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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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des HerrschaftShauses sechsunddreißig Stunden laug angeschlossen. Der philan¬
thropische Hauslehrer gerieth in Hitze, es kam zu einer Scene, und der Lehrer
forderte sofort seine Entlassung, aber auch die rückständigen 7,000 Gulden. Herr
o. W. verlangte den Contract zu sehen, ans welchen sich diese Forderung begründe;
der Hauslehrer legte ihn vor, und Herr v. W. riß das Docmuent weg und warf
es in's Kaminfeuer. Zum Glück hatte der Hauslehrer audere Beweismittel. Er
verließ die Besitzung des Edelmanns und reichte seiue Klage persönlich beim Ge-
neralgnbernator ein, um sie nicht der schmählichen Gaunerei der gewöhnlichen
Gerichte anheimfallen zu lassen. Um mit seiner Klage zu reussiren, hatte der Kläger
in seiner Klageschrist die Hälfte von der einzuklagenden rückständigen Summe
seines Gehaltes, also 3,500 si., der Iuvalidencasse des Guberniums als Geschenk
zugesichert. Dieses Geschenk, so hoffte er, werde nicht blos eine ungewöhnliche
Beschleunigung seiner Angelegenheit, sondern anch einen glücklichen Ausgang der¬
selben bewirken, und durch das Opfer der Hälfte werde er doch wenigstens
3,500 si. mit Gewißheit retten.

Aber ein polnisches Gericht ist auch dnrch das raffinirteste Mittel nicht dazu
zu bringen, von seinen Principien abzuweichen. Das Geschenk gefiel allerdings dem
Gubernator so, daß er Befehl gab, sofort die Klage zu beeilen. Die Kanzlei
beauftragte schon am zweiten Tage den Bürgermeister von I. sich mit dem Kläger
und einer Begleitung von zwei Gendarmen zu dein schuldigen Gutsherrn zu begeben"
Diese Commission hatte die Klagebeantwortung zu fordern, und Herr v. W. konnte
glücklicher Weise im Angesicht des Klägers seinem Stolz nicht so weit entsagen,
die Schuld vou 7,000 Gulden zu leugnen. Dieses Zugeständniß wurde selbst
von dem Bürgermeister sür einen so vollkommenen Sieg angesehen, daß er dem
Kläger seine Anforderung für 2,000 Gulden abzukaufen sich erbot, worauf dieser
in Siegeöübermuth uicht einging.

Nachdem die Commission zurückgekehrt und die Klagebeantwortung in die
Gnbernialkanzlei gelaugt war, sah der Kläger zu seinem freudigen Erstaunen,
daß eilig eine Execntionsmannschaft nach der Besitzung des Beklagten abgefertigt
wurde, und er war überzeugt, daß diese Execution die geforderten 7,000 Gulden
einzubringen habe. Leider aber wurde ihm nach einigen Tagen eröffnet, daß die
der Iuvalidencasse zugetheilte Hälfte seiner Forderung bereits eingezogen, die Klage
seiner Hälfte aber zu weiteren gerichtlichem Verfahren dem Kreiögcricht über¬
geben sei.

Ach bei diesem Gericht war nichts auszurichten! Ein einziger Termin wurde
gehalten, und in diesem eröffnete ihm der bestochene Chef des GerichshofeS: man
könne in der ganzen Klageschrift gar keinen eigentlichen Klagestoff finden, und es
sei daher besser, daß der Kläger auf seine vermeinten Ansprüche verzichte. Drei
Jahre lang bemühte sich der Kläger vergebens, sein Recht zu erlangen. In drei
verschiedenen Gerichten nahm man seine Angelegenheit an, aber in jedem verhinderte


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des HerrschaftShauses sechsunddreißig Stunden laug angeschlossen. Der philan¬
thropische Hauslehrer gerieth in Hitze, es kam zu einer Scene, und der Lehrer
forderte sofort seine Entlassung, aber auch die rückständigen 7,000 Gulden. Herr
o. W. verlangte den Contract zu sehen, ans welchen sich diese Forderung begründe;
der Hauslehrer legte ihn vor, und Herr v. W. riß das Docmuent weg und warf
es in's Kaminfeuer. Zum Glück hatte der Hauslehrer audere Beweismittel. Er
verließ die Besitzung des Edelmanns und reichte seiue Klage persönlich beim Ge-
neralgnbernator ein, um sie nicht der schmählichen Gaunerei der gewöhnlichen
Gerichte anheimfallen zu lassen. Um mit seiner Klage zu reussiren, hatte der Kläger
in seiner Klageschrist die Hälfte von der einzuklagenden rückständigen Summe
seines Gehaltes, also 3,500 si., der Iuvalidencasse des Guberniums als Geschenk
zugesichert. Dieses Geschenk, so hoffte er, werde nicht blos eine ungewöhnliche
Beschleunigung seiner Angelegenheit, sondern anch einen glücklichen Ausgang der¬
selben bewirken, und durch das Opfer der Hälfte werde er doch wenigstens
3,500 si. mit Gewißheit retten.

