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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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wo sein Geschenk sehr wenig Werth hat, weil ihm selbst der Richterspruch noch nicht
eröffnet ist. Aber geschickt zu geben, versteht man bei Ihnen nicht; und da wir
sehr geschickt zu nehmen wissen, verletzt uns solche Taktlosigkeit.

Der Kaiser leitet die Politik gegen Deutschland selbst. Daher siud seine
Umgebung und unsere Gesandten an den deutscheu Höfen ziemlich geuau die
Spiegelbilder seiner Ansichten, oder richtiger gesagt, seiner Stimmungen. Ich
kann Ihnen keinen Bericht über diese Stimmungen geben, denn die Menge von
Aeußerungen, welche ans seinem Munde gesammelt werden und dem Hofe Anek¬
doten und den Diplomaten Klatschereien liefern, sind selbst dann unzuverlässig,
wenn man sie ans sicherer Quelle hat, d. h. aus seinem eignen Munde. Dieser
Mund hat allerdings keine Scheu auszusprechen, was dem Gemüth grade ärgerlich ist.
Ich glaube aber, Ihnen sagen zu können, was über diese wechselnden Stimmungen
hinaus seiue Ansichten von der Stellung Rußlands zu Deutschland siud. Denn
grade Deutschland gegenüber ist das russische Interesse sehr klar und kein Geheim¬
niß weniger Eingeweihter.

Dem Kaiser ist Deutschland, als einiger Föderativstaat, ein Unsinn, oder wie Sie
sagen würden, ein Mythus; grade wie ihm ein panslavistischeö Reich als Unsinn
erscheint. Der Traum eiues slavischen Weltreichs kann uns aber vielfach nützen,
die Träume von einem zusammengeschmolzenen deutschen Staat können uns gar
nichts nützen, deshalb verachten wir den deutscheu Traum seit Ihrer unglücklichen
Revolution noch vollständiger, als den slavischen, obgleich man bis zum Jahr 155-58
in der Nähe des Kaisers gewöhnt war, ihn mit einem gewissen wohlwollenden
Humor zu betrachten. Das weite Terrain, auf welchem Sie ziemlich willkürlich
Deutschland annehmen, besteht dem Kaiser aus zwei Staaten, Oestreich und Preußen,
und aus neutralisirtem Zwischenland. Alle zusammen bilden sür unsere Mutter
Rußland eiuen Wall, ein Vorland, welches für die Ruhe und das Glück Rußlands
unentbehrlich ist und deswegen unter unserer Leitung stehen muß. sein Sie ohne
Sorge; --- unter kluger Leitung, die wir ebensowenig mit unbedingter Herrschaft
vertauschen wollen, als zur Zeit noch bei Persien oder Serbien.

Wir haben Ihre Fabrikate und Ideen ausgesperrt und so den Schaden, den
Sie unserer Entwickelung zufügen könnten, ziemlich vermieden; was wir dagegen
von deutscher Kraft brauchen können: Schafmeister, Marinelientenauts, heirats¬
fähige Fürstenkinder, das ziehen wir an uns. In dem winkligen Vorland brechen
sich alle großen Völkerstürme von Westen, die energielosen und großentheils ver¬
kümmerten Völker siud mit ihren vielen Höfen vortreffliche Nachbarn, welche sich
damit befriedigen, in dem Klatsch ihrer Zeitungen unsere Nichtswürdigkeit und
Rohheit zu genießen, aber weder deu Muth uoch das Talent gehabt haben,
unsere nothgedrungenen Fortschritte irgendwo aufzuhalten, nicht in Polen, nicht in
den Fürstentümern und Serbien. -- Uns aufhalten! man denkt bei Ihnen gar
nicht daran; im Gegentheil, wenn man Ihren Zeitungen irgend glauben darf, so


wo sein Geschenk sehr wenig Werth hat, weil ihm selbst der Richterspruch noch nicht
eröffnet ist. Aber geschickt zu geben, versteht man bei Ihnen nicht; und da wir
sehr geschickt zu nehmen wissen, verletzt uns solche Taktlosigkeit.

Der Kaiser leitet die Politik gegen Deutschland selbst. Daher siud seine
Umgebung und unsere Gesandten an den deutscheu Höfen ziemlich geuau die
Spiegelbilder seiner Ansichten, oder richtiger gesagt, seiner Stimmungen. Ich
kann Ihnen keinen Bericht über diese Stimmungen geben, denn die Menge von
Aeußerungen, welche ans seinem Munde gesammelt werden und dem Hofe Anek¬
doten und den Diplomaten Klatschereien liefern, sind selbst dann unzuverlässig,
wenn man sie ans sicherer Quelle hat, d. h. aus seinem eignen Munde. Dieser
Mund hat allerdings keine Scheu auszusprechen, was dem Gemüth grade ärgerlich ist.
Ich glaube aber, Ihnen sagen zu können, was über diese wechselnden Stimmungen
hinaus seiue Ansichten von der Stellung Rußlands zu Deutschland siud. Denn
grade Deutschland gegenüber ist das russische Interesse sehr klar und kein Geheim¬
niß weniger Eingeweihter.

Dem Kaiser ist Deutschland, als einiger Föderativstaat, ein Unsinn, oder wie Sie
sagen würden, ein Mythus; grade wie ihm ein panslavistischeö Reich als Unsinn
erscheint. Der Traum eiues slavischen Weltreichs kann uns aber vielfach nützen,
die Träume von einem zusammengeschmolzenen deutschen Staat können uns gar
nichts nützen, deshalb verachten wir den deutscheu Traum seit Ihrer unglücklichen
Revolution noch vollständiger, als den slavischen, obgleich man bis zum Jahr 155-58
in der Nähe des Kaisers gewöhnt war, ihn mit einem gewissen wohlwollenden
Humor zu betrachten. Das weite Terrain, auf welchem Sie ziemlich willkürlich
Deutschland annehmen, besteht dem Kaiser aus zwei Staaten, Oestreich und Preußen,
und aus neutralisirtem Zwischenland. Alle zusammen bilden sür unsere Mutter
Rußland eiuen Wall, ein Vorland, welches für die Ruhe und das Glück Rußlands
unentbehrlich ist und deswegen unter unserer Leitung stehen muß. sein Sie ohne
Sorge; —- unter kluger Leitung, die wir ebensowenig mit unbedingter Herrschaft
vertauschen wollen, als zur Zeit noch bei Persien oder Serbien.

Wir haben Ihre Fabrikate und Ideen ausgesperrt und so den Schaden, den
Sie unserer Entwickelung zufügen könnten, ziemlich vermieden; was wir dagegen
von deutscher Kraft brauchen können: Schafmeister, Marinelientenauts, heirats¬
fähige Fürstenkinder, das ziehen wir an uns. In dem winkligen Vorland brechen
sich alle großen Völkerstürme von Westen, die energielosen und großentheils ver¬
kümmerten Völker siud mit ihren vielen Höfen vortreffliche Nachbarn, welche sich
damit befriedigen, in dem Klatsch ihrer Zeitungen unsere Nichtswürdigkeit und
Rohheit zu genießen, aber weder deu Muth uoch das Talent gehabt haben,
unsere nothgedrungenen Fortschritte irgendwo aufzuhalten, nicht in Polen, nicht in
den Fürstentümern und Serbien. — Uns aufhalten! man denkt bei Ihnen gar
nicht daran; im Gegentheil, wenn man Ihren Zeitungen irgend glauben darf, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/357>, abgerufen am 22.07.2024.