Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Oestreich hat sich offen und rückhaltlos zu unserm Bundesgenossen bekannt,
und Preußen hat seit zwei Jahren einige allerdings schwache und furchtsame,
aber doch beunruhigende Versuche gemacht, eine selbstständige Politik zu verfolgen.
Die Regierung Oestreichs ist dem Kaiser im Ganzen angenehm gewesen, das
Betragen Preußens hat ihn verletzt, und wenn die Entschiedenheit seiner Nei¬
gungen nicht auch hier durch die starken Rücksichten ans die Nützlichkeit temperirt
würde, wären unsere Heere längst in Preußen eingerückt.

Zur Zeit Friedrich Wilhelm III. hatte die Einwirkung des Kaisers auf
Preußen ebenso anständige Form, als feste Grundlage. ES ließ sich bis ans
den Punkt bestimmen, wie weit man dein ehrwürdigen alten Herrn Freiheit lassen
mußte; seine persönliche Zuneigung hatte er dem Gemahl seiner Tochter in der ge¬
fährlichen Katastrophe von 1831 bewährt, und kaum einmal von da bis zu seinem
Tode wurde das freundschaftliche Einverständniß zwischen Se. Petersburg und Berlin
getrübt. Wir waren sicher, daß er in allen Fragen der großen Politik mit uns
ging, und wo seine Ansichten entschieden abwichen, konnte er bei seinem Ver¬
wandten auf Achtung seiner Persönlichkeit, ja seiner Rathschläge rechnen, welche,
selten gegeben, nie ohne Ehrerbietung angehört wurden. Der Kaiser hat durch
seinen Tod nicht nur einen treuen Verbündeten, sondern auch den Mann verlo¬
ren, gegen den er das stärkste Pietätgefühl seines ganzen Lebens hatte. Und
wie der Kaiser selbst, so denken unsere Diplomaten mit einer großen Wärme an
die Zeit zurück, wo Rußland mit Preußen und Oestreich in der Politik fast eine
Einheit bildete, welche zwischen Rußland und Preußen durch sehr edle persön¬
liche Sympathien erhalten wurde. Für unsere Herren von den auswärtigen
Angelegenheiten liegt ein gleichsam poetischer Hauch auf jener Periode, wie auf
der Zeit der ersten Jugendliebe zwischen zwei Menschen.

Schon die Innigkeit der Zuneigung zu dem Verstorbenen machte die Be¬
ziehungen zu dem gegenwärtigen König vou Preußen schwierig. Und zwischen ihm
und unserm Herrn war außerdem Vieles, was trennen mußte. Wer längere
Zeit in der Nähe Friedrich Wilhelm IV. gelebt hat, pflegt die glänzende und
vielseitige Bildung, das edle Gemüth dieses Fürsten mit Wärme zu rühmen; wer
aber in wichtigen und dringenden Angelegenheiten mit ihm verhandelte, wird
bedauern, daß seine ausgezeichnete Fähigkeit, die verschiedenartigsten Ansichten und
Persönlichkeiten zu verstehen, ihm die Fähigkeit, eine eigene Meinung dauernd zu
bewahren, sehr auffällig vermindert hat, und wird mit Unbehagen wahrnehmen,
daß eine ungewöhnliche Neigung, hochherzige und seine Gefühle zu nähren, ihn
oft hindert, hochsinnig und sein zu handeln. Dem stürmischen Charakter des
Kaisers ist eine solche Natur geradezu peinlich, sie nahm jede Sicherheit, machte
jede Berechnung zu Nichte, ohne das Recht zu verleihen, ihr gegenüber zu treten.
-- Es geschah, wie man bei uns erwartet hatte. Trotz aller aufrichtigen Be¬
mühungen, an beiden Höfen ein gutes Einvernehmen zu erhalten, trat allmälig


Oestreich hat sich offen und rückhaltlos zu unserm Bundesgenossen bekannt,
und Preußen hat seit zwei Jahren einige allerdings schwache und furchtsame,
aber doch beunruhigende Versuche gemacht, eine selbstständige Politik zu verfolgen.
