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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Ihre Folgerung zu Begründung der Rechtmäßigst ihrer Gewaltthat war fol¬
gende: Die deutscheu Weber haben für audere Personen gearbeitet, ehe mein Woll¬
lager geräumt war, also den Conti act gebrochen: folglich siud die Hütten, die ich
ihnen überlassen hatte, in meine Hand zurückgefallen, und ich brauche nicht zu ge¬
statten, daß diese Leute serner darin wohnen.

Da Frau v. D. natürlich uicht versäumt hatte, dem Gerichtschcf die Hand
mit Ducaten zu füllen, so beachtete dieser deu Umstand, daß Frau v. D. den
Webern muthwillig das Arbeitsmaterial vorenthalten und sie dadurch fremde Be¬
schäftigung anzunehmen gezwungen hatte, gar uicht, ebensowenig den Umstand,
das; die Weber ihre Hütten und Wirthschaften käuflich an sich gebracht hatten,
und daß Verletzung des Geschäftöcoutractö deu Kaufcoutract vor keinem Recht der
Welt ohne Weiteres aufheben könne.

Als aber die Bevollmächtigten der Weber an dem Tage des sogenannten
Termins vor Gericht erschienen, eröffnete ihnen der Chef desselben, daß die Be¬
klagte bereits ihre Aussagen abgegeben. Aus Allem aber folge, daß die Weber
ihrer coutractlicheu Verpflichuug uicht uachgekoiumeu seien, dadurch die Ausprüche
a"f ihre Wirthschaften und einen weitern Wohnsitz auf der Gruudherrschaft ver¬
loren hätten, und folglich von Seiten des Gerichts keine Hilfe erwarten dürften'
Dieses barbarische Erkenntniß war schon zuvor schriftlich ausgefertigt wordeu und
wurde deu Unglücklichen nebst einer zum Glück uicht hohen Kosteuliquidation ein¬
gehändigt.

Nachdem ein solcher Bescheid den Webern zu Theil geworden, ging die
Gruudherriu in ihrer Gewaltthätigkeit noch weiter und ließ deu Webern ihre
Webstuhle und Werkzeuge mit dem Bemerken wegnehmen, daß Alles, was sich
aUf ihrer Gruudherrschaft befinde, ihr Eigenthum sei; doch wollten die Weber
ihren Grund verlasse", so sei sie bereit, ihnen die Gegenstände zu scheuten.

Die thörichtem Weber stellten nur dieses Diebstahls willen eine neue Klage
an; aber diese, uach Zurückweisung vom Guberuialgericht ebenfalls dem Kreis¬
gericht anheim gefallen, faud ganz dieselbe Behandlung wie die erste, und der Be¬
scheid war endlich, daß die Frau v. D. allerdings auf Alles, was sich auf ihrer
Gruudherrschaft befinde, ein Recht als Eigenthümerin besitze; sie sollten also der
Gruudherriu versprechen, ihr Gut verlassen zu wollen und sich ihr Handwerkö-
geräth und dazu noch eine Entschädigung als Unterstützung "erbitten".

Das Bewußtsein ihres Rechts hielt die Tuchweber vou eiuer solchen Herab¬
würdigung ab. Sie versuchten es nochmals, sich durch die Justiz des Laudes zu
helfen, und brachten ihre Klage beim Gubernialgericht ein. Merkwürdig war, daß
das Guberuialgericht die beim Kreisgericht entstandenen aus drei Blättern beste¬
henden Proceßacteu uicht annahm, vielmehr verlangte, daß die Klage voll Neue,"
angestellt werde, also als eine höhere Instanz nicht agiren mochte. Aber bei diesem
höheren Gericht war es noch viel weniger möglich, die Männer der Gerechtigkeit


Grenzvotcn.IV. 1850. 109

Ihre Folgerung zu Begründung der Rechtmäßigst ihrer Gewaltthat war fol¬
gende: Die deutscheu Weber haben für audere Personen gearbeitet, ehe mein Woll¬
lager geräumt war, also den Conti act gebrochen: folglich siud die Hütten, die ich
ihnen überlassen hatte, in meine Hand zurückgefallen, und ich brauche nicht zu ge¬
statten, daß diese Leute serner darin wohnen.

Da Frau v. D. natürlich uicht versäumt hatte, dem Gerichtschcf die Hand
mit Ducaten zu füllen, so beachtete dieser deu Umstand, daß Frau v. D. den
Webern muthwillig das Arbeitsmaterial vorenthalten und sie dadurch fremde Be¬
schäftigung anzunehmen gezwungen hatte, gar uicht, ebensowenig den Umstand,
das; die Weber ihre Hütten und Wirthschaften käuflich an sich gebracht hatten,
und daß Verletzung des Geschäftöcoutractö deu Kaufcoutract vor keinem Recht der
Welt ohne Weiteres aufheben könne.

Als aber die Bevollmächtigten der Weber an dem Tage des sogenannten
Termins vor Gericht erschienen, eröffnete ihnen der Chef desselben, daß die Be¬
klagte bereits ihre Aussagen abgegeben. Aus Allem aber folge, daß die Weber
ihrer coutractlicheu Verpflichuug uicht uachgekoiumeu seien, dadurch die Ausprüche
a»f ihre Wirthschaften und einen weitern Wohnsitz auf der Gruudherrschaft ver¬
loren hätten, und folglich von Seiten des Gerichts keine Hilfe erwarten dürften'
Dieses barbarische Erkenntniß war schon zuvor schriftlich ausgefertigt wordeu und
wurde deu Unglücklichen nebst einer zum Glück uicht hohen Kosteuliquidation ein¬
gehändigt.

