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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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östreichischen Regierung überschüttn wird. -- Pulszky hat sich unttlerweile zu
Bayswater, ain äußersten Westende Londons, häuslich niedergelassen, und hat vor
den wenigsten ungarischen Emigranten das Glück voraus, seiue muthige, liebens¬
würdige Frau und seiue Kiuder bei sich zu haben. Seine frühere, den Magyaren
so eigenthümliche Nonchalance und Behäbigkeit hat ihn nicht einen Augenblick
lang verlassen. Herr v. Levitschuigg irrt sich, wenn er in seinem mehr bubenhasten
als schmutzigen und mehr schmutzigen als einseitigen Buche "Kossuth und seine
Bauuerschaft" sagt: "Und vielleicht kommt auch noch der Tag, an dem Latour's
blutiger Schatten sich wie Banko's Geist zwischen Mylord (Palmerston) und Pulszky
zur Tafel setzt, und dieser uicht mehr als Hamlet und Rächer, souderu als Macbeth
und Sünder Gelegenheit hat doppelsinnig zu rufen: ^dem eini5t not -so,)?, I cüitj
it-. reve-r 8liaKe et^ ^or^ 1ve1v8 at me! Herr v. Levitschuigg irrt sich entweder
in seiner Prophezeiung, die geschäftiger ist als die Geschäftigkeit des k. k. Kriegs¬
gerichtes, oder die traurige Zeit für Pulszky und Mylord ist noch nicht gekommen.
Beide sind bis jetzt noch keine Gespensterseher, auch sehen beide bis heutzutage
noch zu wenig geisterhaft aus, als daß man aus ihren Augen die nagende Ge¬
wissenspein durchwachter Nächte herauslesen könnte. --

Das Charakteristische an Pulszky ist seine Rührigkeit. Aug', Ohr und Füße
sind in ewiger Bewegung; daher kommt es, daß er über die kleinlichsten Vorgänge
in Oestreich, Frankreich, England, in aller Welt zu jeder Zeit gut unterrichtet ist.
Ueber seiue Befähigung zum Diplomaten läßt sich schwer ein Urtheil fällen,
da seine Thätigkeit ans diesem Felde durch die Katastrophe vou Vilagos frühzeitig
und gewaltsam unterbrochen wurde. Als Journalist besitzt er Schnelligkeit der
Auffassung, Gewandtheit im Schreiben, kaustische Schärfe, beißende Satyre, und
mauche scharfgeschriebeue Aufsätze in englischen Blättern über deutsche und speciell
östreichische Zustände fließen ans seiner Feder und erhalten die letzte englische
Feile durch deu Nochstift seiner Frau, welche deutsch, französisch, ungarisch und
englisch mit gleicher Fertigkeit schreibt. Pulszky's Haus ist mit der Einfachheit,
ja Dürftigkeit eines Verbannten eingerichtet, doch sich sein angeborner Tact die
frühern Verbindungen zu erhalten gewußt, die er währeud der Glanzperiode des
ungarischen Kriegs angeknüpft hatte. Er ist bei den Protectionisten, Liberalen,
Chartisten und digd lories ein gerngesehener Gast, setzt sich mit einer bewun¬
derungswürdigen Laune über die ungewohnten Entbehrungen seiner jetzigen Lage
hinaus und hat ebeu in Gemeinschaft mit Madame Pulszky zwei Bändchen unga¬
rischer "Sagen und Erzählungen" geschrieben, welche zu Weihnachten zugleich in
englischer und deutscher Sprache erscheinen werdeu. --

Der alte Böthy "der Löwe von Bihar" wohnte bis zu Ende der letzten
Parlamentssitzung bei Cobden und hat sich , als dieser London verließ, um auf
dem Friedhofe deutscher Träume: in der Paulskirche, den englischen Traum eines
ewigen Völkerfriedens zu predigen, in seine eigne Höhle zurückgezogen; doch bringt