Die Regierung Oestreichs ist dem Kaiser im Ganzen angenehm gewesen, das
Betragen Preußens hat ihn verletzt, und wenn die Entschiedenheit seiner Nei¬
gungen nicht auch hier durch die starken Rücksichten ans die Nützlichkeit temperirt
würde, wären unsere Heere längst in Preußen eingerückt.

Zur Zeit Friedrich Wilhelm III. hatte die Einwirkung des Kaisers auf
Preußen ebenso anständige Form, als feste Grundlage. ES ließ sich bis ans
den Punkt bestimmen, wie weit man dein ehrwürdigen alten Herrn Freiheit lassen
mußte; seine persönliche Zuneigung hatte er dem Gemahl seiner Tochter in der ge¬
fährlichen Katastrophe von 1831 bewährt, und kaum einmal von da bis zu seinem
Tode wurde das freundschaftliche Einverständniß zwischen Se. Petersburg und Berlin
getrübt. Wir waren sicher, daß er in allen Fragen der großen Politik mit uns
ging, und wo seine Ansichten entschieden abwichen, konnte er bei seinem Ver¬
wandten auf Achtung seiner Persönlichkeit, ja seiner Rathschläge rechnen, welche,
selten gegeben, nie ohne Ehrerbietung angehört wurden. Der Kaiser hat durch
seinen Tod nicht nur einen treuen Verbündeten, sondern auch den Mann verlo¬
ren, gegen den er das stärkste Pietätgefühl seines ganzen Lebens hatte. Und
wie der Kaiser selbst, so denken unsere Diplomaten mit einer großen Wärme an
die Zeit zurück, wo Rußland mit Preußen und Oestreich in der Politik fast eine
Einheit bildete, welche zwischen Rußland und Preußen durch sehr edle persön¬
liche Sympathien erhalten wurde. Für unsere Herren von den auswärtigen
Angelegenheiten liegt ein gleichsam poetischer Hauch auf jener Periode, wie auf
der Zeit der ersten Jugendliebe zwischen zwei Menschen.

Schon die Innigkeit der Zuneigung zu dem Verstorbenen machte die Be¬
ziehungen zu dem gegenwärtigen König vou Preußen schwierig. Und zwischen ihm
und unserm Herrn war außerdem Vieles, was trennen mußte. Wer längere
Zeit in der Nähe Friedrich Wilhelm IV. gelebt hat, pflegt die glänzende und
vielseitige Bildung, das edle Gemüth dieses Fürsten mit Wärme zu rühmen; wer
aber in wichtigen und dringenden Angelegenheiten mit ihm verhandelte, wird
bedauern, daß seine ausgezeichnete Fähigkeit, die verschiedenartigsten Ansichten und
Persönlichkeiten zu verstehen, ihm die Fähigkeit, eine eigene Meinung dauernd zu
bewahren, sehr auffällig vermindert hat, und wird mit Unbehagen wahrnehmen,
daß eine ungewöhnliche Neigung, hochherzige und seine Gefühle zu nähren, ihn
oft hindert, hochsinnig und sein zu handeln. Dem stürmischen Charakter des
Kaisers ist eine solche Natur geradezu peinlich, sie nahm jede Sicherheit, machte
jede Berechnung zu Nichte, ohne das Recht zu verleihen, ihr gegenüber zu treten.
