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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Wir wollen dabei nicht verkennen, daß auch in ihrer Richtung etwas Be¬
rechtigtes lag. Heine'S Frivolität war die nothwendige Reaction gegen die krank¬
hafte Tugendbündlerei der Görres, Arndt, Schenkendorf, Jahr, der Schwabeu-
schnle; Börne's populärer, polternder Menschenverstand die nothwendige Reaction
gegen, das Sehnen und Dämmern der letzten traurigen Ueberreste der alten
romantischen Schule, der Houwald und Müllner, und gegen die überschwengliche
Weisheit der Natmphilosophen. Durch das Eintreten des scharfen, ätzenden
jüdischen Elements kam in das bereits sehr schläfrige, stumpfe deutsche Wesen
wenigstens eine Art von Bewegung. Nur wollte das Unglück, daß man den
bloßen Uebergangsmoment fixirte, um Heine poetische und an Börne politische
sentier trieb. Man machte ans dem poetischen und dem politischen Weltschmerz
ein dauerndes Geschäft.

Heine hat sich gern mit Byron vergleichen lassen, einmal hat er sogar den
Einfall gehabt, er sei doch eigentlich viel tugendhafter und gottesfürchtiger als
der englische Lord. Man weiß nicht, ob man über diesen Vergleich mehr lachen
oder sich ärgern soll.

Der Unterschied springt in zwei Punkten in die Augen. Einmal ist Lord
Byron durch und durch Gentleman. Sein Skepticismus setzt sich zwar über viele
Formen der steifen und prüden englischen Sittlichkeit hinweg, aber nicht über
die strengen Gebote der Ehre. Heine dagegen gehört, anch in seinen roman¬
tischen, rührenden und tragischen Momenten, immer zu jenen Possenreißern, über
deren Einfälle man sich des Lachens nicht enthalten kann, an deren Stelle aber
kein anständiger Mensch treten möchte. Er drängt sich mit seiner Person anf
eine Weise hervor, wie es noch kein anderer Dichter gethan, er feiert sich selber
als einen großen Dichter, er cokettirt mit der Tiefe seiner Empfindung, mit
seinen Erfahrungen in der Liebe, ja selbst, trotz des Zeugnisses seiner ehemaligen
Commilitonen, mit seinen Thaten auf der Mensur, er girrt, daß er, ein zweiter
Atlas, das Elend der ganzen Welt tragen müsse und unendlich elend sei, weil
er nicht unendlich glücklich sein könne; man fühlt aber überall heraus, daß
diese Renommage nicht einem sichern Selbstgefühl entspringt, sondern der
dunkeln Empfindung, daß er sich eine pikante Charaktermaske aufsetzen müsse, um
in guter Gesellschaft gelitten zu werden, und anch dann kaum. Er pflegt sich
selber eiuen ungezogenen Liebling der Grazien zu nennen, aber von der wesent¬
lichsten Eigenschaft, mit welcher die Grazien den Sterblichen beglücken, von dem
ästhetischen Maß, hat er keine Spur.

Diese persönliche Unsittlichkeit hängt mit der Art und Weise stilles Skepti¬
cismus zusammen. Mit Byron's Skepsis hat es eigentlich nicht soviel auf sich;
wir haben uns dnrch das Geschrei der englischen Puritaner, denen Alles Ketzerei
ist, was nicht im Katechismus steht, verführen lassen. Die Heftigkeit der Empfin¬
dung, mit der er sich von dem herrschenden Sittengesetz loszureißen sucht, zeigt


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Wir wollen dabei nicht verkennen, daß auch in ihrer Richtung etwas Be¬
rechtigtes lag. Heine'S Frivolität war die nothwendige Reaction gegen die krank¬
hafte Tugendbündlerei der Görres, Arndt, Schenkendorf, Jahr, der Schwabeu-
schnle; Börne's populärer, polternder Menschenverstand die nothwendige Reaction
gegen, das Sehnen und Dämmern der letzten traurigen Ueberreste der alten
romantischen Schule, der Houwald und Müllner, und gegen die überschwengliche
Weisheit der Natmphilosophen. Durch das Eintreten des scharfen, ätzenden
jüdischen Elements kam in das bereits sehr schläfrige, stumpfe deutsche Wesen
wenigstens eine Art von Bewegung. Nur wollte das Unglück, daß man den
bloßen Uebergangsmoment fixirte, um Heine poetische und an Börne politische
sentier trieb. Man machte ans dem poetischen und dem politischen Weltschmerz
ein dauerndes Geschäft.

Heine hat sich gern mit Byron vergleichen lassen, einmal hat er sogar den
Einfall gehabt, er sei doch eigentlich viel tugendhafter und gottesfürchtiger als
der englische Lord. Man weiß nicht, ob man über diesen Vergleich mehr lachen
oder sich ärgern soll.