östreichischen Regierung überschüttn wird. — Pulszky hat sich unttlerweile zu
Bayswater, ain äußersten Westende Londons, häuslich niedergelassen, und hat vor
den wenigsten ungarischen Emigranten das Glück voraus, seiue muthige, liebens¬
würdige Frau und seiue Kiuder bei sich zu haben. Seine frühere, den Magyaren
so eigenthümliche Nonchalance und Behäbigkeit hat ihn nicht einen Augenblick
lang verlassen. Herr v. Levitschuigg irrt sich, wenn er in seinem mehr bubenhasten
als schmutzigen und mehr schmutzigen als einseitigen Buche „Kossuth und seine
Bauuerschaft" sagt: „Und vielleicht kommt auch noch der Tag, an dem Latour's
blutiger Schatten sich wie Banko's Geist zwischen Mylord (Palmerston) und Pulszky
zur Tafel setzt, und dieser uicht mehr als Hamlet und Rächer, souderu als Macbeth
und Sünder Gelegenheit hat doppelsinnig zu rufen: ^dem eini5t not -so,)?, I cüitj
it-. reve-r 8liaKe et^ ^or^ 1ve1v8 at me! Herr v. Levitschuigg irrt sich entweder
in seiner Prophezeiung, die geschäftiger ist als die Geschäftigkeit des k. k. Kriegs¬
gerichtes, oder die traurige Zeit für Pulszky und Mylord ist noch nicht gekommen.
Beide sind bis jetzt noch keine Gespensterseher, auch sehen beide bis heutzutage
noch zu wenig geisterhaft aus, als daß man aus ihren Augen die nagende Ge¬
wissenspein durchwachter Nächte herauslesen könnte. —

Das Charakteristische an Pulszky ist seine Rührigkeit. Aug', Ohr und Füße
sind in ewiger Bewegung; daher kommt es, daß er über die kleinlichsten Vorgänge
in Oestreich, Frankreich, England, in aller Welt zu jeder Zeit gut unterrichtet ist.
Ueber seiue Befähigung zum Diplomaten läßt sich schwer ein Urtheil fällen,
da seine Thätigkeit ans diesem Felde durch die Katastrophe vou Vilagos frühzeitig
und gewaltsam unterbrochen wurde. Als Journalist besitzt er Schnelligkeit der
Auffassung, Gewandtheit im Schreiben, kaustische Schärfe, beißende Satyre, und
mauche scharfgeschriebeue Aufsätze in englischen Blättern über deutsche und speciell
östreichische Zustände fließen ans seiner Feder und erhalten die letzte englische
Feile durch deu Nochstift seiner Frau, welche deutsch, französisch, ungarisch und
englisch mit gleicher Fertigkeit schreibt. Pulszky's Haus ist mit der Einfachheit,
ja Dürftigkeit eines Verbannten eingerichtet, doch sich sein angeborner Tact die
frühern Verbindungen zu erhalten gewußt, die er währeud der Glanzperiode des
ungarischen Kriegs angeknüpft hatte. Er ist bei den Protectionisten, Liberalen,
Chartisten und digd lories ein gerngesehener Gast, setzt sich mit einer bewun¬
derungswürdigen Laune über die ungewohnten Entbehrungen seiner jetzigen Lage
hinaus und hat ebeu in Gemeinschaft mit Madame Pulszky zwei Bändchen unga¬
rischer „Sagen und Erzählungen" geschrieben, welche zu Weihnachten zugleich in
englischer und deutscher Sprache erscheinen werdeu. —

Der alte Böthy „der Löwe von Bihar" wohnte bis zu Ende der letzten
Parlamentssitzung bei Cobden und hat sich , als dieser London verließ, um auf
dem Friedhofe deutscher Träume: in der Paulskirche, den englischen Traum eines
ewigen Völkerfriedens zu predigen, in seine eigne Höhle zurückgezogen; doch bringt


