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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Unheimlich und schreckenerregend, aber dabei doch großartig und gewaltig,
erschien den Römern das deutsche Land, das ebenso jugendlich frisch und
unberührt wie seine Bewohner seit Jahrhunderten seine Natur bewahrt hatte.
Wenn sie an ihr Italien dachten, wo thuen jeder Schritt Spuren uralter Cultur,
die Alles umgestaltet und dem Menschen wohnlich und freundlich gemacht hatte,
zeigte, wo Alles die Herrschaft des Menschen über die rohen Elementarkräfte
der Natur verkündigte: wie mußten sie über ein Land staunen, in welchem der
Mensch nur wie eine Art von geduldeten Gaste lebte, während rings um ihn
eben diese rohen Naturkräfte auf's Ueppigste und Unbeschränkteste sich entfalteten?
Sie sahen hier riesige Waldungen, mit Stämmen von nie gesehener Höhe bestanden,
einen Urwald mit all seiner Fülle und Kraft, aber auch mit seinem Moder und
Schauer, viele Tagereisen weit dnrch keine gerodete Stelle, durch keine menschliche
Wohnung unterbrochen, ohne Weg und Steg, über Berg und Thal sich erstreckend,
wie das Meer unendlich, dazwischen die gewaltigen Ströme, noch nngebändigt in
Jugendkrqft dahin fluchend, ohne Brücken und leer von Schiffen, aber tiefer und
reißender, als die Gewässer ihrer Heimath, endlich stille, heimliche Wieseuthäler,
mit dem üppigsten Grün bedeckt, zwischen dem Hochwald an den Flüssen hin, oft,
wie der Wald selbst, unterbrochen durch tiefe Seen, in denen sich himmelhohe
Bäume spiegelten. Und darüber eine meist von feuchten Nebeln oder schweren
Wolken erfüllte Luft, welche nur selten den Anblick des klaren blauen Himmels
gestattete. Diese laugen endlosen Winter mit ihren kalten Regenschauern, ihren
Schnee- und Eismassen, in denen das ganze Leben der Natur zu erstarren schien,
ließen den Eindruck der kurzen Sommer gänzlich verschwinden; Frühjahr und
Herbst, was den Römern besonders auffiel, war kaum vorhanden, fondern bei¬
nahe unmittelbar nach dem Winter kam der volle Sommer, und ebenso unver¬
mittelt folgte wieder jener auf diesen. Daß in solchem Klima ein Volk frisch und
unvcrkümmert sein Leben führe, wunderte die Römer, und doch hatte es die
Natur mit ihren Gaben nicht so stiefmütterlich bedacht, wie der unfreundliche,
launische Himmel vermuthen ließ. Denn wenn auch das ganze Land mit einziger
Ansnahme mancher Küstengegenden und breiten und milden Stromthäler in der
That einer zusammenhängenden Wildniß glich, in welcher sich sporadische Cultur¬
inseln befanden, so brachte es doch, wo es überhaupt angebaut wurde, seinen
Bewohnern, so lange sie nicht zu zahlreich wurden, genügenden Lebensunterhalt,
der sich noch durch den Ertrag der Jagd, der Fischerei und der Viehzucht ver¬
mehrte."

Die Aufgabe dieses Werkes war, die Veränderungen und Entwickelungen,
welche das deutsche Volk von der frühesten Zeit bis zur Gegenwart durchgemacht,
so darzustellen, daß die Wirkung der politischen Geschichte auf die Bildung des
Volkes, und der Einfluß der jedesmaligen Cultur ans die politischen Begeben¬
heiten in einer chronologisch geordneten Erzählung der Thatsachen und Zustände


Grenzvoten. IV. 1850. 115

Unheimlich und schreckenerregend, aber dabei doch großartig und gewaltig,
erschien den Römern das deutsche Land, das ebenso jugendlich frisch und
unberührt wie seine Bewohner seit Jahrhunderten seine Natur bewahrt hatte.
Wenn sie an ihr Italien dachten, wo thuen jeder Schritt Spuren uralter Cultur,
die Alles umgestaltet und dem Menschen wohnlich und freundlich gemacht hatte,
zeigte, wo Alles die Herrschaft des Menschen über die rohen Elementarkräfte
der Natur verkündigte: wie mußten sie über ein Land staunen, in welchem der
Mensch nur wie eine Art von geduldeten Gaste lebte, während rings um ihn
eben diese rohen Naturkräfte auf's Ueppigste und Unbeschränkteste sich entfalteten?
Sie sahen hier riesige Waldungen, mit Stämmen von nie gesehener Höhe bestanden,
einen Urwald mit all seiner Fülle und Kraft, aber auch mit seinem Moder und
Schauer, viele Tagereisen weit dnrch keine gerodete Stelle, durch keine menschliche
Wohnung unterbrochen, ohne Weg und Steg, über Berg und Thal sich erstreckend,
wie das Meer unendlich, dazwischen die gewaltigen Ströme, noch nngebändigt in
Jugendkrqft dahin fluchend, ohne Brücken und leer von Schiffen, aber tiefer und
reißender, als die Gewässer ihrer Heimath, endlich stille, heimliche Wieseuthäler,
mit dem üppigsten Grün bedeckt, zwischen dem Hochwald an den Flüssen hin, oft,
wie der Wald selbst, unterbrochen durch tiefe Seen, in denen sich himmelhohe
Bäume spiegelten. Und darüber eine meist von feuchten Nebeln oder schweren
Wolken erfüllte Luft, welche nur selten den Anblick des klaren blauen Himmels
gestattete. Diese laugen endlosen Winter mit ihren kalten Regenschauern, ihren
Schnee- und Eismassen, in denen das ganze Leben der Natur zu erstarren schien,
ließen den Eindruck der kurzen Sommer gänzlich verschwinden; Frühjahr und
Herbst, was den Römern besonders auffiel, war kaum vorhanden, fondern bei¬
nahe unmittelbar nach dem Winter kam der volle Sommer, und ebenso unver¬
mittelt folgte wieder jener auf diesen. Daß in solchem Klima ein Volk frisch und
unvcrkümmert sein Leben führe, wunderte die Römer, und doch hatte es die
Natur mit ihren Gaben nicht so stiefmütterlich bedacht, wie der unfreundliche,
launische Himmel vermuthen ließ. Denn wenn auch das ganze Land mit einziger
Ansnahme mancher Küstengegenden und breiten und milden Stromthäler in der
That einer zusammenhängenden Wildniß glich, in welcher sich sporadische Cultur¬
inseln befanden, so brachte es doch, wo es überhaupt angebaut wurde, seinen
Bewohnern, so lange sie nicht zu zahlreich wurden, genügenden Lebensunterhalt,
der sich noch durch den Ertrag der Jagd, der Fischerei und der Viehzucht ver¬
mehrte."

