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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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des Inhalts. -- Die Geschichte spielt in den dreißiger Jahren in Schwaben. Der
Tannhäuser ist ein hoffnungsvoller junger Mann, der in einen: leidlichen Liebes¬
verhältniß lebt, aber aus demselben in den "Venusberg" eines räthselhaften Kreises
verlockt wird, der ihn in manche sociale Unbequemlichkeit stürzt und zuletzt Ver¬
anlassung gibt, ihn mit seiner Braut zu entzweien, aber anch nur durch das zu¬
fällige Mißverständniß eines Boten. Die Geschichte endet tragisch. Er todter
sich nicht selbst, stirbt auch uicht im Duell, aber er bricht durch einen Zufall
das Genick, was ihm freilich auch hätte begegnen können, wenn er nicht im
Venusberge gewesen wäre.

Sowie in dieser Handlung die eigentliche Pointe, so fehlt in dem sonstigen
Inhalt des Romans alle Beziehung. Es werden ungeheure Anläufe gemacht,
aber es geschieht nichts, Vieles geheimnißvoll angedeutet, aber wir erfahren nichts.
-- Der Mittelpunkt jeues räthselhaften Kreises ist der schon erwähnte Fritz, ein
junger Mann, der erst eine Psychologie, in der sich das reine Weltgenie offenbaren
soll, schreiben, dann König werden und ohne Sentimentalität alle möglichen Men¬
schenclassen, die ihm zuwider sind, ausrotten lassen will. Er spricht wie im Fieber
und geberdet sich wie ein Narr, aber es wird uns gesagt, daß er sehr geistreich
ist, und der Vergleich, durch den er sich über Christus erhebt, wird zwar von
den eigentlichen Weisen der Gesellschaft angefochten, aber nur bis zu einem
gewissen Grade. Er ißt und trinkt sehr viel, macht Schulden und gibt dann
"Ordres" an seine Anhänger, ihm Geld zu verschaffen; wenn das Geld aus¬
bleibt, verfällt er in rasende Verzweiflung. Er lebt als Vagabund, gibt sich
zuweilen für einen Prinzen aus und schreibt Artikel gegen die Liberalen. Jene
Franziska, ein ehemaliges Freudenmädchen, macht er zu seiner Königin; seine
Anhänger, die ihm selber die Hand küssen und ihn "Herr" anreden, müssen ihr
ansparten, ebenso die resp. Bräute seiner Anhänger. -- Man würde nicht zu
Ende kommen, wenn man die wahnsinnigen Einfälle alle aufzählen würde.

Das Bemerkenswertheste ist aber der Ton, in dem das Ganze gehalten ist.
Der Verfasser ist zwar nicht ganz einverstanden mit seinem Fritz, er wendet zu¬
weilen die Satire an, aber er thut es mit einer so gravitätischen Amtsmiene, daß
man uicht klug daraus wird. Für eine Erfindung ist das alles zu toll, mau wird
unwillkürlich zu der Vermuthung getrieben, es stecke ein Portrait dahinter. Ein¬
zelne Notizen, die uus von den abenteuerlichen Irrfahrten Friedrich Rohmer's
zugekommen sind, lassen uns vermuthen, daß er das Urbild unseres Helden sein
soll. Ueber diese Verkehrtheit, wirklich lebende Personen durch romantische Um-
dichtnng zu carikireu, wie über den wunderlichen Act der genialen Weiber, sich
Tagebücher über ihre verschrobenen Einfälle zu halten, fügen wir in einem spätern
Artikel, der sich über einige verwandte Erscheinungen verbreiten soll, das Nähere
"l. 8. hinzu.




des Inhalts. — Die Geschichte spielt in den dreißiger Jahren in Schwaben. Der
Tannhäuser ist ein hoffnungsvoller junger Mann, der in einen: leidlichen Liebes¬
verhältniß lebt, aber aus demselben in den „Venusberg" eines räthselhaften Kreises
verlockt wird, der ihn in manche sociale Unbequemlichkeit stürzt und zuletzt Ver¬
anlassung gibt, ihn mit seiner Braut zu entzweien, aber anch nur durch das zu¬
fällige Mißverständniß eines Boten. Die Geschichte endet tragisch. Er todter
sich nicht selbst, stirbt auch uicht im Duell, aber er bricht durch einen Zufall
das Genick, was ihm freilich auch hätte begegnen können, wenn er nicht im
Venusberge gewesen wäre.

Sowie in dieser Handlung die eigentliche Pointe, so fehlt in dem sonstigen
Inhalt des Romans alle Beziehung. Es werden ungeheure Anläufe gemacht,
aber es geschieht nichts, Vieles geheimnißvoll angedeutet, aber wir erfahren nichts.
— Der Mittelpunkt jeues räthselhaften Kreises ist der schon erwähnte Fritz, ein
junger Mann, der erst eine Psychologie, in der sich das reine Weltgenie offenbaren
soll, schreiben, dann König werden und ohne Sentimentalität alle möglichen Men¬
schenclassen, die ihm zuwider sind, ausrotten lassen will. Er spricht wie im Fieber
und geberdet sich wie ein Narr, aber es wird uns gesagt, daß er sehr geistreich
ist, und der Vergleich, durch den er sich über Christus erhebt, wird zwar von
den eigentlichen Weisen der Gesellschaft angefochten, aber nur bis zu einem
gewissen Grade. Er ißt und trinkt sehr viel, macht Schulden und gibt dann
„Ordres" an seine Anhänger, ihm Geld zu verschaffen; wenn das Geld aus¬
bleibt, verfällt er in rasende Verzweiflung. Er lebt als Vagabund, gibt sich
zuweilen für einen Prinzen aus und schreibt Artikel gegen die Liberalen. Jene
Franziska, ein ehemaliges Freudenmädchen, macht er zu seiner Königin; seine
Anhänger, die ihm selber die Hand küssen und ihn „Herr" anreden, müssen ihr
ansparten, ebenso die resp. Bräute seiner Anhänger. — Man würde nicht zu
Ende kommen, wenn man die wahnsinnigen Einfälle alle aufzählen würde.

