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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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In Frankreich fand der große Cardinal Richelieu noch Muße, eine dritte un¬
besiegbare Macht, das Tageblatt, zu schaffen. Er erlaubte dem Arzte Theophil
Renaudot, die Nachrichten, welche die Eminenz für die Oeffentlichkeit für passend
hielt, täglich drücken zu lassen. So entstand das erste Tageblatt Frankreichs unter
dem Patronat feines despotischesten Ministers.

Nach seinem Tode wurde sie übermüthig und feierte ein wahres Carneval.
Das Hauptquartier der Presse war damals der Pont-neuf. "Man verkaufte die
Blätter," erzählt ein Zeitgenosse, Gabriel Rand6, "ganz frisch von der Presse,
wie Pasteten frisch aus dem Ofen. Es war ein hübscher Anblick, die Verkäufer
um dieselbe Stunde, wo mau in Rom das Frühstück für die kleinen Kinder ver¬
kaufte, durch die Straßen laufen zu sehen." Die giftigsten waren am raschesten
verkauft. Von dieser Art waren: I^e als pica zur Naxarin, In Lomdanee as
la ^ranee, la LomMInle 6e ees Venioise!1e8. Alle Welt schrieb welche, Brus-
cambille und Gauthier Garquille, die Histrionen des Pont-neuf und die Bänkel-
sänger auf den öffentlichen Plätzen, die Kellnerinnen und die Druckerjungen, von
denen eiuer in einem Tage sechs Stück schrieb und drückte. Manche riefen ihr
eignes Blatt auf der Straße aus. Die Kö'chiu eiues Buchhändlers schrieb welche,
wie Gabriel Naudv erzählt, nachdem sie ihre Töpfe gescheuert und ihre Löffel
gewaschen hatte. Diese Schriftsteller und Schriftstellerinnen in der- Ledermütze
und der Kücheuschürze ließen ihre schönen Sachen bei den Druckern des Q-näller
latin drucken. Scarron und Mariguy verpflichtete;: sich, für eine Pistole die Woche
eine Presse zu beschäftigen. Drei Franken für die Doppelseite in Quart, vier
Livres tonrnois sür ein Hauptwerk war der feste Preis.

In Frankreich folgte auf das Carneval der Presse währeud der Zeit der
Fronde eine lange Buße in Sack und Asche unter Ludwig XIV. In England
dagegen war es umgekehrt; hi-er führte die Tyrannei der Regierung zur Pre߬
freiheit.

Unter den Regierungen Jacob's I., Carl's I., Cromwell's, Carl's II. hatte die
Zeituugspresse im Ganzen ein bescheidenes und schüchternes Leben geführt. Nur die
calvinistische Presse hatte blutige Kämpfe zu bestehen. Jacob I. schonte sie nicht;
gegen- Cromwell schützte sie uicht die Vertheidigung Milton's. Die Sternkammer
ließ ihr Henker gegen sie los; Carl II. seine Richter; Alles war vergebens --
es regnete puritanische und katholische Flugblätter. Man versuchte jetzt die ganze
Presse zu confiöciren und dem Könige das Monopol des Drückens zu verschaffen;
die Kroujuristen bewiesen auf das Klarste, der Titel Buchdrucker "sei eine der
unvergänglichen und unveräußerlichen Zierden der Krone." Es half Alles nichts.
Mit einer unwiderstehlichen Elasticität erhob sich die Presse immer wieder, und
beschützt durch diese Kraft ging die Zeituugspresse, allerdings noch in bescheidener
Gestalt und unregelmäßig erscheinend, aber sicher ihren Entwickelungsweg fort.

Wie weit damals die Tyrannei gegen die Presse ging, zeigt das Schicksal


In Frankreich fand der große Cardinal Richelieu noch Muße, eine dritte un¬
besiegbare Macht, das Tageblatt, zu schaffen. Er erlaubte dem Arzte Theophil
Renaudot, die Nachrichten, welche die Eminenz für die Oeffentlichkeit für passend
hielt, täglich drücken zu lassen. So entstand das erste Tageblatt Frankreichs unter
dem Patronat feines despotischesten Ministers.

Nach seinem Tode wurde sie übermüthig und feierte ein wahres Carneval.
Das Hauptquartier der Presse war damals der Pont-neuf. „Man verkaufte die
Blätter," erzählt ein Zeitgenosse, Gabriel Rand6, „ganz frisch von der Presse,
wie Pasteten frisch aus dem Ofen. Es war ein hübscher Anblick, die Verkäufer
um dieselbe Stunde, wo mau in Rom das Frühstück für die kleinen Kinder ver¬
kaufte, durch die Straßen laufen zu sehen." Die giftigsten waren am raschesten
verkauft. Von dieser Art waren: I^e als pica zur Naxarin, In Lomdanee as
la ^ranee, la LomMInle 6e ees Venioise!1e8. Alle Welt schrieb welche, Brus-
cambille und Gauthier Garquille, die Histrionen des Pont-neuf und die Bänkel-
sänger auf den öffentlichen Plätzen, die Kellnerinnen und die Druckerjungen, von
denen eiuer in einem Tage sechs Stück schrieb und drückte. Manche riefen ihr
eignes Blatt auf der Straße aus. Die Kö'chiu eiues Buchhändlers schrieb welche,
wie Gabriel Naudv erzählt, nachdem sie ihre Töpfe gescheuert und ihre Löffel
gewaschen hatte. Diese Schriftsteller und Schriftstellerinnen in der- Ledermütze
und der Kücheuschürze ließen ihre schönen Sachen bei den Druckern des Q-näller
latin drucken. Scarron und Mariguy verpflichtete;: sich, für eine Pistole die Woche
eine Presse zu beschäftigen. Drei Franken für die Doppelseite in Quart, vier
Livres tonrnois sür ein Hauptwerk war der feste Preis.