Aber ein polnisches Gericht ist auch dnrch das raffinirteste Mittel nicht dazu
zu bringen, von seinen Principien abzuweichen. Das Geschenk gefiel allerdings dem
Gubernator so, daß er Befehl gab, sofort die Klage zu beeilen. Die Kanzlei
beauftragte schon am zweiten Tage den Bürgermeister von I. sich mit dem Kläger
und einer Begleitung von zwei Gendarmen zu dein schuldigen Gutsherrn zu begeben»
Diese Commission hatte die Klagebeantwortung zu fordern, und Herr v. W. konnte
glücklicher Weise im Angesicht des Klägers seinem Stolz nicht so weit entsagen,
die Schuld vou 7,000 Gulden zu leugnen. Dieses Zugeständniß wurde selbst
von dem Bürgermeister sür einen so vollkommenen Sieg angesehen, daß er dem
Kläger seine Anforderung für 2,000 Gulden abzukaufen sich erbot, worauf dieser
in Siegeöübermuth uicht einging.

Nachdem die Commission zurückgekehrt und die Klagebeantwortung in die
Gnbernialkanzlei gelaugt war, sah der Kläger zu seinem freudigen Erstaunen,
daß eilig eine Execntionsmannschaft nach der Besitzung des Beklagten abgefertigt
wurde, und er war überzeugt, daß diese Execution die geforderten 7,000 Gulden
einzubringen habe. Leider aber wurde ihm nach einigen Tagen eröffnet, daß die
der Iuvalidencasse zugetheilte Hälfte seiner Forderung bereits eingezogen, die Klage
seiner Hälfte aber zu weiteren gerichtlichem Verfahren dem Kreiögcricht über¬
geben sei.

Ach bei diesem Gericht war nichts auszurichten! Ein einziger Termin wurde
gehalten, und in diesem eröffnete ihm der bestochene Chef des GerichshofeS: man
könne in der ganzen Klageschrift gar keinen eigentlichen Klagestoff finden, und es
sei daher besser, daß der Kläger auf seine vermeinten Ansprüche verzichte. Drei
Jahre lang bemühte sich der Kläger vergebens, sein Recht zu erlangen. In drei
verschiedenen Gerichten nahm man seine Angelegenheit an, aber in jedem verhinderte


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[0355] des HerrschaftShauses sechsunddreißig Stunden laug angeschlossen. Der philan¬ thropische Hauslehrer gerieth in Hitze, es kam zu einer Scene, und der Lehrer forderte sofort seine Entlassung, aber auch die rückständigen 7,000 Gulden. Herr o. W. verlangte den Contract zu sehen, ans welchen sich diese Forderung begründe; der Hauslehrer legte ihn vor, und Herr v. W. riß das Docmuent weg und warf es in's Kaminfeuer. Zum Glück hatte der Hauslehrer audere Beweismittel. Er verließ die Besitzung des Edelmanns und reichte seiue Klage persönlich beim Ge- neralgnbernator ein, um sie nicht der schmählichen Gaunerei der gewöhnlichen Gerichte anheimfallen zu lassen. Um mit seiner Klage zu reussiren, hatte der Kläger in seiner Klageschrist die Hälfte von der einzuklagenden rückständigen Summe seines Gehaltes, also 3,500 si., der Iuvalidencasse des Guberniums als Geschenk zugesichert. Dieses Geschenk, so hoffte er, werde nicht blos eine ungewöhnliche Beschleunigung seiner Angelegenheit, sondern anch einen glücklichen Ausgang der¬ selben bewirken, und durch das Opfer der Hälfte werde er doch wenigstens 3,500 si. mit Gewißheit retten. Aber ein polnisches Gericht ist auch dnrch das raffinirteste Mittel nicht dazu zu bringen, von seinen Principien abzuweichen. Das Geschenk gefiel allerdings dem Gubernator so, daß er Befehl gab, sofort die Klage zu beeilen. Die Kanzlei beauftragte schon am zweiten Tage den Bürgermeister von I. sich mit dem Kläger und einer Begleitung von zwei Gendarmen zu dein schuldigen Gutsherrn zu begeben» Diese Commission hatte die Klagebeantwortung zu fordern, und Herr v. W. konnte glücklicher Weise im Angesicht des Klägers seinem Stolz nicht so weit entsagen, die Schuld vou 7,000 Gulden zu leugnen. Dieses Zugeständniß wurde selbst von dem Bürgermeister sür einen so vollkommenen Sieg angesehen, daß er dem Kläger seine Anforderung für 2,000 Gulden abzukaufen sich erbot, worauf dieser in Siegeöübermuth uicht einging. Nachdem die Commission zurückgekehrt und die Klagebeantwortung in die Gnbernialkanzlei gelaugt war, sah der Kläger zu seinem freudigen Erstaunen, daß eilig eine Execntionsmannschaft nach der Besitzung des Beklagten abgefertigt wurde, und er war überzeugt, daß diese Execution die geforderten 7,000 Gulden einzubringen habe. Leider aber wurde ihm nach einigen Tagen eröffnet, daß die der Iuvalidencasse zugetheilte Hälfte seiner Forderung bereits eingezogen, die Klage seiner Hälfte aber zu weiteren gerichtlichem Verfahren dem Kreiögcricht über¬ geben sei. Ach bei diesem Gericht war nichts auszurichten! Ein einziger Termin wurde gehalten, und in diesem eröffnete ihm der bestochene Chef des GerichshofeS: man könne in der ganzen Klageschrift gar keinen eigentlichen Klagestoff finden, und es sei daher besser, daß der Kläger auf seine vermeinten Ansprüche verzichte. Drei Jahre lang bemühte sich der Kläger vergebens, sein Recht zu erlangen. In drei verschiedenen Gerichten nahm man seine Angelegenheit an, aber in jedem verhinderte 109*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/355>, abgerufen am 22.07.2024.