was
man mit deutscher Bescheidenheit ein wenig stark nennt, und da kann man den
Qnartiergebem uicht verdenken, wenn sie sich zu helfen suchen, und aus zwei
Betten drei, vier und selbst fünf machen. Auf den Einzelnen kommt dann frei¬
lich nicht allzuviel; indeß behaglicher hat man es immer noch, als die Kameraden
ans den Dörfern im Cantonnement oder gar im Bivuak. Auch das Kindergeschrei
in der Nebenstube, welche uur durch eine leichte Bretterwand von der meinen
getrennt und mit Schreihälsen jedes Alters und Geschlechts vollgepfropft ist,
soll mich in dieser Nacht gar uicht stören, so willkommene Ursache unzähliger
Flüche diese Nachbarschaft anch sonst sür die Einquanierteu ist. -- Ich liege, ich
schließe vergnügt die Augen, ich beginne sogleich von meinen Reitstiefeln zu träu¬
men, welche hinter den Schranken ihre Gesichter in düstere Falten legen, über
ihr Schicksal iveiueu, daß das Wasser bis mitten in die Stube läuft, und endlich
einander aus Verzweiflung mit den Sporen die Physiognomie zerkratzen. -- Da
horch! Pferdegetrapp mitten in der Nacht, man hält vor dem Hanse; kräftiges
Hämmern einer schweren Faust an die Thür, selbst ein Siebenschläfer müßte
erwachen. "Sollten die Dänen einen nächtlichen Ueberfall auf die Vorpo¬
sten versuchen? Sie müßten wahnsinnig sein, wenn sie in solcher Nacht ans


dummen Kugel wegen unbestellt bleibt. Es gibt viele Geister, welche auf ver¬
ödeten Schlachtstätten umherirren, am ruhelosesten siud sicherlich die Gespenster
aller armen Adjutanten, welche im Carriercritt getödtet worden sind. Bei
Kaulbach's Hunnenschlacht ist es iuir immer als ein bedeutender Fehler erschienen,
daß er die behendesten aller Gespenster, die Adjutanten vergessen hat.

Ermüdet, verfroren und durchnäßt bis auf die letzte Faser der Kleidung ritt
ich in später Nacht von einer langen Recognoscirung in's Quartier zurück. Viele
Stunden hatte ich auf dem Pferde zugebracht, welches sich mühsam in dem tiefen
Schlamm der Wege fortarbeitete. Der scharfe Nordwestwind hatte mir die Klei¬
der auf dem Leibe getrocknet, bis ein neuer heftiger Regenschauer sich das Ver¬
gnügen machte, mich noch gründlicher durchzuweichen; dazu spritzte der Schmutz
bei jedem raschen Schritt des Pferdes so hoch herauf, daß zuletzt auch das Ge¬
sicht mit eiuer chocoladenfarbigen teuflischen Maske wie überzogen war. Ich
murrte zwar, wenn mir ein flüssiges Stück Heerstraße in's Gesicht sprang, aber
ich wischte es doch verächtlich ab, denn in mir flötete es, wie in einer Spieluhr:
Morgen ist bei dem Weg und Wetter von Manövriren keine Rede, die Dänen
können uus ohne dies nicht angreifen, wir sie ebenso wenig; der ganze Vormit¬
tag gehört mir. Endlich werde ich einmal Briefe schreiben, Zeitungen lesen und
im Morgeurock mein Lever halten. Bei solchen wohlthuenden Phantasien ver¬
wandelte sich mir das Brausen des Windes in das Brodeln der Kaffeekanne auf
dem Ofen, und das Klappern meines Säbels in das Geklirr von Gläsern und
Tassen, bis ich an das Thor von Rendsburg und zu meinem Quartier kam.
Heut war mein hartes Lager weich. Die Einquartierung in Rendsburg ist, was
man mit deutscher Bescheidenheit ein wenig stark nennt, und da kann man den
Qnartiergebem uicht verdenken, wenn sie sich zu helfen suchen, und aus zwei
Betten drei, vier und selbst fünf machen. Auf den Einzelnen kommt dann frei¬
lich nicht allzuviel; indeß behaglicher hat man es immer noch, als die Kameraden
ans den Dörfern im Cantonnement oder gar im Bivuak. Auch das Kindergeschrei
in der Nebenstube, welche uur durch eine leichte Bretterwand von der meinen
getrennt und mit Schreihälsen jedes Alters und Geschlechts vollgepfropft ist,
soll mich in dieser Nacht gar uicht stören, so willkommene Ursache unzähliger
Flüche diese Nachbarschaft anch sonst sür die Einquanierteu ist. — Ich liege, ich
schließe vergnügt die Augen, ich beginne sogleich von meinen Reitstiefeln zu träu¬
men, welche hinter den Schranken ihre Gesichter in düstere Falten legen, über
ihr Schicksal iveiueu, daß das Wasser bis mitten in die Stube läuft, und endlich
einander aus Verzweiflung mit den Sporen die Physiognomie zerkratzen. — Da
horch! Pferdegetrapp mitten in der Nacht, man hält vor dem Hanse; kräftiges
Hämmern einer schweren Faust an die Thür, selbst ein Siebenschläfer müßte
erwachen. „Sollten die Dänen einen nächtlichen Ueberfall auf die Vorpo¬
sten versuchen? Sie müßten wahnsinnig sein, wenn sie in solcher Nacht ans