In Frankreich folgte auf das Carneval der Presse währeud der Zeit der
Fronde eine lange Buße in Sack und Asche unter Ludwig XIV. In England
dagegen war es umgekehrt; hi-er führte die Tyrannei der Regierung zur Pre߬
freiheit.

Unter den Regierungen Jacob's I., Carl's I., Cromwell's, Carl's II. hatte die
Zeituugspresse im Ganzen ein bescheidenes und schüchternes Leben geführt. Nur die
calvinistische Presse hatte blutige Kämpfe zu bestehen. Jacob I. schonte sie nicht;
gegen- Cromwell schützte sie uicht die Vertheidigung Milton's. Die Sternkammer
ließ ihr Henker gegen sie los; Carl II. seine Richter; Alles war vergebens —
es regnete puritanische und katholische Flugblätter. Man versuchte jetzt die ganze
Presse zu confiöciren und dem Könige das Monopol des Drückens zu verschaffen;
die Kroujuristen bewiesen auf das Klarste, der Titel Buchdrucker „sei eine der
unvergänglichen und unveräußerlichen Zierden der Krone." Es half Alles nichts.
Mit einer unwiderstehlichen Elasticität erhob sich die Presse immer wieder, und
beschützt durch diese Kraft ging die Zeituugspresse, allerdings noch in bescheidener
Gestalt und unregelmäßig erscheinend, aber sicher ihren Entwickelungsweg fort.

Wie weit damals die Tyrannei gegen die Presse ging, zeigt das Schicksal


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[0389] In Frankreich fand der große Cardinal Richelieu noch Muße, eine dritte un¬ besiegbare Macht, das Tageblatt, zu schaffen. Er erlaubte dem Arzte Theophil Renaudot, die Nachrichten, welche die Eminenz für die Oeffentlichkeit für passend hielt, täglich drücken zu lassen. So entstand das erste Tageblatt Frankreichs unter dem Patronat feines despotischesten Ministers. Nach seinem Tode wurde sie übermüthig und feierte ein wahres Carneval. Das Hauptquartier der Presse war damals der Pont-neuf. „Man verkaufte die Blätter," erzählt ein Zeitgenosse, Gabriel Rand6, „ganz frisch von der Presse, wie Pasteten frisch aus dem Ofen. Es war ein hübscher Anblick, die Verkäufer um dieselbe Stunde, wo mau in Rom das Frühstück für die kleinen Kinder ver¬ kaufte, durch die Straßen laufen zu sehen." Die giftigsten waren am raschesten verkauft. Von dieser Art waren: I^e als pica zur Naxarin, In Lomdanee as la ^ranee, la LomMInle 6e ees Venioise!1e8. Alle Welt schrieb welche, Brus- cambille und Gauthier Garquille, die Histrionen des Pont-neuf und die Bänkel- sänger auf den öffentlichen Plätzen, die Kellnerinnen und die Druckerjungen, von denen eiuer in einem Tage sechs Stück schrieb und drückte. Manche riefen ihr eignes Blatt auf der Straße aus. Die Kö'chiu eiues Buchhändlers schrieb welche, wie Gabriel Naudv erzählt, nachdem sie ihre Töpfe gescheuert und ihre Löffel gewaschen hatte. Diese Schriftsteller und Schriftstellerinnen in der- Ledermütze und der Kücheuschürze ließen ihre schönen Sachen bei den Druckern des Q-näller latin drucken. Scarron und Mariguy verpflichtete;: sich, für eine Pistole die Woche eine Presse zu beschäftigen. Drei Franken für die Doppelseite in Quart, vier Livres tonrnois sür ein Hauptwerk war der feste Preis. In Frankreich folgte auf das Carneval der Presse währeud der Zeit der Fronde eine lange Buße in Sack und Asche unter Ludwig XIV. In England dagegen war es umgekehrt; hi-er führte die Tyrannei der Regierung zur Pre߬ freiheit. Unter den Regierungen Jacob's I., Carl's I., Cromwell's, Carl's II. hatte die Zeituugspresse im Ganzen ein bescheidenes und schüchternes Leben geführt. Nur die calvinistische Presse hatte blutige Kämpfe zu bestehen. Jacob I. schonte sie nicht; gegen- Cromwell schützte sie uicht die Vertheidigung Milton's. Die Sternkammer ließ ihr Henker gegen sie los; Carl II. seine Richter; Alles war vergebens — es regnete puritanische und katholische Flugblätter. Man versuchte jetzt die ganze Presse zu confiöciren und dem Könige das Monopol des Drückens zu verschaffen; die Kroujuristen bewiesen auf das Klarste, der Titel Buchdrucker „sei eine der unvergänglichen und unveräußerlichen Zierden der Krone." Es half Alles nichts. Mit einer unwiderstehlichen Elasticität erhob sich die Presse immer wieder, und beschützt durch diese Kraft ging die Zeituugspresse, allerdings noch in bescheidener Gestalt und unregelmäßig erscheinend, aber sicher ihren Entwickelungsweg fort. Wie weit damals die Tyrannei gegen die Presse ging, zeigt das Schicksal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/389>, abgerufen am 22.07.2024.