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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Posse mit obligatem satyrischen Vaudeville hervorgegangen; die Zauberflöte mit
Reminiscenzen aus den fliegenden Blättern und dem Kladderadatsch. --

In diesem Fall gewinnt die Allegorie eine neue Bedeutuug. Die Sticheleien
auf politische Fragen behalten zwar ihren Werth und werden mit Beifall aufge¬
nommen, namentlich wenn sie persönliche Anspielungen, Witze auf Namen u. tgi.
enthalten. Die Hauptsache ist aber der bunte Wechsel der Decorationen und
Costume. -- In Paris, wo diese Äußerlichkeiten sich in einem viel großar¬
tigern Maßstabe geltend machen, grassirt diese politisch-ästhetische Zauberposse in
noch viel weiterem Umfang. Namentlich machen die antirevolntionären Dichter,
denen ihrer ganzen Stellung nach die Ironie näher liegt, als das Pathos, davon
Anwendung. -- So habe ich n. a. ein Lustspiel vou de Leuveu und Brunswick
(eine der beliebtesten Firmen der Reaction) vor mir: la lui-e nux iäÜLs, in der
unter andern allegorischen Figuren anch die Idee, die Caprice, das Theater, Ka¬
lifornien, die Musik, die Literatur, Paris, die verschiedenen Straßen und Plätze,
die Provinzen, die Vernunft n. f. w. auftreten. ES ist eine willkürlich aneinan¬
der gefädelte Satyre aus verschieden revolutionäre Figuren. -- Jul ersten Act
führt ein Mariouetteuhäudler die politischen Charaktere als Glicdermäuner ans,
und läßt sie Männchen machen; die einzelnen Anspielungen find uns, die wir mit
den kleinen Personalien nicht so vertraut siud, ganz unverständlich. -- Im zweiten
befinden wir uus in einem reich decorirten Zaubergärten, in dem sich Paris zuerst
mit seinen Straßen prügelt, dann wird ein Scheibenschießen aufgeführt, dann
treten Candidaten auf, die in possenhaften Stellungen einfältiges Zeug declamiren,
dann wird ein Blatt mit ellenlangen Annoncen herabgelassen, z. B. ^ venäre.
rrieudle I^oui8 XV. <lui a anMi'tenu ^ I^ont8 XIV. -- Kalm 6e Krater-
nlte. 11 nettoie 1e8 glmts, et 81 l'en vent 1al88er 1e8 Mains 6e6on8, 11 netteie
e8 minus uvee. -- Dann fingt die Idee einige Couplets, worin die Meinung
der Gutgesinnten auseinandergesetzt wird. -- Dann eine Zusammenkunft zwischen:
Paris und deu Provinzen, die ihm die Wahrheit sagen; unter andern allegori¬
schen Personen tritt auch das Firmament ans: .1e me nennne b ninament, öl-
8it1e ten8 1e8 8<>n'8 ^ 1'een um, M8te en faeo nie88leur8 I^us8e et evinnaxnie,
cinquieme pave a g^mete. -- OK! sagt Paris, .je ven8 ni solvent n^el-on
en 80rtarit 6n Vauäeville; das Firmament zeigt ihm in einem Teleskop die Zu-
kunft Frankreichs, die Wiederherstellung der guten Bourbonen, worüber der gute
Bürger Paris anßer sich vor Entzücken geräth. -- Der folgende Act spielt im
Grund der Seine, eine Menge phantastischer Fischgestalten bewegen sich darin um-
her und führen lächerliche Volksversammlungen und Tänze auf, bis die Vernunft
kommt und ihnen die Wahrheit vorsingt. Das Schlnßtablean ist eine brillante
Industrieausstellung, in der Frankreichs wahre Interessen zu ihrem Recht kommen.
-- Daß dieser reflectirte Unsinn, wenn es ihm gelingt, bessere Dichter von der
natürlichen Richtung abzuziehen, der Kunst verderblich sein muß, liegt ans der