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[0410] dummen Kugel wegen unbestellt bleibt. Es gibt viele Geister, welche auf ver¬ ödeten Schlachtstätten umherirren, am ruhelosesten siud sicherlich die Gespenster aller armen Adjutanten, welche im Carriercritt getödtet worden sind. Bei Kaulbach's Hunnenschlacht ist es iuir immer als ein bedeutender Fehler erschienen, daß er die behendesten aller Gespenster, die Adjutanten vergessen hat. Ermüdet, verfroren und durchnäßt bis auf die letzte Faser der Kleidung ritt ich in später Nacht von einer langen Recognoscirung in's Quartier zurück. Viele Stunden hatte ich auf dem Pferde zugebracht, welches sich mühsam in dem tiefen Schlamm der Wege fortarbeitete. Der scharfe Nordwestwind hatte mir die Klei¬ der auf dem Leibe getrocknet, bis ein neuer heftiger Regenschauer sich das Ver¬ gnügen machte, mich noch gründlicher durchzuweichen; dazu spritzte der Schmutz bei jedem raschen Schritt des Pferdes so hoch herauf, daß zuletzt auch das Ge¬ sicht mit eiuer chocoladenfarbigen teuflischen Maske wie überzogen war. Ich murrte zwar, wenn mir ein flüssiges Stück Heerstraße in's Gesicht sprang, aber ich wischte es doch verächtlich ab, denn in mir flötete es, wie in einer Spieluhr: Morgen ist bei dem Weg und Wetter von Manövriren keine Rede, die Dänen können uus ohne dies nicht angreifen, wir sie ebenso wenig; der ganze Vormit¬ tag gehört mir. Endlich werde ich einmal Briefe schreiben, Zeitungen lesen und im Morgeurock mein Lever halten. Bei solchen wohlthuenden Phantasien ver¬ wandelte sich mir das Brausen des Windes in das Brodeln der Kaffeekanne auf dem Ofen, und das Klappern meines Säbels in das Geklirr von Gläsern und Tassen, bis ich an das Thor von Rendsburg und zu meinem Quartier kam. Heut war mein hartes Lager weich. Die Einquartierung in Rendsburg ist, was man mit deutscher Bescheidenheit ein wenig stark nennt, und da kann man den Qnartiergebem uicht verdenken, wenn sie sich zu helfen suchen, und aus zwei Betten drei, vier und selbst fünf machen. Auf den Einzelnen kommt dann frei¬ lich nicht allzuviel; indeß behaglicher hat man es immer noch, als die Kameraden ans den Dörfern im Cantonnement oder gar im Bivuak. Auch das Kindergeschrei in der Nebenstube, welche uur durch eine leichte Bretterwand von der meinen getrennt und mit Schreihälsen jedes Alters und Geschlechts vollgepfropft ist, soll mich in dieser Nacht gar uicht stören, so willkommene Ursache unzähliger Flüche diese Nachbarschaft anch sonst sür die Einquanierteu ist. — Ich liege, ich schließe vergnügt die Augen, ich beginne sogleich von meinen Reitstiefeln zu träu¬ men, welche hinter den Schranken ihre Gesichter in düstere Falten legen, über ihr Schicksal iveiueu, daß das Wasser bis mitten in die Stube läuft, und endlich einander aus Verzweiflung mit den Sporen die Physiognomie zerkratzen. — Da horch! Pferdegetrapp mitten in der Nacht, man hält vor dem Hanse; kräftiges Hämmern einer schweren Faust an die Thür, selbst ein Siebenschläfer müßte erwachen. „Sollten die Dänen einen nächtlichen Ueberfall auf die Vorpo¬ sten versuchen? Sie müßten wahnsinnig sein, wenn sie in solcher Nacht ans

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/410>, abgerufen am 23.07.2024.