Die Aufgabe dieses Werkes war, die Veränderungen und Entwickelungen,
welche das deutsche Volk von der frühesten Zeit bis zur Gegenwart durchgemacht,
so darzustellen, daß die Wirkung der politischen Geschichte auf die Bildung des
Volkes, und der Einfluß der jedesmaligen Cultur ans die politischen Begeben¬
heiten in einer chronologisch geordneten Erzählung der Thatsachen und Zustände


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[0401] Unheimlich und schreckenerregend, aber dabei doch großartig und gewaltig, erschien den Römern das deutsche Land, das ebenso jugendlich frisch und unberührt wie seine Bewohner seit Jahrhunderten seine Natur bewahrt hatte. Wenn sie an ihr Italien dachten, wo thuen jeder Schritt Spuren uralter Cultur, die Alles umgestaltet und dem Menschen wohnlich und freundlich gemacht hatte, zeigte, wo Alles die Herrschaft des Menschen über die rohen Elementarkräfte der Natur verkündigte: wie mußten sie über ein Land staunen, in welchem der Mensch nur wie eine Art von geduldeten Gaste lebte, während rings um ihn eben diese rohen Naturkräfte auf's Ueppigste und Unbeschränkteste sich entfalteten? Sie sahen hier riesige Waldungen, mit Stämmen von nie gesehener Höhe bestanden, einen Urwald mit all seiner Fülle und Kraft, aber auch mit seinem Moder und Schauer, viele Tagereisen weit dnrch keine gerodete Stelle, durch keine menschliche Wohnung unterbrochen, ohne Weg und Steg, über Berg und Thal sich erstreckend, wie das Meer unendlich, dazwischen die gewaltigen Ströme, noch nngebändigt in Jugendkrqft dahin fluchend, ohne Brücken und leer von Schiffen, aber tiefer und reißender, als die Gewässer ihrer Heimath, endlich stille, heimliche Wieseuthäler, mit dem üppigsten Grün bedeckt, zwischen dem Hochwald an den Flüssen hin, oft, wie der Wald selbst, unterbrochen durch tiefe Seen, in denen sich himmelhohe Bäume spiegelten. Und darüber eine meist von feuchten Nebeln oder schweren Wolken erfüllte Luft, welche nur selten den Anblick des klaren blauen Himmels gestattete. Diese laugen endlosen Winter mit ihren kalten Regenschauern, ihren Schnee- und Eismassen, in denen das ganze Leben der Natur zu erstarren schien, ließen den Eindruck der kurzen Sommer gänzlich verschwinden; Frühjahr und Herbst, was den Römern besonders auffiel, war kaum vorhanden, fondern bei¬ nahe unmittelbar nach dem Winter kam der volle Sommer, und ebenso unver¬ mittelt folgte wieder jener auf diesen. Daß in solchem Klima ein Volk frisch und unvcrkümmert sein Leben führe, wunderte die Römer, und doch hatte es die Natur mit ihren Gaben nicht so stiefmütterlich bedacht, wie der unfreundliche, launische Himmel vermuthen ließ. Denn wenn auch das ganze Land mit einziger Ansnahme mancher Küstengegenden und breiten und milden Stromthäler in der That einer zusammenhängenden Wildniß glich, in welcher sich sporadische Cultur¬ inseln befanden, so brachte es doch, wo es überhaupt angebaut wurde, seinen Bewohnern, so lange sie nicht zu zahlreich wurden, genügenden Lebensunterhalt, der sich noch durch den Ertrag der Jagd, der Fischerei und der Viehzucht ver¬ mehrte." Die Aufgabe dieses Werkes war, die Veränderungen und Entwickelungen, welche das deutsche Volk von der frühesten Zeit bis zur Gegenwart durchgemacht, so darzustellen, daß die Wirkung der politischen Geschichte auf die Bildung des Volkes, und der Einfluß der jedesmaligen Cultur ans die politischen Begeben¬ heiten in einer chronologisch geordneten Erzählung der Thatsachen und Zustände Grenzvoten. IV. 1850. 115

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/401>, abgerufen am 22.07.2024.