— Es geschah, wie man bei uns erwartet hatte. Trotz aller aufrichtigen Be¬
mühungen, an beiden Höfen ein gutes Einvernehmen zu erhalten, trat allmälig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92648"/>
          <p xml:id="ID_1148"> Oestreich hat sich offen und rückhaltlos zu unserm Bundesgenossen bekannt,<lb/>
und Preußen hat seit zwei Jahren einige allerdings schwache und furchtsame,<lb/>
aber doch beunruhigende Versuche gemacht, eine selbstständige Politik zu verfolgen.<lb/>
Die Regierung Oestreichs ist dem Kaiser im Ganzen angenehm gewesen, das<lb/>
Betragen Preußens hat ihn verletzt, und wenn die Entschiedenheit seiner Nei¬<lb/>
gungen nicht auch hier durch die starken Rücksichten ans die Nützlichkeit temperirt<lb/>
würde, wären unsere Heere längst in Preußen eingerückt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1149"> Zur Zeit Friedrich Wilhelm III. hatte die Einwirkung des Kaisers auf<lb/>
Preußen ebenso anständige Form, als feste Grundlage. ES ließ sich bis ans<lb/>
den Punkt bestimmen, wie weit man dein ehrwürdigen alten Herrn Freiheit lassen<lb/>
mußte; seine persönliche Zuneigung hatte er dem Gemahl seiner Tochter in der ge¬<lb/>
fährlichen Katastrophe von 1831 bewährt, und kaum einmal von da bis zu seinem<lb/>
Tode wurde das freundschaftliche Einverständniß zwischen Se. Petersburg und Berlin<lb/>
getrübt. Wir waren sicher, daß er in allen Fragen der großen Politik mit uns<lb/>
ging, und wo seine Ansichten entschieden abwichen, konnte er bei seinem Ver¬<lb/>
wandten auf Achtung seiner Persönlichkeit, ja seiner Rathschläge rechnen, welche,<lb/>
selten gegeben, nie ohne Ehrerbietung angehört wurden. Der Kaiser hat durch<lb/>
seinen Tod nicht nur einen treuen Verbündeten, sondern auch den Mann verlo¬<lb/>
ren, gegen den er das stärkste Pietätgefühl seines ganzen Lebens hatte. Und<lb/>
wie der Kaiser selbst, so denken unsere Diplomaten mit einer großen Wärme an<lb/>
die Zeit zurück, wo Rußland mit Preußen und Oestreich in der Politik fast eine<lb/>
Einheit bildete, welche zwischen Rußland und Preußen durch sehr edle persön¬<lb/>
liche Sympathien erhalten wurde. Für unsere Herren von den auswärtigen<lb/>
Angelegenheiten liegt ein gleichsam poetischer Hauch auf jener Periode, wie auf<lb/>
der Zeit der ersten Jugendliebe zwischen zwei Menschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1150" next="#ID_1151"> Schon die Innigkeit der Zuneigung zu dem Verstorbenen machte die Be¬<lb/>
ziehungen zu dem gegenwärtigen König vou Preußen schwierig. Und zwischen ihm<lb/>
und unserm Herrn war außerdem Vieles, was trennen mußte. Wer längere<lb/>
Zeit in der Nähe Friedrich Wilhelm IV. gelebt hat, pflegt die glänzende und<lb/>
vielseitige Bildung, das edle Gemüth dieses Fürsten mit Wärme zu rühmen; wer<lb/>
aber in wichtigen und dringenden Angelegenheiten mit ihm verhandelte, wird<lb/>
bedauern, daß seine ausgezeichnete Fähigkeit, die verschiedenartigsten Ansichten und<lb/>
Persönlichkeiten zu verstehen, ihm die Fähigkeit, eine eigene Meinung dauernd zu<lb/>
bewahren, sehr auffällig vermindert hat, und wird mit Unbehagen wahrnehmen,<lb/>
daß eine ungewöhnliche Neigung, hochherzige und seine Gefühle zu nähren, ihn<lb/>
oft hindert, hochsinnig und sein zu handeln. Dem stürmischen Charakter des<lb/>
Kaisers ist eine solche Natur geradezu peinlich, sie nahm jede Sicherheit, machte<lb/>