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[0394] östreichischen Regierung überschüttn wird. — Pulszky hat sich unttlerweile zu Bayswater, ain äußersten Westende Londons, häuslich niedergelassen, und hat vor den wenigsten ungarischen Emigranten das Glück voraus, seiue muthige, liebens¬ würdige Frau und seiue Kiuder bei sich zu haben. Seine frühere, den Magyaren so eigenthümliche Nonchalance und Behäbigkeit hat ihn nicht einen Augenblick lang verlassen. Herr v. Levitschuigg irrt sich, wenn er in seinem mehr bubenhasten als schmutzigen und mehr schmutzigen als einseitigen Buche „Kossuth und seine Bauuerschaft" sagt: „Und vielleicht kommt auch noch der Tag, an dem Latour's blutiger Schatten sich wie Banko's Geist zwischen Mylord (Palmerston) und Pulszky zur Tafel setzt, und dieser uicht mehr als Hamlet und Rächer, souderu als Macbeth und Sünder Gelegenheit hat doppelsinnig zu rufen: ^dem eini5t not -so,)?, I cüitj it-. reve-r 8liaKe et^ ^or^ 1ve1v8 at me! Herr v. Levitschuigg irrt sich entweder in seiner Prophezeiung, die geschäftiger ist als die Geschäftigkeit des k. k. Kriegs¬ gerichtes, oder die traurige Zeit für Pulszky und Mylord ist noch nicht gekommen. Beide sind bis jetzt noch keine Gespensterseher, auch sehen beide bis heutzutage noch zu wenig geisterhaft aus, als daß man aus ihren Augen die nagende Ge¬ wissenspein durchwachter Nächte herauslesen könnte. — Das Charakteristische an Pulszky ist seine Rührigkeit. Aug', Ohr und Füße sind in ewiger Bewegung; daher kommt es, daß er über die kleinlichsten Vorgänge in Oestreich, Frankreich, England, in aller Welt zu jeder Zeit gut unterrichtet ist. Ueber seiue Befähigung zum Diplomaten läßt sich schwer ein Urtheil fällen, da seine Thätigkeit ans diesem Felde durch die Katastrophe vou Vilagos frühzeitig und gewaltsam unterbrochen wurde. Als Journalist besitzt er Schnelligkeit der Auffassung, Gewandtheit im Schreiben, kaustische Schärfe, beißende Satyre, und mauche scharfgeschriebeue Aufsätze in englischen Blättern über deutsche und speciell östreichische Zustände fließen ans seiner Feder und erhalten die letzte englische Feile durch deu Nochstift seiner Frau, welche deutsch, französisch, ungarisch und englisch mit gleicher Fertigkeit schreibt. Pulszky's Haus ist mit der Einfachheit, ja Dürftigkeit eines Verbannten eingerichtet, doch sich sein angeborner Tact die frühern Verbindungen zu erhalten gewußt, die er währeud der Glanzperiode des ungarischen Kriegs angeknüpft hatte. Er ist bei den Protectionisten, Liberalen, Chartisten und digd lories ein gerngesehener Gast, setzt sich mit einer bewun¬ derungswürdigen Laune über die ungewohnten Entbehrungen seiner jetzigen Lage hinaus und hat ebeu in Gemeinschaft mit Madame Pulszky zwei Bändchen unga¬ rischer „Sagen und Erzählungen" geschrieben, welche zu Weihnachten zugleich in englischer und deutscher Sprache erscheinen werdeu. — Der alte Böthy „der Löwe von Bihar" wohnte bis zu Ende der letzten Parlamentssitzung bei Cobden und hat sich , als dieser London verließ, um auf dem Friedhofe deutscher Träume: in der Paulskirche, den englischen Traum eines ewigen Völkerfriedens zu predigen, in seine eigne Höhle zurückgezogen; doch bringt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/394>, abgerufen am 22.07.2024.