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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Weg zurück, und die Unglücklichen hofften wieder, diesmal nicht ohne bangen
Zweifel. Ihr Zweifel rechtfertigte sich. Es erschien kein Beamter. Wieder war¬
tete man 8 Tage lang vergebens. Nun glaubten die Weber sich nnr dadurch
helfen zu können, daß sie ihre Klage mit einer Beschwerde wegen Vernachlässi¬
gung von Seiten der Gerichte auch beim Generalguberuator, dem Haupte und
fast absoluten Befehlshaber der Provinz erreichten.

General B. bewies sich den Leuten huldreich und bemerkte mit Bleistift auf
dem Rande der Klageschrift, daß Grund seines Befehls unverweilt der Forderung
der Klagenden an das Gericht Folge gegeben werden solle. Dieses M. ließ er
durch die Kläger selbst -- auf die Form giebt man nicht viel -- zu dem Ob-
wodschaftscvmmissar tragen, und dieser konnte nun die Klage nicht mehr ignori-
ren, war, wie es sich zeigte, dadurch aber noch keineswegs genöthigt, mit Energie
vorzugehen. Er beauftragte den Bürgermeister der kleinen Stadt K. mit Besich¬
tigung der Lage der Weber. Die Bürgermeister der kleinen Landstädte, welche
in der That nichts weiter sind, als Unterbeamte der ObwodschaftScommissariate,
werden nämlich stets zu dergleichen Geschäften verwendet.

Am andern Tage erschien der Bürgermeister ans dem Schauplatze des Un-
rechts nud Elendes. Aber er warf kaum vorübergehend einen Blick darauf,
denn ein Diener der Grnndherrin hatte ihn schon vor dem Dorfe empfangen und
zur Tafel bei der gnädigen Frau eingeladen. Dieser wackere Mann ließ sich denn
anch die Liebenswürdigkeit und die volle Tafel im Palaste so wohl gefallen, daß
er an die deutschen Weber, die draußen hungernd und zähneknirschend lagen, gar
uicht dachte. Am Abend fuhr er zurück mit einem Protocoll, das nichts weiter
enthielt, als einige künstliche Beweise für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der
Fran von D.

Vergebens hofften die Weber immer noch auf ein gerichtliches Einschreiten zu
ihren Gunsten. Niemand frug, Niemand sah nach ihnen. So lagen die armen
Menschen nicht weniger als neun Wochen unter Gottes freiem Himmel, ehe sie,
von Hunger und Noth gedrängt, den Muth faßten, anf's Neue sich an das Ge¬
richt zu wenden. An der Macht des Generalgonvernenrs und dem guten Willen
des Kreiöcommissariats verzweifelnd, bestürmten sie nun abermals das Kreisgericht
um Beschleunigung des Processes. Man befahl ihnen am Sonnabend der nächsten
Woche wiederznerscheinen mit dem Bemerken, daß dies der Termintag sei. Der
Advocat der Frau von D. benachrichtigte jetzt seine Mandantin, daß den Klägern
von dem Gericht ein Bescheid zugesagt worden sei, und deshalb erschien die Ver¬
klagte in der Kreisstadt, um dem Chef des Gerichts einen freundschaftlichen Be¬
such abzustatten, bei welcher Gelegenheit sie ihm eine Abschrift der mit den deutschen
Webern gemachten Kauf- und Geschäftöcontracte übergab und vorzüglich ans den
Paragraphen hinwies, nach welchem die Weber für keine dritte Person arbeiten
durften, so lange die Wollvorräthe der Fran v. D. noch nicht erschöpft waren.


Weg zurück, und die Unglücklichen hofften wieder, diesmal nicht ohne bangen
Zweifel. Ihr Zweifel rechtfertigte sich. Es erschien kein Beamter. Wieder war¬
tete man 8 Tage lang vergebens. Nun glaubten die Weber sich nnr dadurch
helfen zu können, daß sie ihre Klage mit einer Beschwerde wegen Vernachlässi¬
gung von Seiten der Gerichte auch beim Generalguberuator, dem Haupte und
fast absoluten Befehlshaber der Provinz erreichten.

General B. bewies sich den Leuten huldreich und bemerkte mit Bleistift auf
dem Rande der Klageschrift, daß Grund seines Befehls unverweilt der Forderung
der Klagenden an das Gericht Folge gegeben werden solle. Dieses M. ließ er
durch die Kläger selbst — auf die Form giebt man nicht viel — zu dem Ob-
wodschaftscvmmissar tragen, und dieser konnte nun die Klage nicht mehr ignori-
ren, war, wie es sich zeigte, dadurch aber noch keineswegs genöthigt, mit Energie
vorzugehen. Er beauftragte den Bürgermeister der kleinen Stadt K. mit Besich¬
tigung der Lage der Weber. Die Bürgermeister der kleinen Landstädte, welche
in der That nichts weiter sind, als Unterbeamte der ObwodschaftScommissariate,
werden nämlich stets zu dergleichen Geschäften verwendet.