jede Berechnung zu Nichte, ohne das Recht zu verleihen, ihr gegenüber zu treten.<lb/>
&#x2014; Es geschah, wie man bei uns erwartet hatte. Trotz aller aufrichtigen Be¬<lb/>
mühungen, an beiden Höfen ein gutes Einvernehmen zu erhalten, trat allmälig</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] Oestreich hat sich offen und rückhaltlos zu unserm Bundesgenossen bekannt, und Preußen hat seit zwei Jahren einige allerdings schwache und furchtsame, aber doch beunruhigende Versuche gemacht, eine selbstständige Politik zu verfolgen. Die Regierung Oestreichs ist dem Kaiser im Ganzen angenehm gewesen, das Betragen Preußens hat ihn verletzt, und wenn die Entschiedenheit seiner Nei¬ gungen nicht auch hier durch die starken Rücksichten ans die Nützlichkeit temperirt würde, wären unsere Heere längst in Preußen eingerückt. Zur Zeit Friedrich Wilhelm III. hatte die Einwirkung des Kaisers auf Preußen ebenso anständige Form, als feste Grundlage. ES ließ sich bis ans den Punkt bestimmen, wie weit man dein ehrwürdigen alten Herrn Freiheit lassen mußte; seine persönliche Zuneigung hatte er dem Gemahl seiner Tochter in der ge¬ fährlichen Katastrophe von 1831 bewährt, und kaum einmal von da bis zu seinem Tode wurde das freundschaftliche Einverständniß zwischen Se. Petersburg und Berlin getrübt. Wir waren sicher, daß er in allen Fragen der großen Politik mit uns ging, und wo seine Ansichten entschieden abwichen, konnte er bei seinem Ver¬ wandten auf Achtung seiner Persönlichkeit, ja seiner Rathschläge rechnen, welche, selten gegeben, nie ohne Ehrerbietung angehört wurden. Der Kaiser hat durch seinen Tod nicht nur einen treuen Verbündeten, sondern auch den Mann verlo¬ ren, gegen den er das stärkste Pietätgefühl seines ganzen Lebens hatte. Und wie der Kaiser selbst, so denken unsere Diplomaten mit einer großen Wärme an die Zeit zurück, wo Rußland mit Preußen und Oestreich in der Politik fast eine Einheit bildete, welche zwischen Rußland und Preußen durch sehr edle persön¬ liche Sympathien erhalten wurde. Für unsere Herren von den auswärtigen Angelegenheiten liegt ein gleichsam poetischer Hauch auf jener Periode, wie auf der Zeit der ersten Jugendliebe zwischen zwei Menschen. Schon die Innigkeit der Zuneigung zu dem Verstorbenen machte die Be¬ ziehungen zu dem gegenwärtigen König vou Preußen schwierig. Und zwischen ihm und unserm Herrn war außerdem Vieles, was trennen mußte. Wer längere Zeit in der Nähe Friedrich Wilhelm IV. gelebt hat, pflegt die glänzende und vielseitige Bildung, das edle Gemüth dieses Fürsten mit Wärme zu rühmen; wer aber in wichtigen und dringenden Angelegenheiten mit ihm verhandelte, wird bedauern, daß seine ausgezeichnete Fähigkeit, die verschiedenartigsten Ansichten und Persönlichkeiten zu verstehen, ihm die Fähigkeit, eine eigene Meinung dauernd zu bewahren, sehr auffällig vermindert hat, und wird mit Unbehagen wahrnehmen, daß eine ungewöhnliche Neigung, hochherzige und seine Gefühle zu nähren, ihn oft hindert, hochsinnig und sein zu handeln. Dem stürmischen Charakter des Kaisers ist eine solche Natur geradezu peinlich, sie nahm jede Sicherheit, machte jede Berechnung zu Nichte, ohne das Recht zu verleihen, ihr gegenüber zu treten. — Es geschah, wie man bei uns erwartet hatte. Trotz aller aufrichtigen Be¬ mühungen, an beiden Höfen ein gutes Einvernehmen zu erhalten, trat allmälig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/359>, abgerufen am 22.07.2024.