Das Bemerkenswertheste ist aber der Ton, in dem das Ganze gehalten ist.
Der Verfasser ist zwar nicht ganz einverstanden mit seinem Fritz, er wendet zu¬
weilen die Satire an, aber er thut es mit einer so gravitätischen Amtsmiene, daß
man uicht klug daraus wird. Für eine Erfindung ist das alles zu toll, mau wird
unwillkürlich zu der Vermuthung getrieben, es stecke ein Portrait dahinter. Ein¬
zelne Notizen, die uus von den abenteuerlichen Irrfahrten Friedrich Rohmer's
zugekommen sind, lassen uns vermuthen, daß er das Urbild unseres Helden sein
soll. Ueber diese Verkehrtheit, wirklich lebende Personen durch romantische Um-
dichtnng zu carikireu, wie über den wunderlichen Act der genialen Weiber, sich
Tagebücher über ihre verschrobenen Einfälle zu halten, fügen wir in einem spätern
Artikel, der sich über einige verwandte Erscheinungen verbreiten soll, das Nähere
»l. 8. hinzu.




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[0376] des Inhalts. — Die Geschichte spielt in den dreißiger Jahren in Schwaben. Der Tannhäuser ist ein hoffnungsvoller junger Mann, der in einen: leidlichen Liebes¬ verhältniß lebt, aber aus demselben in den „Venusberg" eines räthselhaften Kreises verlockt wird, der ihn in manche sociale Unbequemlichkeit stürzt und zuletzt Ver¬ anlassung gibt, ihn mit seiner Braut zu entzweien, aber anch nur durch das zu¬ fällige Mißverständniß eines Boten. Die Geschichte endet tragisch. Er todter sich nicht selbst, stirbt auch uicht im Duell, aber er bricht durch einen Zufall das Genick, was ihm freilich auch hätte begegnen können, wenn er nicht im Venusberge gewesen wäre. Sowie in dieser Handlung die eigentliche Pointe, so fehlt in dem sonstigen Inhalt des Romans alle Beziehung. Es werden ungeheure Anläufe gemacht, aber es geschieht nichts, Vieles geheimnißvoll angedeutet, aber wir erfahren nichts. — Der Mittelpunkt jeues räthselhaften Kreises ist der schon erwähnte Fritz, ein junger Mann, der erst eine Psychologie, in der sich das reine Weltgenie offenbaren soll, schreiben, dann König werden und ohne Sentimentalität alle möglichen Men¬ schenclassen, die ihm zuwider sind, ausrotten lassen will. Er spricht wie im Fieber und geberdet sich wie ein Narr, aber es wird uns gesagt, daß er sehr geistreich ist, und der Vergleich, durch den er sich über Christus erhebt, wird zwar von den eigentlichen Weisen der Gesellschaft angefochten, aber nur bis zu einem gewissen Grade. Er ißt und trinkt sehr viel, macht Schulden und gibt dann „Ordres" an seine Anhänger, ihm Geld zu verschaffen; wenn das Geld aus¬ bleibt, verfällt er in rasende Verzweiflung. Er lebt als Vagabund, gibt sich zuweilen für einen Prinzen aus und schreibt Artikel gegen die Liberalen. Jene Franziska, ein ehemaliges Freudenmädchen, macht er zu seiner Königin; seine Anhänger, die ihm selber die Hand küssen und ihn „Herr" anreden, müssen ihr ansparten, ebenso die resp. Bräute seiner Anhänger. — Man würde nicht zu Ende kommen, wenn man die wahnsinnigen Einfälle alle aufzählen würde. Das Bemerkenswertheste ist aber der Ton, in dem das Ganze gehalten ist. Der Verfasser ist zwar nicht ganz einverstanden mit seinem Fritz, er wendet zu¬ weilen die Satire an, aber er thut es mit einer so gravitätischen Amtsmiene, daß man uicht klug daraus wird. Für eine Erfindung ist das alles zu toll, mau wird unwillkürlich zu der Vermuthung getrieben, es stecke ein Portrait dahinter. Ein¬ zelne Notizen, die uus von den abenteuerlichen Irrfahrten Friedrich Rohmer's zugekommen sind, lassen uns vermuthen, daß er das Urbild unseres Helden sein soll. Ueber diese Verkehrtheit, wirklich lebende Personen durch romantische Um- dichtnng zu carikireu, wie über den wunderlichen Act der genialen Weiber, sich Tagebücher über ihre verschrobenen Einfälle zu halten, fügen wir in einem spätern Artikel, der sich über einige verwandte Erscheinungen verbreiten soll, das Nähere »l. 8. hinzu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/376>, abgerufen am 22.07.2024.