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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Wochen lang waren die Leute gänzlich ohne Arbeit, und da sie auch dann noch
vergebens um Wolle gebeten hatten, nahmen sie nicht Austand, Arbeitsanfträge
von einem Dritten zu übernehmen und sich sogleich mit denselben zu beschäftigen.

Nach einigen Tagen erschien am Abend von der Herrin geschickt eine förm¬
liche Execntionscolonne vor den Weberhüttcn. Es waren die Wirthschaftsanfseher
und einige Bauern. Ihre Instruction ging dahin, die deutschen Weber sammt
ihren Gerätschaften aus deu Hütten zu werfen. Der Befehl wurde ohne Wider¬
stand vollzogen, da die anueu Deutschen ans die Gerechtigkeit der Gerichte rech¬
neten. Am nächsten Morgen sandten sie zwei Männer nach N. in das Kreis¬
gericht, die Anklage gegen die gewaltthätige Dame zu eröffnen. Dem Gericht
aber gefiel es nicht, die Klage zu Protocoll zu nehmen; es wies die Kläger mit
dem Bedeuten fort, die Klage auf dem Stempelbogen gleich niedergeschrieben
einzureichen. Man kam dieser ganz uugeschlicheu Anforderung sogleich nach, aber
das Verlangen der Kläger, die Sache zu beeilen, da sämmtliche Weber mit ihren
Familien uuter freiem Himmel lägen und bei der Unmöglichkeit zu arbeiten ver¬
hungern müßten, wurde mit der Bemerkung zurückgewiesen: von einem Termine
könne uuter 6 bis 8 .Wochen uicht die Rede sein. Privatleute gaben den trost¬
losen Leuten den Nach, sich mit der Grnndherrin um jeden Preis zu verständigen,
da sie bei den Gerichtshöfen des Landes zuverlässig keine Hilfe finden würden.
Da nun aber eine Verständigung uicht gut möglich war, indem die Gntöfran
darauf ausging, die Weber ans, dem Verhältniß freier Besitzer in das abhängiger
Miethinhaber gleich deu Bauern herab zu drängen, so wurde ihnen der Nath er¬
theilt, sich an ein polizeiliches Amt zu wenden. Deshalb reichten die beideu
Beauftragten, ihre Klage auch bei dem Obwodschaftsconnuissariat ein, baten sofort
einen BesichtiguugScommissar abzuschicken und die Kläger wenigstens in einen Zustand
zu versetzen, der es ihnen möglich mache, bis zum Ausgang der Sache zu dauern,
also ihnen ihre Hütten wieder zu öffnen. Der Commissirr, obschon er die ganze
Sache mit demjenigen Widerwillen angenommen, den jeder Faullenzer vor einer
neuen Arbeit empfindet, versprach doch am anderen Tage einen Beamten zur
Besichtigung der Verhältnisse abzusenden, und die Kläger kehrten mit dieser frohen
Botschaft zu ihren Genossen zurück. Allein der nächste Tag verging, ohne daß
irgend ein Beamter ankam, und in den folgenden 8 Tagen ließ sich der Ersehnte
ebenso wenig blicken. Obschon die Tuchweber sich unter einer Gruppe von Bäumen
gelagert hatten, war das Blärterdach über ihren Häuptern doch nicht so dicht
gegen Sturm und Regen, daß ihre Geduld uicht durch Regen und Sturm wäre
beeinträchtigt wordeu. Sie sandten abermals die beideu Bevollmächtigten an den
Obwodschaftsconunissar und ließen dringender um Beeilnng ihrer Angelegenheit
bitten. Der Commissär behandelte die. Bittenden mit Verdruß und Brntalirät,
schickte sie aber mit der festen Versicherung fort, er werde am nächsten Tage ihre
Lage in Augenschein nehmen lassen. Jene wanderten den vier Meilen langen


Wochen lang waren die Leute gänzlich ohne Arbeit, und da sie auch dann noch
vergebens um Wolle gebeten hatten, nahmen sie nicht Austand, Arbeitsanfträge
von einem Dritten zu übernehmen und sich sogleich mit denselben zu beschäftigen.

Nach einigen Tagen erschien am Abend von der Herrin geschickt eine förm¬
liche Execntionscolonne vor den Weberhüttcn. Es waren die Wirthschaftsanfseher
und einige Bauern. Ihre Instruction ging dahin, die deutschen Weber sammt
ihren Gerätschaften aus deu Hütten zu werfen. Der Befehl wurde ohne Wider¬
stand vollzogen, da die anueu Deutschen ans die Gerechtigkeit der Gerichte rech¬
neten. Am nächsten Morgen sandten sie zwei Männer nach N. in das Kreis¬
gericht, die Anklage gegen die gewaltthätige Dame zu eröffnen. Dem Gericht
aber gefiel es nicht, die Klage zu Protocoll zu nehmen; es wies die Kläger mit
dem Bedeuten fort, die Klage auf dem Stempelbogen gleich niedergeschrieben
einzureichen. Man kam dieser ganz uugeschlicheu Anforderung sogleich nach, aber
das Verlangen der Kläger, die Sache zu beeilen, da sämmtliche Weber mit ihren
Familien uuter freiem Himmel lägen und bei der Unmöglichkeit zu arbeiten ver¬
hungern müßten, wurde mit der Bemerkung zurückgewiesen: von einem Termine
könne uuter 6 bis 8 .Wochen uicht die Rede sein. Privatleute gaben den trost¬
losen Leuten den Nach, sich mit der Grnndherrin um jeden Preis zu verständigen,
da sie bei den Gerichtshöfen des Landes zuverlässig keine Hilfe finden würden.
Da nun aber eine Verständigung uicht gut möglich war, indem die Gntöfran
darauf ausging, die Weber ans, dem Verhältniß freier Besitzer in das abhängiger
Miethinhaber gleich deu Bauern herab zu drängen, so wurde ihnen der Nath er¬
theilt, sich an ein polizeiliches Amt zu wenden. Deshalb reichten die beideu
Beauftragten, ihre Klage auch bei dem Obwodschaftsconnuissariat ein, baten sofort
einen BesichtiguugScommissar abzuschicken und die Kläger wenigstens in einen Zustand
zu versetzen, der es ihnen möglich mache, bis zum Ausgang der Sache zu dauern,
also ihnen ihre Hütten wieder zu öffnen. Der Commissirr, obschon er die ganze
Sache mit demjenigen Widerwillen angenommen, den jeder Faullenzer vor einer
neuen Arbeit empfindet, versprach doch am anderen Tage einen Beamten zur
Besichtigung der Verhältnisse abzusenden, und die Kläger kehrten mit dieser frohen
Botschaft zu ihren Genossen zurück. Allein der nächste Tag verging, ohne daß
irgend ein Beamter ankam, und in den folgenden 8 Tagen ließ sich der Ersehnte
ebenso wenig blicken. Obschon die Tuchweber sich unter einer Gruppe von Bäumen
gelagert hatten, war das Blärterdach über ihren Häuptern doch nicht so dicht
gegen Sturm und Regen, daß ihre Geduld uicht durch Regen und Sturm wäre
beeinträchtigt wordeu. Sie sandten abermals die beideu Bevollmächtigten an den
Obwodschaftsconunissar und ließen dringender um Beeilnng ihrer Angelegenheit
bitten. Der Commissär behandelte die. Bittenden mit Verdruß und Brntalirät,
schickte sie aber mit der festen Versicherung fort, er werde am nächsten Tage ihre
Lage in Augenschein nehmen lassen. Jene wanderten den vier Meilen langen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/351>, abgerufen am 22.07.2024.