Nachdem ein solcher Bescheid den Webern zu Theil geworden, ging die
Gruudherriu in ihrer Gewaltthätigkeit noch weiter und ließ deu Webern ihre
Webstuhle und Werkzeuge mit dem Bemerken wegnehmen, daß Alles, was sich
aUf ihrer Gruudherrschaft befinde, ihr Eigenthum sei; doch wollten die Weber
ihren Grund verlasse», so sei sie bereit, ihnen die Gegenstände zu scheuten.

Die thörichtem Weber stellten nur dieses Diebstahls willen eine neue Klage
an; aber diese, uach Zurückweisung vom Guberuialgericht ebenfalls dem Kreis¬
gericht anheim gefallen, faud ganz dieselbe Behandlung wie die erste, und der Be¬
scheid war endlich, daß die Frau v. D. allerdings auf Alles, was sich auf ihrer
Gruudherrschaft befinde, ein Recht als Eigenthümerin besitze; sie sollten also der
Gruudherriu versprechen, ihr Gut verlassen zu wollen und sich ihr Handwerkö-
geräth und dazu noch eine Entschädigung als Unterstützung „erbitten".

Das Bewußtsein ihres Rechts hielt die Tuchweber vou eiuer solchen Herab¬
würdigung ab. Sie versuchten es nochmals, sich durch die Justiz des Laudes zu
helfen, und brachten ihre Klage beim Gubernialgericht ein. Merkwürdig war, daß
das Guberuialgericht die beim Kreisgericht entstandenen aus drei Blättern beste¬
henden Proceßacteu uicht annahm, vielmehr verlangte, daß die Klage voll Neue,»
angestellt werde, also als eine höhere Instanz nicht agiren mochte. Aber bei diesem
höheren Gericht war es noch viel weniger möglich, die Männer der Gerechtigkeit


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[0353] Ihre Folgerung zu Begründung der Rechtmäßigst ihrer Gewaltthat war fol¬ gende: Die deutscheu Weber haben für audere Personen gearbeitet, ehe mein Woll¬ lager geräumt war, also den Conti act gebrochen: folglich siud die Hütten, die ich ihnen überlassen hatte, in meine Hand zurückgefallen, und ich brauche nicht zu ge¬ statten, daß diese Leute serner darin wohnen. Da Frau v. D. natürlich uicht versäumt hatte, dem Gerichtschcf die Hand mit Ducaten zu füllen, so beachtete dieser deu Umstand, daß Frau v. D. den Webern muthwillig das Arbeitsmaterial vorenthalten und sie dadurch fremde Be¬ schäftigung anzunehmen gezwungen hatte, gar uicht, ebensowenig den Umstand, das; die Weber ihre Hütten und Wirthschaften käuflich an sich gebracht hatten, und daß Verletzung des Geschäftöcoutractö deu Kaufcoutract vor keinem Recht der Welt ohne Weiteres aufheben könne. Als aber die Bevollmächtigten der Weber an dem Tage des sogenannten Termins vor Gericht erschienen, eröffnete ihnen der Chef desselben, daß die Be¬ klagte bereits ihre Aussagen abgegeben. Aus Allem aber folge, daß die Weber ihrer coutractlicheu Verpflichuug uicht uachgekoiumeu seien, dadurch die Ausprüche a»f ihre Wirthschaften und einen weitern Wohnsitz auf der Gruudherrschaft ver¬ loren hätten, und folglich von Seiten des Gerichts keine Hilfe erwarten dürften' Dieses barbarische Erkenntniß war schon zuvor schriftlich ausgefertigt wordeu und wurde deu Unglücklichen nebst einer zum Glück uicht hohen Kosteuliquidation ein¬ gehändigt. Nachdem ein solcher Bescheid den Webern zu Theil geworden, ging die Gruudherriu in ihrer Gewaltthätigkeit noch weiter und ließ deu Webern ihre Webstuhle und Werkzeuge mit dem Bemerken wegnehmen, daß Alles, was sich aUf ihrer Gruudherrschaft befinde, ihr Eigenthum sei; doch wollten die Weber ihren Grund verlasse», so sei sie bereit, ihnen die Gegenstände zu scheuten. Die thörichtem Weber stellten nur dieses Diebstahls willen eine neue Klage an; aber diese, uach Zurückweisung vom Guberuialgericht ebenfalls dem Kreis¬ gericht anheim gefallen, faud ganz dieselbe Behandlung wie die erste, und der Be¬ scheid war endlich, daß die Frau v. D. allerdings auf Alles, was sich auf ihrer Gruudherrschaft befinde, ein Recht als Eigenthümerin besitze; sie sollten also der Gruudherriu versprechen, ihr Gut verlassen zu wollen und sich ihr Handwerkö- geräth und dazu noch eine Entschädigung als Unterstützung „erbitten". Das Bewußtsein ihres Rechts hielt die Tuchweber vou eiuer solchen Herab¬ würdigung ab. Sie versuchten es nochmals, sich durch die Justiz des Laudes zu helfen, und brachten ihre Klage beim Gubernialgericht ein. Merkwürdig war, daß das Guberuialgericht die beim Kreisgericht entstandenen aus drei Blättern beste¬ henden Proceßacteu uicht annahm, vielmehr verlangte, daß die Klage voll Neue,» angestellt werde, also als eine höhere Instanz nicht agiren mochte. Aber bei diesem höheren Gericht war es noch viel weniger möglich, die Männer der Gerechtigkeit Grenzvotcn.IV. 1850. 109

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/353>, abgerufen am 22.07.2024.