Am andern Tage erschien der Bürgermeister ans dem Schauplatze des Un-
rechts nud Elendes. Aber er warf kaum vorübergehend einen Blick darauf,
denn ein Diener der Grnndherrin hatte ihn schon vor dem Dorfe empfangen und
zur Tafel bei der gnädigen Frau eingeladen. Dieser wackere Mann ließ sich denn
anch die Liebenswürdigkeit und die volle Tafel im Palaste so wohl gefallen, daß
er an die deutschen Weber, die draußen hungernd und zähneknirschend lagen, gar
uicht dachte. Am Abend fuhr er zurück mit einem Protocoll, das nichts weiter
enthielt, als einige künstliche Beweise für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der
Fran von D.

Vergebens hofften die Weber immer noch auf ein gerichtliches Einschreiten zu
ihren Gunsten. Niemand frug, Niemand sah nach ihnen. So lagen die armen
Menschen nicht weniger als neun Wochen unter Gottes freiem Himmel, ehe sie,
von Hunger und Noth gedrängt, den Muth faßten, anf's Neue sich an das Ge¬
richt zu wenden. An der Macht des Generalgonvernenrs und dem guten Willen
des Kreiöcommissariats verzweifelnd, bestürmten sie nun abermals das Kreisgericht
um Beschleunigung des Processes. Man befahl ihnen am Sonnabend der nächsten
Woche wiederznerscheinen mit dem Bemerken, daß dies der Termintag sei. Der
Advocat der Frau von D. benachrichtigte jetzt seine Mandantin, daß den Klägern
von dem Gericht ein Bescheid zugesagt worden sei, und deshalb erschien die Ver¬
klagte in der Kreisstadt, um dem Chef des Gerichts einen freundschaftlichen Be¬
such abzustatten, bei welcher Gelegenheit sie ihm eine Abschrift der mit den deutschen
Webern gemachten Kauf- und Geschäftöcontracte übergab und vorzüglich ans den
Paragraphen hinwies, nach welchem die Weber für keine dritte Person arbeiten
durften, so lange die Wollvorräthe der Fran v. D. noch nicht erschöpft waren.


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[0352] Weg zurück, und die Unglücklichen hofften wieder, diesmal nicht ohne bangen Zweifel. Ihr Zweifel rechtfertigte sich. Es erschien kein Beamter. Wieder war¬ tete man 8 Tage lang vergebens. Nun glaubten die Weber sich nnr dadurch helfen zu können, daß sie ihre Klage mit einer Beschwerde wegen Vernachlässi¬ gung von Seiten der Gerichte auch beim Generalguberuator, dem Haupte und fast absoluten Befehlshaber der Provinz erreichten. General B. bewies sich den Leuten huldreich und bemerkte mit Bleistift auf dem Rande der Klageschrift, daß Grund seines Befehls unverweilt der Forderung der Klagenden an das Gericht Folge gegeben werden solle. Dieses M. ließ er durch die Kläger selbst — auf die Form giebt man nicht viel — zu dem Ob- wodschaftscvmmissar tragen, und dieser konnte nun die Klage nicht mehr ignori- ren, war, wie es sich zeigte, dadurch aber noch keineswegs genöthigt, mit Energie vorzugehen. Er beauftragte den Bürgermeister der kleinen Stadt K. mit Besich¬ tigung der Lage der Weber. Die Bürgermeister der kleinen Landstädte, welche in der That nichts weiter sind, als Unterbeamte der ObwodschaftScommissariate, werden nämlich stets zu dergleichen Geschäften verwendet. Am andern Tage erschien der Bürgermeister ans dem Schauplatze des Un- rechts nud Elendes. Aber er warf kaum vorübergehend einen Blick darauf, denn ein Diener der Grnndherrin hatte ihn schon vor dem Dorfe empfangen und zur Tafel bei der gnädigen Frau eingeladen. Dieser wackere Mann ließ sich denn anch die Liebenswürdigkeit und die volle Tafel im Palaste so wohl gefallen, daß er an die deutschen Weber, die draußen hungernd und zähneknirschend lagen, gar uicht dachte. Am Abend fuhr er zurück mit einem Protocoll, das nichts weiter enthielt, als einige künstliche Beweise für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Fran von D. Vergebens hofften die Weber immer noch auf ein gerichtliches Einschreiten zu ihren Gunsten. Niemand frug, Niemand sah nach ihnen. So lagen die armen Menschen nicht weniger als neun Wochen unter Gottes freiem Himmel, ehe sie, von Hunger und Noth gedrängt, den Muth faßten, anf's Neue sich an das Ge¬ richt zu wenden. An der Macht des Generalgonvernenrs und dem guten Willen des Kreiöcommissariats verzweifelnd, bestürmten sie nun abermals das Kreisgericht um Beschleunigung des Processes. Man befahl ihnen am Sonnabend der nächsten Woche wiederznerscheinen mit dem Bemerken, daß dies der Termintag sei. Der Advocat der Frau von D. benachrichtigte jetzt seine Mandantin, daß den Klägern von dem Gericht ein Bescheid zugesagt worden sei, und deshalb erschien die Ver¬ klagte in der Kreisstadt, um dem Chef des Gerichts einen freundschaftlichen Be¬ such abzustatten, bei welcher Gelegenheit sie ihm eine Abschrift der mit den deutschen Webern gemachten Kauf- und Geschäftöcontracte übergab und vorzüglich ans den Paragraphen hinwies, nach welchem die Weber für keine dritte Person arbeiten durften, so lange die Wollvorräthe der Fran v. D. noch nicht erschöpft waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/352>, abgerufen am 22.07.2024.