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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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blaue Blume der Romantik und der Witz der Eucyklopädisteu, die rothe Fahne
der Republik und der Glanz der Lilie, das Gespenst der schönen Herodias und
die schmutzige Hexenhütte, die Inbrunst eines hohläugigen Werther und die
Blastrtheit eines an Eroberung gewöhnten Banquiers, der auch Lotten fragen würde:
wieviel kostet's? in wechselnden Combinationen willkürlich durcheinander gewürfelt
werden. Es kommen dabei ganz anmuthige Bilder heraus , denn sein Witz ist
lebhaft und seine Phantasie strömt von Einfallen, aber niemals eine ganze Ge¬
stalt, niemals eine gehaltene Stimmung. Am besten ist er, wenn er die Posse
rein als Posse treibt, wie z. B. in Atta Troll, wo mau sich zwar bei der Liebe
der jungen Bärin zum Fürsten Lichnowski und ähnlichen Einfällen nichts Be¬
stimmtes denken t'aun, wo aber die Einfälle so toll durcheinander sprudeln, daß
sie fast Humor genannt werdeu können.

Aus dieser Art der Poesie aber eine Convenienz zu machen, die Vermischung
der Frivolität und des Pathos, der Zote und des Gebets als das höchste Gesetz
einer schönen Darstellung zu verehren, die Stärke der Empfindung nach der markt¬
schreierischen Anpreisung derselben zu beurtheilen, das ist die ärgste Versündigung
gegen den heiligen Geist der Kunst, und diese Verkehrtheit, die sich über unsere
ganze Literatur der letzten 35 Jahre ausbreitet, verdanken wir Heine und seinen
Jüngern. Freilich correspondirt sie mit einer andern Richtung unserer Zeit: der sophi-
phistischen Gewandtheit, ungewöhnliche und überraschende Gesichtspunkte aufzufinden,
den Witz zum Maßstab der Wahrheit zu nehmen. Aber gerade weil er diesen
Witz mit Sentiment würzt, hat ihn Heine uuter den Deutschen populärer gemacht,
als es der eigentlichen Schule der Sophistik möglich gewesen wäre. --

Wenden wir uns nach diesen flüchtigen Bemerkungen zu Börne, so tritt zwar
beim ersten Anblick eine scheinbar sehr große Verschiedenheit hervor: dort der
ungezogene "Liebling der Grazien", hier der polternde Alte, wie ihn die Ko¬
mödie nur irgeud erfinden kann; aber man entdeckt doch auch wieder eine große
Familienähnlichkeit.

Die Aehnlichkeit besteht darin, das beide den objectiven Interessen, der ob¬
jectiven Wahrheit nichts entgegen bringen, als die Energie ihrer subjectiven
Eitelkeit, die an sich leer, doch unerschöpflich ist in ihrer Verneinung des Ge¬
gebenen; die ihr Urtheil über die Gegeustände nicht aus der Natur derselben
schöpft, sondern aus den Beziehungen zu ihrer Stimmung und Laune.

Ich stehe uicht an, Börne's Einfluß auf unsere Entwickelung für viel schäd¬
licher zu erklären, obgleich seine Berechtigung, den faulen Zuständen der Restau¬
ration gegenüber, eine größere ist. Denn dieser Einfluß ans unsere Jugend ist
ungeheuer. Unser ganzer Radikalismus, unsere ganze Demokratie ist auf Börne
gegründet, während Heine doch nur in exclusiver Salons zu Hause ist. Die
unbehilfliche Ehrlichkeit unsers Volks, das sich nie recht in den Unterschied
von Spaß und Ernst zu finden weiß, ist Schuld darau. Die Franzosen


blaue Blume der Romantik und der Witz der Eucyklopädisteu, die rothe Fahne
der Republik und der Glanz der Lilie, das Gespenst der schönen Herodias und
die schmutzige Hexenhütte, die Inbrunst eines hohläugigen Werther und die
Blastrtheit eines an Eroberung gewöhnten Banquiers, der auch Lotten fragen würde:
wieviel kostet's? in wechselnden Combinationen willkürlich durcheinander gewürfelt
werden. Es kommen dabei ganz anmuthige Bilder heraus , denn sein Witz ist
lebhaft und seine Phantasie strömt von Einfallen, aber niemals eine ganze Ge¬
stalt, niemals eine gehaltene Stimmung. Am besten ist er, wenn er die Posse
rein als Posse treibt, wie z. B. in Atta Troll, wo mau sich zwar bei der Liebe
der jungen Bärin zum Fürsten Lichnowski und ähnlichen Einfällen nichts Be¬
stimmtes denken t'aun, wo aber die Einfälle so toll durcheinander sprudeln, daß
sie fast Humor genannt werdeu können.

Aus dieser Art der Poesie aber eine Convenienz zu machen, die Vermischung
der Frivolität und des Pathos, der Zote und des Gebets als das höchste Gesetz
einer schönen Darstellung zu verehren, die Stärke der Empfindung nach der markt¬
schreierischen Anpreisung derselben zu beurtheilen, das ist die ärgste Versündigung
gegen den heiligen Geist der Kunst, und diese Verkehrtheit, die sich über unsere
ganze Literatur der letzten 35 Jahre ausbreitet, verdanken wir Heine und seinen
Jüngern. Freilich correspondirt sie mit einer andern Richtung unserer Zeit: der sophi-
phistischen Gewandtheit, ungewöhnliche und überraschende Gesichtspunkte aufzufinden,
den Witz zum Maßstab der Wahrheit zu nehmen. Aber gerade weil er diesen
Witz mit Sentiment würzt, hat ihn Heine uuter den Deutschen populärer gemacht,
als es der eigentlichen Schule der Sophistik möglich gewesen wäre. —

Wenden wir uns nach diesen flüchtigen Bemerkungen zu Börne, so tritt zwar
beim ersten Anblick eine scheinbar sehr große Verschiedenheit hervor: dort der
ungezogene „Liebling der Grazien", hier der polternde Alte, wie ihn die Ko¬
mödie nur irgeud erfinden kann; aber man entdeckt doch auch wieder eine große
Familienähnlichkeit.

Die Aehnlichkeit besteht darin, das beide den objectiven Interessen, der ob¬
jectiven Wahrheit nichts entgegen bringen, als die Energie ihrer subjectiven
Eitelkeit, die an sich leer, doch unerschöpflich ist in ihrer Verneinung des Ge¬
gebenen; die ihr Urtheil über die Gegeustände nicht aus der Natur derselben
schöpft, sondern aus den Beziehungen zu ihrer Stimmung und Laune.

Ich stehe uicht an, Börne's Einfluß auf unsere Entwickelung für viel schäd¬
licher zu erklären, obgleich seine Berechtigung, den faulen Zuständen der Restau¬
ration gegenüber, eine größere ist. Denn dieser Einfluß ans unsere Jugend ist
ungeheuer. Unser ganzer Radikalismus, unsere ganze Demokratie ist auf Börne
gegründet, während Heine doch nur in exclusiver Salons zu Hause ist. Die
unbehilfliche Ehrlichkeit unsers Volks, das sich nie recht in den Unterschied
von Spaß und Ernst zu finden weiß, ist Schuld darau. Die Franzosen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/333>, abgerufen am 22.07.2024.