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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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bunten Landschaft ganz so wohl angebracht, als der Dolman des ungarischen Hnßa-
ren. Wenn die Poesie sich mehr in ihre Ideale, die Politik sich mehr in die
Wirklichkeit vertiefen wird, so wird eS um beide besser stehen.


2. Die Legitimen.

Der Congreß zu Wiesbaden hat nnter den französischen Legitimisten eine
Spaltung an deu Tag gebracht, die eigentlich schon seit der Julirevolution bestand.
Damals waren die Vertreter des göttlichen Rechts durch ihre Theilnahme an den
politischen Institutionen des neuen Frankreich mit ihrem eignen Genüssen in einen
seltsamen Widerspruch gesetzt. Indem sie dein Barrikadenkönig deu Eid der Treue
leisteten und doch als ihren legitiiueu Herrn deu Erben der alten BoilrbonS ver-
ehrten, konnten sie dies Mißverhältniß vor sich selber uur dadurch rechtfertiget!,
daß sie ihren Eid nicht auf eine bestimmte Person, sondern ans den thatsächlichen
König von Fraukreich bezogen und ihre Treue uur bis zu dem Zeitpunkt aus¬
dehnten, wo dieses thatsächliche Verhältniß sich ändern würde. Eine solche Ord-
nung konnte aber, da man von einer Intervention der Fremden, der Barbaren
nichts mehr wissen wollte, nur durch deu Willen der Nation erfolgen, und so er¬
gab sich die wunderliche Combination, daß die Hoffnungen des legitimen Princips
auf die Idee der Volkssouveränetät gestützt wurden. Allerdings eine bedenkliche
Stütze, denn die Hand, welche das Scepter gab, kann es auch wieder nehmen!
So ist es aber zu erklären, daß die Leidenschaftlichern unter den Legitimisten, an
ihrer Spitze der ritterliche Marquis vou Larochejacquelein, mit den Radicalen in
der Forderung deö allgemeinen Wahlrechts, um deu Willen der Nation auf eine
unumstößliche Weise zu constatiren, Hand in Hand gingen, freilich mit der ganz
entgegengesetzten Voraussetzung.

Der Sturz Ludwig Philipp's und die Einführung der Republik gab diesem
Verhalten eine zweckmäßigere Form. Allein es trat nnn ein doppeltes Interesse
ein: das conservative, gegen die Feinde der Gesellschaft gerichtet, welches bei der
eigentlichen Stütze der Partei, dem hohen Adel und der Geistlichkeit vorwiegen
mußte, und das ideale, welches in der momentanen Ausübung der Souveränetät
von Seiten des Volks die bequemste, freiwillige Rückkehr zum Princip der Legiti¬
mität erkannte.

Ju dem letztern Sinn stellte Larochejacquelein in der Nationalversammlung
den Antrag, und vertheidigte ihn in seinen Blättern, das französische Volk in
den Urversammluugeu entscheiden zu lassen, ob es die Monarchie wolle oder die
Republik. Fast die ganze Partei irae diesem Antrag entgegen , nicht blos ans
Gründen der augenblicklichen Zweckmäßigkeit, sondern anch, weil mau sich ein
solches Präjudiz nicht konnte gefallen lassen; denn sonst hätten uach Wiederher-
stellung der Monarchie die Urversammlnngcn auf'ö Neue zusammentreten, und sich
zur Abwechselung wieder einmal für die Republik erklären können.


bunten Landschaft ganz so wohl angebracht, als der Dolman des ungarischen Hnßa-
ren. Wenn die Poesie sich mehr in ihre Ideale, die Politik sich mehr in die
Wirklichkeit vertiefen wird, so wird eS um beide besser stehen.


2. Die Legitimen.

Der Congreß zu Wiesbaden hat nnter den französischen Legitimisten eine
Spaltung an deu Tag gebracht, die eigentlich schon seit der Julirevolution bestand.
Damals waren die Vertreter des göttlichen Rechts durch ihre Theilnahme an den
politischen Institutionen des neuen Frankreich mit ihrem eignen Genüssen in einen
seltsamen Widerspruch gesetzt. Indem sie dein Barrikadenkönig deu Eid der Treue
leisteten und doch als ihren legitiiueu Herrn deu Erben der alten BoilrbonS ver-
ehrten, konnten sie dies Mißverhältniß vor sich selber uur dadurch rechtfertiget!,
daß sie ihren Eid nicht auf eine bestimmte Person, sondern ans den thatsächlichen
König von Fraukreich bezogen und ihre Treue uur bis zu dem Zeitpunkt aus¬
dehnten, wo dieses thatsächliche Verhältniß sich ändern würde. Eine solche Ord-
nung konnte aber, da man von einer Intervention der Fremden, der Barbaren
nichts mehr wissen wollte, nur durch deu Willen der Nation erfolgen, und so er¬
gab sich die wunderliche Combination, daß die Hoffnungen des legitimen Princips
auf die Idee der Volkssouveränetät gestützt wurden. Allerdings eine bedenkliche
Stütze, denn die Hand, welche das Scepter gab, kann es auch wieder nehmen!
So ist es aber zu erklären, daß die Leidenschaftlichern unter den Legitimisten, an
ihrer Spitze der ritterliche Marquis vou Larochejacquelein, mit den Radicalen in
der Forderung deö allgemeinen Wahlrechts, um deu Willen der Nation auf eine
unumstößliche Weise zu constatiren, Hand in Hand gingen, freilich mit der ganz
entgegengesetzten Voraussetzung.

Der Sturz Ludwig Philipp's und die Einführung der Republik gab diesem
Verhalten eine zweckmäßigere Form. Allein es trat nnn ein doppeltes Interesse
ein: das conservative, gegen die Feinde der Gesellschaft gerichtet, welches bei der
eigentlichen Stütze der Partei, dem hohen Adel und der Geistlichkeit vorwiegen
mußte, und das ideale, welches in der momentanen Ausübung der Souveränetät
von Seiten des Volks die bequemste, freiwillige Rückkehr zum Princip der Legiti¬
mität erkannte.

Ju dem letztern Sinn stellte Larochejacquelein in der Nationalversammlung
den Antrag, und vertheidigte ihn in seinen Blättern, das französische Volk in
den Urversammluugeu entscheiden zu lassen, ob es die Monarchie wolle oder die
Republik. Fast die ganze Partei irae diesem Antrag entgegen , nicht blos ans
Gründen der augenblicklichen Zweckmäßigkeit, sondern anch, weil mau sich ein
solches Präjudiz nicht konnte gefallen lassen; denn sonst hätten uach Wiederher-
stellung der Monarchie die Urversammlnngcn auf'ö Neue zusammentreten, und sich
zur Abwechselung wieder einmal für die Republik erklären können.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/37>, abgerufen am 24.08.2024.