Der Unterschied springt in zwei Punkten in die Augen. Einmal ist Lord
Byron durch und durch Gentleman. Sein Skepticismus setzt sich zwar über viele
Formen der steifen und prüden englischen Sittlichkeit hinweg, aber nicht über
die strengen Gebote der Ehre. Heine dagegen gehört, anch in seinen roman¬
tischen, rührenden und tragischen Momenten, immer zu jenen Possenreißern, über
deren Einfälle man sich des Lachens nicht enthalten kann, an deren Stelle aber
kein anständiger Mensch treten möchte. Er drängt sich mit seiner Person anf
eine Weise hervor, wie es noch kein anderer Dichter gethan, er feiert sich selber
als einen großen Dichter, er cokettirt mit der Tiefe seiner Empfindung, mit
seinen Erfahrungen in der Liebe, ja selbst, trotz des Zeugnisses seiner ehemaligen
Commilitonen, mit seinen Thaten auf der Mensur, er girrt, daß er, ein zweiter
Atlas, das Elend der ganzen Welt tragen müsse und unendlich elend sei, weil
er nicht unendlich glücklich sein könne; man fühlt aber überall heraus, daß
diese Renommage nicht einem sichern Selbstgefühl entspringt, sondern der
dunkeln Empfindung, daß er sich eine pikante Charaktermaske aufsetzen müsse, um
in guter Gesellschaft gelitten zu werden, und anch dann kaum. Er pflegt sich
selber eiuen ungezogenen Liebling der Grazien zu nennen, aber von der wesent¬
lichsten Eigenschaft, mit welcher die Grazien den Sterblichen beglücken, von dem
ästhetischen Maß, hat er keine Spur.

Diese persönliche Unsittlichkeit hängt mit der Art und Weise stilles Skepti¬
cismus zusammen. Mit Byron's Skepsis hat es eigentlich nicht soviel auf sich;
wir haben uns dnrch das Geschrei der englischen Puritaner, denen Alles Ketzerei
ist, was nicht im Katechismus steht, verführen lassen. Die Heftigkeit der Empfin¬
dung, mit der er sich von dem herrschenden Sittengesetz loszureißen sucht, zeigt


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[0331] Wir wollen dabei nicht verkennen, daß auch in ihrer Richtung etwas Be¬ rechtigtes lag. Heine'S Frivolität war die nothwendige Reaction gegen die krank¬ hafte Tugendbündlerei der Görres, Arndt, Schenkendorf, Jahr, der Schwabeu- schnle; Börne's populärer, polternder Menschenverstand die nothwendige Reaction gegen, das Sehnen und Dämmern der letzten traurigen Ueberreste der alten romantischen Schule, der Houwald und Müllner, und gegen die überschwengliche Weisheit der Natmphilosophen. Durch das Eintreten des scharfen, ätzenden jüdischen Elements kam in das bereits sehr schläfrige, stumpfe deutsche Wesen wenigstens eine Art von Bewegung. Nur wollte das Unglück, daß man den bloßen Uebergangsmoment fixirte, um Heine poetische und an Börne politische sentier trieb. Man machte ans dem poetischen und dem politischen Weltschmerz ein dauerndes Geschäft. Heine hat sich gern mit Byron vergleichen lassen, einmal hat er sogar den Einfall gehabt, er sei doch eigentlich viel tugendhafter und gottesfürchtiger als der englische Lord. Man weiß nicht, ob man über diesen Vergleich mehr lachen oder sich ärgern soll. Der Unterschied springt in zwei Punkten in die Augen. Einmal ist Lord Byron durch und durch Gentleman. Sein Skepticismus setzt sich zwar über viele Formen der steifen und prüden englischen Sittlichkeit hinweg, aber nicht über die strengen Gebote der Ehre. Heine dagegen gehört, anch in seinen roman¬ tischen, rührenden und tragischen Momenten, immer zu jenen Possenreißern, über deren Einfälle man sich des Lachens nicht enthalten kann, an deren Stelle aber kein anständiger Mensch treten möchte. Er drängt sich mit seiner Person anf eine Weise hervor, wie es noch kein anderer Dichter gethan, er feiert sich selber als einen großen Dichter, er cokettirt mit der Tiefe seiner Empfindung, mit seinen Erfahrungen in der Liebe, ja selbst, trotz des Zeugnisses seiner ehemaligen Commilitonen, mit seinen Thaten auf der Mensur, er girrt, daß er, ein zweiter Atlas, das Elend der ganzen Welt tragen müsse und unendlich elend sei, weil er nicht unendlich glücklich sein könne; man fühlt aber überall heraus, daß diese Renommage nicht einem sichern Selbstgefühl entspringt, sondern der dunkeln Empfindung, daß er sich eine pikante Charaktermaske aufsetzen müsse, um in guter Gesellschaft gelitten zu werden, und anch dann kaum. Er pflegt sich selber eiuen ungezogenen Liebling der Grazien zu nennen, aber von der wesent¬ lichsten Eigenschaft, mit welcher die Grazien den Sterblichen beglücken, von dem ästhetischen Maß, hat er keine Spur. Diese persönliche Unsittlichkeit hängt mit der Art und Weise stilles Skepti¬ cismus zusammen. Mit Byron's Skepsis hat es eigentlich nicht soviel auf sich; wir haben uns dnrch das Geschrei der englischen Puritaner, denen Alles Ketzerei ist, was nicht im Katechismus steht, verführen lassen. Die Heftigkeit der Empfin¬ dung, mit der er sich von dem herrschenden Sittengesetz loszureißen sucht, zeigt 106*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/331>, abgerufen am 22.07.2024.