Posse mit obligatem satyrischen Vaudeville hervorgegangen; die Zauberflöte mit
Reminiscenzen aus den fliegenden Blättern und dem Kladderadatsch. —

In diesem Fall gewinnt die Allegorie eine neue Bedeutuug. Die Sticheleien
auf politische Fragen behalten zwar ihren Werth und werden mit Beifall aufge¬
nommen, namentlich wenn sie persönliche Anspielungen, Witze auf Namen u. tgi.
enthalten. Die Hauptsache ist aber der bunte Wechsel der Decorationen und
Costume. — In Paris, wo diese Äußerlichkeiten sich in einem viel großar¬
tigern Maßstabe geltend machen, grassirt diese politisch-ästhetische Zauberposse in
noch viel weiterem Umfang. Namentlich machen die antirevolntionären Dichter,
denen ihrer ganzen Stellung nach die Ironie näher liegt, als das Pathos, davon
Anwendung. — So habe ich n. a. ein Lustspiel vou de Leuveu und Brunswick
(eine der beliebtesten Firmen der Reaction) vor mir: la lui-e nux iäÜLs, in der
unter andern allegorischen Figuren anch die Idee, die Caprice, das Theater, Ka¬
lifornien, die Musik, die Literatur, Paris, die verschiedenen Straßen und Plätze,
die Provinzen, die Vernunft n. f. w. auftreten. ES ist eine willkürlich aneinan¬
der gefädelte Satyre aus verschieden revolutionäre Figuren. — Jul ersten Act
führt ein Mariouetteuhäudler die politischen Charaktere als Glicdermäuner ans,
und läßt sie Männchen machen; die einzelnen Anspielungen find uns, die wir mit
den kleinen Personalien nicht so vertraut siud, ganz unverständlich. — Im zweiten
befinden wir uus in einem reich decorirten Zaubergärten, in dem sich Paris zuerst
mit seinen Straßen prügelt, dann wird ein Scheibenschießen aufgeführt, dann
treten Candidaten auf, die in possenhaften Stellungen einfältiges Zeug declamiren,
dann wird ein Blatt mit ellenlangen Annoncen herabgelassen, z. B. ^ venäre.
rrieudle I^oui8 XV. <lui a anMi'tenu ^ I^ont8 XIV. — Kalm 6e Krater-
nlte. 11 nettoie 1e8 glmts, et 81 l'en vent 1al88er 1e8 Mains 6e6on8, 11 netteie
e8 minus uvee. — Dann fingt die Idee einige Couplets, worin die Meinung
der Gutgesinnten auseinandergesetzt wird. — Dann eine Zusammenkunft zwischen:
Paris und deu Provinzen, die ihm die Wahrheit sagen; unter andern allegori¬
schen Personen tritt auch das Firmament ans: .1e me nennne b ninament, öl-
8it1e ten8 1e8 8<>n'8 ^ 1'een um, M8te en faeo nie88leur8 I^us8e et evinnaxnie,
cinquieme pave a g^mete. — OK! sagt Paris, .je ven8 ni solvent n^el-on
en 80rtarit 6n Vauäeville; das Firmament zeigt ihm in einem Teleskop die Zu-
kunft Frankreichs, die Wiederherstellung der guten Bourbonen, worüber der gute
Bürger Paris anßer sich vor Entzücken geräth. — Der folgende Act spielt im
Grund der Seine, eine Menge phantastischer Fischgestalten bewegen sich darin um-
her und führen lächerliche Volksversammlungen und Tänze auf, bis die Vernunft
kommt und ihnen die Wahrheit vorsingt. Das Schlnßtablean ist eine brillante
Industrieausstellung, in der Frankreichs wahre Interessen zu ihrem Recht kommen.
— Daß dieser reflectirte Unsinn, wenn es ihm gelingt, bessere Dichter von der
natürlichen Richtung abzuziehen, der Kunst verderblich sein muß, liegt ans der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/34>, abgerufen am 22.07.2024.